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PolitikAsien

Alle Macht den Taliban?

7. September 2021

Die militant-islamistischen Taliban haben in Kabul Mitglieder ihrer vorläufigen Regierung vorgestellt. Außer ihnen kommt darin niemand vor. Doch ihr Totalitarismus wird keinen Frieden schaffen, meint Sandra Petersmann.

Ein Kämpfer bewacht am 17.8.2021 die erste Pressekonferenz der Taliban in KabulBild: Bashir Darwish/UPI Photo/newscom/picture alliance

Afghanistan ist ab sofort wieder ein repressives Islamisches Emirat. Um stellvertretend nur einen Namen herauszugreifen: Der amtierende Innenminister Sirajuddin Haqqani steht seit 2007 auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Das FBI hat ein Kopfgeld von zehn Millionen US-Dollar auf ihn ausgesetzt.

Sirajuddin Haqqani gilt als Al-Kaida-nah und wird für die Planung vieler großer Selbstmordanschläge in Kabul verantwortlich gemacht, darunter auch der Anschlag auf die Deutsche Botschaft im Mai 2017. Doch was bedeuten solche Personalentscheidungen der Taliban für den Alltag der Menschen?

Das Damoklesschwert der Angst

Als ich vor kurzem mit der afghanischen Politikerin Habiba Sarabi in Katar telefonierte, erzählte sie mir, dass sie sich wie "vertrocknetes Gras auf dem Wasser" fühlt - vollständig den Strömungen des Elements ausgeliefert. Sie berichtete mir mit zitternder Stimme, dass sie fürchterliche Angst vor der Rückkehr in ihre Heimat Afghanistan hat - weil sie eine politisch aktive Frau ist. Und weil sie zur mehrheitlich schiitischen Minderheit der Hazara gehört. 

Im Emirat der Taliban ist kein Platz für Politikerinnen wie Habiba SarabiBild: AP

Die Hazara werden im ganz überwiegend sunnitischen Afghanistan im Alltag oft ausgegrenzt. Doch das erste Taliban-Regime (1996 - 2001) verfolgte sie systematisch. In Masar-i-Sharif kam es 1998 zum Massenmord.

Wird Afghanistan jetzt also wieder ein Land, in dem Frauen, Minderheiten und Andersdenkende unsichtbar werden müssen, um ihr Leben zu schützen? Das persönliche Sicherheitsgefühl eines Menschen hängt nicht nur davon ab, ob jemand akut Gewalt ausübt - sondern auch vom Wissen, dass jemand jederzeit Gewalt ausüben kann. Ungestraft, weil er die absolute Macht hat. Das Damoklesschwert der Angst schwebt über allem.

Absolutismus der Sieger

Habiba Sarabi, das "vertrocknete Gras auf dem Wasser", war Teil des afghanischen Staates, der durch die westliche Intervention nach den Terroranschlägen vom 11. September entstanden war. Sie war die erste Gouverneurin einer Provinz. Sie war Frauenministerin und Vizepräsidentschaftskandidatin. Und sie gehörte zu den vier Frauen, die bis vor wenigen Wochen mit den Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha vergeblich über Frieden verhandelten.

DW-Redakteurin Sandra Petersmann berichtet seit 2001 über AfghanistanBild: DW/R. Oberhammer

Doch die Taliban haben die Islamische Republik Afghanistan, für die Sarabi einstand, besiegt und abgeschafft. In ihrem Islamischen Emirat besetzten Frauen keine politischen Ämter mehr. Auch männliche Repräsentanten der untergegangenen Ordnung sucht man vergeblich im Emirat - trotz aller Beteuerungen der Taliban, ein "inklusives islamisches System" aufbauen zu wollen.

Das neue Taliban-Regime ist eine absolutistische Regierung der Sieger. Ohne Frauen. Ohne Minderheiten. Ohne andere. Damit begehen die Fundamentalisten den gleichen katastrophalen Fehler wie die internationale Staatengemeinschaft. Auch die USA und ihre Verbündeten hatten es Ende 2001 arrogant abgelehnt, mit den Verlierern - den gestürzten Taliban - zu verhandeln.

Wie geprügelte Hunde

Das Ergebnis ist bekannt: Der Afghanistan-Krieg eskalierte. USA und NATO trugen ihn in die afghanischen Dörfer. Den Preis zahlte die Zivilbevölkerung. Die internationalen Truppen schlichen nach 20 Jahren wie geprügelte Hunde vom Schlachtfeld, und die Taliban berauschen sich jetzt an ihrem Sieg über die Supermacht.

Doch auf dem Schlachtfeld zu triumphieren ist etwas ganz anderes, als ein verarmtes, multiethnisches Land mit 38 Millionen Menschen im 21. Jahrhundert zu regieren. Es gibt schon jetzt bewaffneten Widerstand. Und Straßenproteste von mutigen Frauen und Männern. Die Kämpfer und Demonstranten filmen mit ihren Smartphones und schicken ihre Videos an ein globales Publikum.

Bittere Armut und Hunger

Die Not der Menschen in Afghanistan ist riesig. Millionen leiden Hunger und irren als Flüchtlinge durchs eigene Land - entwurzelt durch eine anhaltende Dürre und Gewalt. Die UN warnen vor einer Katastrophe, vor einer neuen afghanischen Fluchtbewegung.

Die Finanzhilfen der internationalen Staatengemeinschaft, von denen Afghanistan nach insgesamt vier Jahrzehnten Krieg komplett abhängig ist, sind seit der Machtübernahme der Taliban eingefroren. Die Wirtschaft kollabiert, die humanitäre Hilfe stockt. Es wäre die oberste Pflicht einer neuen afghanischen Regierung, ihrer Bevölkerung zu helfen und sie zu schützen.

In Kabul demonstrieren mutige Frauen am 7.9.2021 gegen das Regime der Taliban und seine Unterstützer in PakistanBild: HOSHANG HASHIMI/AFP

Und was machen die Taliban? Sie beenden friedliche Demonstrationen mit roher Gewalt. Sie suchen die Entscheidungsschlacht im Pandschir-Tal. Sie bestrafen Journalisten. Sie verbieten Musik. Sie schreiben Studentinnen vor, wie sie sich zu verhüllen haben. Sie leugnen tödliche Racheakte, die nachweislich passiert sind.

Rezept für Desaster

Die militanten Islamisten werden das Land auf Dauer nicht mit Gewalt, Unterdrückung und Verboten regieren können. Auch nicht mit Ignoranz, Schönreden und Lügen. Das lehren nicht zuletzt die Niederlagen der ehemaligen Sowjetunion und der westlichen Demokratien auf dem afghanischen Schlachtfeld.

Der Demokratieversuch in Afghanistan ist gescheitert, weil er einseitig, ignorant, halbherzig und machtgierig umgesetzt wurde. Der neue Anlauf der Taliban, aus Afghanistan wieder ein totalitäres Emirat zu mache, ist ein todsicheres Rezept, das Desaster zu verschlimmern. Hunger, Ungerechtigkeit und Verzweiflung sind gefährliche Feinde - auch für vermeintlich absolute Sieger.

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