Sie kämpfen gegen Kriegsverbrechen und religiöse Diktatur, protestieren und haben Wahlen entschieden. Ohne den Einsatz von Frauen wäre 2022 ein noch viel frustrierenderes Jahr gewesen, meint Astrid Prange de Oliveira.
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Auch wenn Putin weiter Krieg in der Ukraine führt und die Ajatollahs im Iran gegen ihre Regimekritiker mit der Todesstrafe vorgehen: 2022 war für mich das Jahr der Frauen. Denn Frauen führen Krieg gegen die Kriegsherren - auf ihre Weise.
Im Iran proben Frauen nach dem Tod von Mahsa Amini am 16. September den Aufstand gegen die Mullahs. Die Bilder der Iranerinnen, die sich die Haare abschneiden und den Hidschab ablegen, haben weltweit Bewunderung hervorgerufen. Ihr Aufbegehren für Frauenrechte wuchs zu einer landesweiten Bewegung gegen das Regime in Teheran. Millionen Menschen fordern Freiheit und ein Ende der Mullah-Herrschaft.
"Frau, Leben, Freiheit" - drei Monate Proteste im Iran
Der gewaltsame Tod von Jina Mahsa Amini löste im Iran die größte Protestbewegung seit Jahrzehnten gegen das repressive Herrschaftssystem der Islamischen Republik aus. Der Staat reagiert mit aller Härte. Eine Chronologie.
Bild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images
Gesicht einer Revolution
Sie ist das Gesicht des Widerstands im Iran: Am 13. September 2022 wird Jina Mahsa Amini in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet, weil ihre Kleidung und ihr Kopftuch nicht den offiziellen Regeln der Islamischen Republik entsprechen. Drei Tage später ist die 22-jährige Kurdin tot - höchstwahrscheinlich infolge der Behandlung der Sicherheitsbehörden. Ihr Tod löst eine Revolution im Land aus.
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„Frau, Leben, Freiheit!“
Am 17. September beginnt der Aufstand gegen das Mullah-Regime: Bei der Beerdigung Aminis in ihrem kurdischen Heimatort Saghes nehmen Frauen ihre Kopftücher ab, schwenken sie in der Luft und rufen "Jin, Jiyan, Azadî" - zu deutsch "Frau, Leben, Freiheit". Der Ruf wird zum Slogan der neuen iranischen Revolution. Am 40. Tag nach Aminis Tod kommen Tausende zum Friedhof.
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Aufstand gegen die Ajatollahs
Aminis Tod ist der Auftakt zu einer historischen Bewegung: Seither erschüttern Proteste gegen die repressive Regierung alle Regionen des Irans, so wie hier Ende September in Teheran. Nicht nur Frauen nehmen an den Demonstrationen teil, sondern Menschen jeden Alters und aller Ethnien und Geschlechter. Es ist der größte Aufstand gegen das Regime seit Ausrufung der Islamischen Republik Iran 1979.
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Ohne Hidschab - und mit viel Mut
Eine von vielen: Immer mehr Frauen, wie diese in der kurdischen Stadt Sanandaj, gehen ohne den obligatorischen Hidschab auf die Straße. Sie beweisen damit großen Mut: Wer gegen die Zwangsverschleierung verstößt, riskiert Peitschenhiebe und Haft. Und wie Verhaftungen im Iran enden können, hat der Fall Amini gezeigt.
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Haare zeigen - und Haltung
Doch Frauen und Mädchen lassen sich nicht einschüchtern: Diese Schülerinnen haben ihre Kopftücher abgenommen und rufen "Tod dem Diktator!" - gemeint ist Ajatollah Ali Chamenei. An den Universitäten kommt es zu Massenprotesten. Außerdem wird im ganzen Land gestreikt: Lehrkräfte, Studierende, aber auch Ölarbeiter legen die Arbeit nieder. In Kurdistan findet Anfang Dezember ein Generalstreik statt.
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Schlagstöcke gegen Protestierende
Das Regime reagiert mit massiver Gewalt: Polizei und die berüchtigten Basidsch-Milizen versuchen, die Proteste niederzuschlagen. Auf dem Foto ist zu sehen, wie sich Polizisten mit Schlagstöcken einer Gruppe fliehender Demonstrierender nähern. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass mehr als 400 Menschen von Sicherheitskräften getötet wurden, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.
