1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wo Vergangenheit die Zukunft verhindert

6. Oktober 2017

Mit vorgefertigten Bildern im Kopf laufen wir gern herum. Bis und die Realität wieder einholt. Lindita Arapi besuchte die Städte Split und Mostar, und erlebte dort Überraschendes.

Resonanz Arapi
Bild: DW

Split, der Flughafen. Der kroatische Fahrer, der mich zum Hotel bringen sollte, öffnete die Autotür. Da, wo ich eigentlich einsteigen sollte, stieg er erstmal selber ein. "Meine Tür funktioniert nicht", sagte er, und ich sah, wie die kaputte Tür auf seiner Seite mit einer Plastikfolie von innen isoliert war. "We are trying to survive", waren seine ersten Worte, als wir fuhren. Auf meiner Seite lächelte Heidi Klum auf einer Wand mit Werbung. "Let's make wow", rief sie. In diesem Moment schien mir aber Deutschland weit entfernt, wie ein anderer Planet vom Schicksal verwöhnt.

Ich bin in Kroatien, einem EU-Mitglied mit hoffnungslosen Menschen, die grübeln, wegen dem großen Fehler in ihrem Leben, "nicht ins Ausland gegangen zu sein", wie mein Fahrer sagte.

Von der Realität verweht

"Aber Split ist doch schön, Sonne, Meer, volle Cafés, die Riva, was will man mehr" dachte ich. "Jobs, Jobs…", wiederholte der Fahrer, und ich verstand, dass das sonnige Gefühl des Südens eher die Herzen der Touristen wärmt, als die der Einheimischen.

"Und die Beziehungen Kroatiens zu den Nachbarn, was denken Sie darüber?", frage ich. Der Fahrer schüttelt den Kopf, und sagt: "Die Politik hat kein Interesse daran, dass die Situation sich bessert, wissen Sie. Man macht die anderen schlecht, mal sind es die Serben, mal die Bosnier, und die andere Seite schlägt dann zurück. Und so geht das immer weiter."

Split: Sonne, Meer, volle Cafés - alles für TouristenBild: picture-alliance/robertharding/E. Ciccomartino

In Split nehme ich Teil an dem Internationalen Literaturfestival "Poligon". Mein Fahrer hätte sicherlich die gut überlegten Sätze verschiedener Autoren aus ganz Europa bei der abendlichen Diskussion einfach mit der Wucht seiner Realität wegfegen können. Er ließ mich aber vor dem Hotel aussteigen und fuhr weiter, ich blieb alleine mit meinen Worthülsen.

Krieg, Touristen und die Wunden

Von Split in Kroatien fahren wir weiter nach Mostar in Bosnien/Herzegowina. Ich fühlte mich irgendwie schuldig, je mehr ich mich dieser Stadt näherte. Denn mir ging es besser, als einst hier die Toten auf den Straßen lagen, als die Brücke von Mostar zerstört wurde und als die Bewohner, die genau so wie ich Träume hatten, sie zerstört sahen. An einer kleinen Straße aufgereiht die Gräber junger Männer. Sie wurden im Jahr 1992 umgebracht, das Jahr in dem ich zu studieren begann. Wie wäre mein Leben geworden, wenn ich in Mostar geboren worden wäre?

Der Krieg ist längst vorbei, die Stadt renoviert, Touristen schlendern über die wieder errichtete alten Brücke - hin und zurück, hin und zurück. Überall Blitzlichter, die im Krieg zerstörten Gebäude sind ein beliebtes Fotomotiv. Man kann anscheinend auch einen Krieg in eine Touristenattraktion verwandeln.

Außerlich ist Mostar wiederaufgebaut, auch die alte Brücke Bild: DW

Die Wunden aber nicht. Vor lauter Touristen denkt man an sie zuerst nicht. Sie sind aber da und haben ein eigenes Leben. Manche sind vielleicht geheilt, manche werden im Namen der Zukunft versiegelt, manche aber werden auch eigens gepflegt. Sie sollen nie aufhören zu schmerzen, um den Feind auf der anderen Seite wach in Erinnerung zu halten.

Instrumentalisierte Verletzlichkeit

Mostar ist eine zwischen Bosniaken und Kroaten geteilte Stadt. Ein Kriegstrauma in ewiger Aktualität. Opferkonkurrenz. "Wir leben in einer Atmosphäre des Mitleids und der Bemitleidung. Einer ist ein größeres Opfer als der Andere. Sogar eine Kommerzialisierung des Leidens gibt es", kritisiert Mirko Bodzic, Schriftsteller aus Mostar.

Der Balkan bleibt so verletzlich, auch das sicherlich ein Kriegstrauma. Schwierig wird es, wenn diese Verletzlichkeit instrumentalisiert und so die Zukunft verhindert wird, wie im geteilten Mostar. Denn alle sind auf dem Balkan irgendwie verletzlich - und so schnell verletzlich. Die Seite, die meine ist, ist immer nur das Opfer, die Täter sind immer die Anderen. In dieser Reduzierung erstarrt, wird die Vergangenheit zum Hindernis und in Mostar kam mir die Frage: Mein Balkan, wann wird denn endlich deine Zukunft eingeläutet?

Zum Flughafen zurück brachte mich ein junger Moslem aus Mostar, der keinen einzigen kroatischen Freund hatte.

Lindita Arapi ist eine albanische Autorin in Deutschland. Sie hat Gedichtbände und Essays veröffentlicht. Ihr Roman "Schlüsselmädchen"  wurde in Deutschland beim Dittrich Verlag veröffentlicht. Sie ist auch Mitarbeiterin der Albanischen Redaktion der Deutschen Welle.