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Politik

Mein Europa: Was ist Heimat?

Krsto Lazarevic
3. November 2017

Heimat - für mich ein Geheimnis. Steht sie links oder rechts? Ist sie Nachbarschaft, eine Landschaft, Nation, Europa oder doch die ganze Welt? Ist es die Erinnerung an die Kindheit oder die Hoffnung in die Zukunft?

Krsto Lazarevic
Bild: Privat

In den Ohren vieler Deutscher klingt das Wort Heimat abgedroschen, nach Schweinshaxe, Weißbier, Gartenzwerg. Oder auch nach Antisemitismus, Hakenkreuz und brennenden Flüchtlingsheimen. Es waren die Nazis, die den Heimatbegriff ins Zentrum ihrer Ideologie rückten und es sind die Neonazis der rechtsextremen NPD, die sich "soziale Heimatpartei" nennen. Es ist die rechtspopulistische AfD, welche die deutsche Heimat vor Flüchtlingen schützen will. Wenn nötig auch, indem auf Kinder an der deutschen Grenze geschossen wird. Und wie bei allem, was die an die AfD an Themen setzt, fühlen sich die anderen Parteien dazu berufen ihr hinterher zu laufen.

Nachdem die grüne Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt beim kleinen Parteitag sagte: "Wir lieben dieses Land. Es ist unsere Heimat. Diese Heimat spaltet man nicht", wurde in der Partei viel diskutiert. Kann man den Begriff Heimat als linke Partei in Deutschland positiv besetzen? Die grüne Basis tut sich schwer mit der "Heimat", doch die grüne Parteispitze hat noch viel damit vor. "Heimat" soll das Scharnier einer künftigen Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen werden. Mit Heimat ist in diesem Sinne Deutschland gemeint. Und daraus ergibt sich unweigerlich die Frage, für wen Deutschland Heimat sein kann und für wenn nicht.

Ein harmloser oder ein gefährlicher Begriff?

Es gibt Menschen die an einem Ort geboren werden, ein Leben lang dort bleiben und diesen Ort Heimat nennen. Es gibt Menschen, für die Heimat ein Gefängnis ist, aus dem sie ausbrechen und ihn später höchstens einmal im Jahr aus Pflichtgefühl an Weihnachten besuchen. Es gibt Menschen, die ihre Heimat verlieren und flüchten müssen. Diese Menschen haben nicht das Privileg zu entscheiden, ob sie in ihrer Heimat bleiben wollen. Und wenn sie Pech haben, werden sie dann an einem anderen Ort von Menschen begrüßt, die "ihre Heimat" gegen die "Fremden" verteidigen wollen und der für sie niemals Heimat werden kann.

Manche wollen "ihre Heimat" gegen die "Fremden" verteidigen Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist Heimat ein harmloser Begriff. Die meisten Menschen beschreiben damit den Ort, an dem sie aufwuchsen und Erinnerungen verbinden oder einen Ort, an dem sie sich heimisch fühlen. In der Politik ist es ein gefährlicher und ausschließender Begriff, der von Rechtspopulisten in ganz Europa ins Zentrum ihrer Ideologie gestellt wird.

Keine Heimat, nirgendwo

Als Kind wurde mir gesagt, dass Serbien meine Heimat ist. Also war ich eben stolz darauf Serbe zu sein. Um den Hals trug ich ein orthodoxes Kreuz und ein serbisches Wappen. In Serbien selbst war ich zu diesem Zeitpunkt noch nie. Meine Familie kommt aus Bosnien-Herzegowina. Und weil dort Krieg herrschte, lebten wir in Deutschland.

Es war mein Onkel, ein Kroate, der uns zu sich ins schwäbische Reutlingen holte und meinem Vater half Arbeit auf dem Bau zu finden. Während sich keine 1000 Kilometer entfernt Serben und Kroaten gegenseitig massakrierten und vertrieben, lebten wir friedlich zusammen. Als Familie.

Wo ist die "alte Heimat", wo ist die "neue Heimat" - der bayerische Ministerpräsident Seehofer beim Sudetendeutschen TagBild: picture alliance/dpa/K.-J. Hildenbrand

Als Kroatien bei der Fußball-WM 1998 den dritten Platz holte, jubelte ich. Beim Autokorso saß ich als Neunjähriger auf dem Rücksitz und hielt eine kroatische Flagge aus dem Fenster. Kroatische Flagge in der Hand und serbisches Wappen um den Hals - für mich war das kein Widerspruch. Der Krieg interessierte mich nicht. Erst später lernte ich, dass Torschützenkönig Davor Šuker vor dem Grab des Ustascha-Führers und Nazikollaborateurs Ante Pavelić posierte, unter dessen Führung Hunderttausende Juden, Serben, Roma und Oppositionelle getötet wurden.

Ich beschäftigte mich mit den jugoslawischen Nachfolgekriegen und den Verbrechen, die im Namen Serbiens verübt wurden. Ethnische Säuberungen, Konzentrationslager, systematische Vergewaltigungen, die Belagerung Sarajevos, Srebrenica. Das soll meine Heimat sein? Darauf soll ich stolz sein? Lieber nicht, entschied ich mich. Ich nahm das Wappen von der Kette und legte es in eine Schublade. Dort liegt es bis heute. Heimat wurde für mich zu etwas Schlechtem. Etwas wofür Menschen bereit sind, selbst die grausamsten Befehle zu befolgen und zu töten.

Der Pass, die heimat und die Rechte

Ich lebe in Deutschland, seit ich denken kann. An die Zeit davor erinnere ich mich nicht. Trotzdem wurde Deutschland nicht zu meiner neuen Heimat. Es ist schwer, sich heimisch zu fühlen, wenn man von Abschiebung bedroht ist. Abschiebung in ein Land, dass man nur aus dem Sommerurlaub kennt und dessen Sprache man nicht richtig spricht. Für die meisten meiner Freunde war der Führerschein das wichtigste Dokument, dass sie zum 18. Geburtstag bekamen. Für mich war es die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. 

Berlin, Prenzlauer Berg - wer fühlt sich hier "zu Hause"?Bild: picture-alliance/S. Reents

Heute lebe ich in Berlin und bin Deutscher. Es ist nichts, worauf ich stolz bin oder wofür ich mich schäme. Es ist einfach das Land, in dem ich lebe. Der deutsche Pass hat mir keine neue Heimat gegeben, sondern Rechte. Das Recht zu Reisen und das Recht zu wählen. Das Recht ein politisches Subjekt innerhalb des Territoriums zu sein, in dem ich lebe. Das klingt nicht so nett wie Heimat, aber es ist mir wichtiger. 

Am Ende von Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" steht der Satz: "So entsteht in der Welt etwas, dass allein in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat." Bloch verließ das deutsche Kaiserreich, weil er gegen den Ersten Weltkrieg war. Er floh vor den Nazis, weil er Jude war und er emigrierte aus der DDR, nachdem er sich mit dem SED-Regime angelegt hat.

Für Bloch war Heimat kein Ort an dem man geboren wurde oder die Nation die einem zugeschrieben wird, sondern die Erinnerung und Sehnsucht an die Kindheit und die Hoffnung in eine Zukunft, die erst noch gewonnen werden muss. Eine Utopie, in der noch kein Mensch war. In meinen Ohren klingt das besser als Schweinshaxe, Gartenzwerg und Heimatministerium.

Krsto Lazarevic ist in Bosnien-Herzegowina geboren und floh als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Heute lebt er in Berlin, arbeitet als Journalist und Publizist und schreibt für verschiedene deutschsprachige Medien.

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