Bild: AFP
Wer Widerstand leistet, wird weggesperrt
Willkür und Brutalität: Augenzeugenberichten zufolge schlagen Polizei und Milizen Demonstrierende brutal zusammen, einige sollen teilweise von hinten erschossen worden sein. Zudem kommt es zu Massenverhaftungen: 14.000 Menschen sollen wegen ihrer Teilnahme an Protesten inhaftiert sein - so wie diese in einen Polizeiwagen gesperrten Frauen in Teheran.
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Die Hölle der Häftlinge brennt
Die Gefängnisse füllen sich mit politischen Gefangenen. Besonders das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran ist ein Symbol für Repression: Hier wird die politische und intellektuelle Opposition unter katastrophalen Bedingungen eingesperrt, Überlebende berichten von Folter. Mitte Oktober brennt es in Evin; wie viele Gefangene sterben oder verschleppt werden, bleibt unklar.
Bild: UGC
Klettern ohne Kopftuch
Prominente aus Kunst, Kultur und Sport schließen sich den Protesten an. Das Team der Fußball-Nationalmannschaft weigert sich, bei der WM in Katar die iranische Nationalhymne mitzusingen. Die Kletterin Elnaz Rekabi tritt bei einem Wettkampf in Seoul ohne Hidschab an, die Bilder gehen um die Welt. Sie wird jedoch schnell zum Schweigen gebracht: Rekabi muss eine Entschuldigung abgeben.
Bild: Rhea Kang/AFP
Meine Haare, mein Leben
Weltweit erfährt die Protestbewegung viel Unterstützung: Tausende demonstrieren von Paris bis San Francisco für einen Regimewechsel in Teheran. In Istanbul schneidet sich diese Exil-Iranerin vor dem iranischen Konsulat aus Solidarität mit den unterdrückten Frauen in ihrem Heimatland die Haare ab. Prominente Frauen - und auch Männer - überall auf der Welt ahmen die Geste nach.
Bild: YASIN AKGUL/AFP/Getty Images
Leuchtende Solidarität
Das Schicksal der drangsalierten Frauen im Iran berührt die Welt - und der Aufstand der Bevölkerung erfährt viel Solidarität: Das Brandenburger Tor in Berlin wird mit den kurdischen Worten "Frau, Leben, Freiheit" angestrahlt. Das US-amerikanische Time Magazine kürt die iranischen Frauen zu den "Heldinnen des Jahres 2022“.
Bild: Markus Schreiber/AP/picture alliance
"Nein zur islamischen Republik"
Die weltweiten Proteste - hier eine Demonstration in Toronto - setzen die Regierung in Teheran unter Druck. Die zusätzlichen Sanktionen belasten die Wirtschaft des Landes massiv. Der Währungskurs des Rial ist seit September im Vergleich zu Euro und Dollar um mehr als 20 Prozent gesunken - ein Rekordtief. Schon vor Beginn der Demonstrationen befand sich das Land in einer akuten Finanzkrise.
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Galgen für "Gottes Feinde"
Teheran reagiert auf die Proteste mit noch mehr Härte. Zwei inhaftierte Demonstranten wurden bereits hingerichtet: Der Rapper Mohsen Schekari und der hier auf einem Handy-Display zu sehende Majidreza Rahnavard. Mindestens 38 weiteren inhaftierten Demonstranten droht die Exekution wegen "Feindschaft gegen Gott". Sogar Kinder können im Iran exekutiert werden.
Bild: AFP/Getty Images
"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"
Blutige Tränen: Eine Demonstrantin protestiert bei einer Partie des Irans während der Fußball-WM in Katar. Im Ausland herrscht Entsetzen über die Hinrichtungen: Die EU-Staaten verurteilen sie geschlossen und verhängten weitere Sanktionen. Die Proteste im Iran gehen indes weiter: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", kündigen die Regimegegner an. Jina Mahsa Amini soll nicht umsonst gestorben sein.
Bild: GIUSEPPE CACACE/AFP/Getty Images
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"Der nicht!"
