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Politik

Jetzt auch auf Polnisch: "Mein Kampf"

24. Januar 2021

In Polen ist eine wissenschaftliche Ausgabe von Adolf Hitlers Buch erschienen. Das Projekt ist umstritten - und das Interesse an der Edition unerwartet groß.

Die polnische wissenschaftliche Ausgabe von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" (l.) neben einer Originalausgabe des Buches von 1942 (r.) auf dem Tisch von Eugeniusz Cezary Król, Autor der Übersetzung und des historischen Kommentars der akademischen Ausgabe, in seine Wohnung in Warschau am 15. Januar 2021.
Schwarzer Titel auf rotem Hintergrund: die polnische wissenschaftliche Ausgabe von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf"Bild: Wojtek Radwanski/AFP

Fünf Jahre nach der deutschen Edition, die vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München herausgegeben wurde, kommt nun die wissenschaftliche Ausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf" in die Buchhandlungen in Polen. Eigentlich war der Verkaufsstart für den 20. Januar geplant - doch vielerorts ist das Buch bereits seit einigen Tagen zu haben.

"Wir hatten 'Mein Kampf' bereits am Samstag im Angebot. Aber alle Exemplare sind schon vergriffen. Der Chef soll am Nachmittag den Nachschub bringen. Soll ich Sie in die Warteliste aufnehmen?", fragte am Mittwoch (20.01.2021) eine Verkäuferin in der Buchhandlung Eureka im Warschauer Stadtteil Saska Kępa den Autor dieses Textes.

Die polnische kritische Ausgabe von "Mein Kampf" zwischen anderen Titeln in einer Warschauer BuchhandlungBild: Jacek Lepiarz/DW

In der Tat ist das Interesse groß: "Es gab viele Vorbestellungen im Internet. Auch die Großhändler nehmen mehr Exemplare als sonst", sagte im Gespräch mit der DW Bogusław Kubisz, stellvertretender Chefredakteur des Bellona-Verlages. Sein Verlagshaus, das sich auf historische Themen aus dem Zweiten Weltkrieg spezialisiert, hat das Projekt gewagt. "Wir hatten zunächst 4000 Exemplare gedruckt. Es sieht so aus, als ob wird bald zweite Auflage nachdrucken müssen", so Kubisz.

Das ist keine Selbstverständlichkeit in dem Land, das 1939 das erste Opfer Nazi-Deutschlands wurde und im Verlauf des Krieges sechs Millionen Menschen verlor, die Hälfte davon polnische Juden. Schon deshalb hatte der Verlag auf jegliche Werbung für "Mein Kampf" verzichtet. Ein für polnische Verhältnisse hoher Preis von 149 Złoty (ca. 36 Euro) soll zudem dafür sorgen, dass das Buch nicht in falsche Hände gerät.

Ein Kenner des Dritten Reiches

Der Bellona-Verlag hatte ursprünglich an eine Übersetzung der Münchner Ausgabe gedacht. Doch am Ende bekam der Warschauer Zeithistoriker Cezary Eugeniusz Król den Auftrag. Er gilt als ausgewiesener Kenner des Dritten Reiches, hat über NS-Propaganda publiziert und die Tagebücher von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels herausgegeben. In den Jahren 2002-2006 leitete er die Zweigstelle der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) in Berlin.

Cezary Eugeniusz Król, Zeithistoriker und Autor der polnischen kritischen Ausgabe von "Mein Kampf", mit dem BuchBild: Wojtek Radwanski/AFP

Król hat drei Jahre allein an der Übersetzung und am kritischen Apparat gearbeitet, der fast 2000 Anmerkungen umfasst. Von ihm stammt auch die Einführung, in der er auf 60 Seiten die Entstehungsgeschichte des Hitler-Buches und seine Rezeption im Dritten Reich und nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt.

Warnung vor Abbau der Demokratie

"Hitlers Buch soll als Warnung verstanden werden. Die Menschen sollen begreifen, wie schnell ein demokratisches System demontiert und in eine Diktatur umgestaltet werden kann," erklärt Król. "Das kann überall auf der Welt heute, morgen oder übermorgen passieren, wenn wir nicht wachsam sind," so der Historiker.

Die deutsche kritische Ausgabe von "Mein Kampf" erschien 2014 im Auftrag des Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München - BerlinBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schrader

Król gesteht ein, dass unter polnischen Fachkollegen die Meinungen über seine Arbeit geteilt sind. "Gegner des Projektes rieten mir: Lass die Finger davon. Du beleidigst die NS-Opfer und ihre Familien, stärkst nur die Rechtsextremisten und musst eventuell mit strafrechtlichen Folgen rechnen. Setzt deinen guten Ruf nicht aufs Spiel," erinnert sich der Historiker. Seine anfängliche Idee, das Buch in Zusammenarbeit mit der PAN zu realisieren, war am Widerstand einiger Kollegen gescheitert.

Hitlers Buch entmythologisieren

Doch Król ließ sich nicht von seiner Idee abbringen. "Jemand musste das machen", unterstreicht er. Die wissenschaftliche Ausgabe sei überfällig gewesen, zumal in Polen in den 90er Jahren zwei illegale Ausgaben von "Mein Kampf" erschienen waren - beide auf der Grundlage stark gekürzter englischen Version und ohne wissenschaftlichen Kommentar.

Eine Ausgabe von Hilters "Mein Kampf" aus dem "Dritten Reich" im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in NürnbergBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

"Hitlers Buch galt als 'verbotene Frucht', deshalb war es die höchste Zeit, dieses 'Werk' durch eine kritische Ausgabe zu entmythologisieren", argumentiert der Król.

Zu viel Kommerz?

Sein Breslauer Kollege Krzysztof Ruchniewicz sieht das Projekt skeptisch. "Es ist gut, dass 'Mein Kampf' endlich von einem professionellen Historiker in Polen herausgegeben worden ist," urteilt er. Ruchniewicz wäre allerdings lieber, wenn der Verlag die IfZ-Ausgabe, die er für vorbildlich hält, ins Polnische übersetzt hätte. "Bald kommt die französische Übersetzung auf den Markt. Der polnische Verlag hätte denselben Weg gehen sollen".

Für misslungen hält Ruchniewicz auch das Cover. Der schwarze Titel auf rotem Hintergrund fällt zwar im Schaufenster auf - aber ihm sei die graue Titelseite der deutschen Ausgabe viel lieber. "Das ist zu viel Kommerz. Muss das sein?", fragt der Direktor des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw.

Autor Król dagegen hofft auf lebhafte Debatten unter Fachleuten - und mit Leserinnen und Lesern. Leider mussten die bereits geplanten öffentlichen Lesungen wegen Covid19 vorerst abgesagt werden. Immerhin steht eine Online-Diskussion mit dem Journalisten Piotr Zychowicz auf YouTube auf dem Programm. Der lanciert in seinen Publikationen die These, Polen hätte 1939 ein Bündnis mit dem Dritten Reich eingehen sollen - gegen Stalins Sowjetunion.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.