Meine Milchstraße
9. September 2022Ich erinnere mich gut daran, wie ein Hobbyastronom in fast jeder klaren Nacht an seinem Teleskop im Garten saß, ausgerüstet mit Decken und heißem Tee. Er beobachtete immer dieselbe Stelle im Universum, und sollte er dort etwas Neues entdecken, würde er es in eine Experten-Datenbank im Internet eingeben. „Ist das nicht etwas eintönig“, fragte ich ihn, „immer dasselbe zu beobachten?“ Der Mann strahlte mich an. „Wissen Sie“, sagte er, „es vergeht keine Nacht, in der ich nicht um mein Fernrohr tanzen könnte vor Begeisterung darüber, was es da draußen alles gibt!“
Davon habe ich nur eine leise Ahnung. Was daran liegt, dass mir bislang die Geduld und Muße für ein Teleskop fehlten. Wie die meisten kenne ich Sternen-Bilder nur aus dem Fernsehen oder vom Besuch im Planetarium. Draußen bin ich schon glücklich, wenn ich die Milchstraße mit bloßen Augen zu sehen meine. Was schwer genug ist. Es ist einfach zu hell nachts. Überall strahlt die Zivilisation in den Nachthimmel, leicht zu verstehen, warum man das „Lichtverschmutzung“ nennt.
Milchstraße zum Mitnehmen
Vor einigen Wochen sah ich die Milchstraße dann doch mal ganz deutlich. Auf Kreta hatten wir einen alten Mini-Jeep gemietet. Mit offenem Verdeck fuhr ich mit meiner Familie spätabends die kleine Straße zur Bucht herunter ins Hotel. Auf der einsamen Straße war es stockduster. Ich hielt kurz an, schaltete die Scheinwerfer aus und über uns war er dann: dieser deutliche Schleier quer über den ganzen Himmel.
Wir schauten ein paar Minuten nach oben. Ich musste dabei an das alte Gebet in der Bibel denken: „Ich sehe den Himmel, deiner Finger Werk. Gott, du hast alles gemacht. Den Mond, die Sterne. Was ist da der Mensch, dass du an ihn denkst?“ (Psalm 8,4-5)
Dann stellte ich meine Kamera ein, offene Blende, Belichtung 2 Minuten. Mal sehen. Ich legte sie auf die Motorhaube, das Objektiv nach oben. Das Bild wurde etwas. Ich hatte meine eigene Milchstraße zum Mitnehmen. Mit unfassbar vielen Sternen, die auch mit belichtet wurden und die das Auge so nicht sieht. Ich war stolz wie Oskar, und meine Familie nickte anerkennend.
Zwei Tage später saß ich draußen auf der Terrasse eines Cafés. Ich ging die Aufnahmen der letzten Tage durch, löschte schnell dies und das - und auch ein schwarzes Foto. Eine Sekunde später durchfuhr es mich: War das gerade meine Milchstraße? Tatsächlich. Bei gleißendem Tageslicht war das Ganze nur ein dunkles Bild im Display. Was hatte ich getan? Och nee, Papa! sagte meine Tochter. Das Foto war verloren, aber ich habe trotzdem etwas von dieser Sternennacht mitgenommen.
Ausschau halten
Mit meinem kurzen Rendezvous mit der Milchstraße geht es mir so ähnlich wie mit Erfahrungen im Glauben. Manchmal ist Gott einfach da und nah. Der Segen ist intensiv zu spüren.
Die Familie des Säuglings steht bewegt am Taufstein. Alle sind zur Tauffeier in die Kirche gekommen. Manche spüren den Segen in den Worten und im Ungesagten, in der dichten Atmosphäre. Am Taufstein geschieht etwas, das größer ist und weiter reicht als die Alltagswelt. Ein paar Tage später aber verblasst die geistliche Erfahrung im Alltag oder sie geht sogar unter. Sie lässt sich nicht festhalten. Aber solch ein Glaubensmoment kann sich ja neu einstellen.
Der Sternengucker in seinem Garten bleibt dran und schaut immer wieder durch sein Teleskop. Ich kann auch dranbleiben und Ausschau halten, meinen Glauben stärken, nicht nur beim Beten oder in einer Kirche.
Mit Gott ist es so wie mit den Sternen: Die sind immer weiter da oben, in der Nacht wie am Tag, egal ob ich sie auf meinem Schirm oder in meiner Kamera habe oder nicht. Auch Gott bleibt und ist immer weiter da. Und er kann jederzeit wichtig werden, ins Leben kommen und glücklich machen.