InBrasilien hat vor allem die weibliche Wählerschaft dafür gesorgt, dass ein frauenfeindlicher und Gewalt verherrlichender Präsident abgewählt wurde. Jair Bolsonaro, der Corona als "kleine Grippe" bezeichnete, und es bedauerte, dass während der Militärdiktatur die Kritiker "gefoltert und nicht getötet" wurden, muss den Präsidentenpalast verlassen. Mit Kampagnen wie "#EleNão" (Der nicht) verhalfen Brasiliens Frauen Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der bereits von 2003 bis 2011 das Land regiert hat, zu einem knappen Wahlsieg.
Auch in den Palästinensergebietenist das Gesicht des Widerstands gegen Militärgewalt weiblich. Nach dem Tod der amerikanisch-palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh am 11. Mai 2022 führt ihre Nichte Lina eine Kampagne an, um die Verantwortlichen für den Tod zur Rechenschaft zu ziehen. Wegen ihrer erfolgreichen Kampagnenarbeit ernannte sie das US-Magazin Time zu einer der wichtigsten Nachwuchsführungskräfte im Jahr 2022.
Shireen Abu Akleh war bei der Berichterstattung über eine Razzia der israelischen Streitkräfte (IDF) im besetzten Westjordanland ums Leben gekommen. Laut einer offiziellen Stellungnahme zur abschließenden Untersuchung des Falls durch das israelische Militär "existiert eine hohe Wahrscheinlichkeit", dass die Reporterin des arabischen Senders Al Jazeera "aus Versehen bei einem Schusswechsel der IDF getroffen worden ist, der gegen bewaffnete palästinensische Schützen gerichtet war."
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Kriegsverbrechen dokumentieren
Auch in der Ukrainekämpfen mutige Frauen im Schatten von Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen russische Bomben und Kriegsverbrechen. Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matviichuk, Gründerin der Menschenrechtsorganisation "Center for Civil Liberties", will die Gräueltaten in der Ukraine, Syrien, Mali und Georgien vor ein internationales Strafgericht bringen.
Das von der Juristin 2007 gegründete Zentrum war die erste Organisation, die auf der Krim, in Donezk und Luhansk Kriegsverbrechen der russischen Armee dokumentierte. Sie wurde 2022 für ihre Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Die bewundernswerte Arbeit der Kinderärztin Irina Kondratova wurde bekannt, als der ehemalige Fußballstar David Beckham ihr seinen Instagram-Account überließ. Millionen von Menschen erfuhren so, dass die Leiterin eines Perinatalzentrums in Charkiw Schwangere sowie Neugeborene und ihre Mütter unter Lebensgefahr in einem Keller des Krankenhauses versorgte.
Auf EU-Ebene koordiniert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hartnäckig die zahlreichen Sanktionspakete gegen russische Politiker, Armee und Banken. Von der Leyen gelang es, die EU-Staaten trotz unterschiedlicher Interessen auf die Unterstützung der Ukraine einzuschwören.
Bilder der Hoffnung
Die Liste ließe sich unendlich weiter fortsetzen. All diese Frauen haben es geschafft, dass nicht nur Bilder der Gewalt, sondern auch Bilder der Hoffnung dieses Jahr prägen. Das Foto der iranischen Klettersportlerin Elnaz Rekabi, die sich bei den Asienmeisterschaften in Seoul 2022 erstmals ohne Kopftuch zeigte, ging um die Welt.
Genauso wie die millionenfach in den Sozialen Medien geteilten Bilder und Videos von Frauen, die sich überall auf der Welt aus Solidarität mit der Bewegung im Iran ihre Haare abschneiden. Und die Fotos von Neugeborenen, die während des Bombenhagels in einem Keller in der Ukraine Krieg auf die Welt kommen, und ihren Eltern einen Moment der Glückseligkeit schenken, mitten im Krieg.
Ohne diese geballte Kraft an Widerstand, Lebenswillen und Freiheitsdrang wäre 2022 ein trauriges, ja niederschmetterndes Jahr. Frauen haben sich Kriegstreibern, Folterern, Diktatoren und Soldaten entgegengestellt. In meinen Augen haben sie dafür gesorgt, dass die Hoffnung auf ein besseres Leben stärker ist als die Verzweiflung über Krieg, Gewalt und Tod.