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Politik

Alle gegen Orban

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
25. Juni 2021

Die EU-Regierungschefs haben dem Ungarn Viktor Orban wegen des diskriminierenden Anti-LGBTQ-Gesetzes deutlich die Meinung gesagt. Doch diese politischen Prügel hätten viel früher kommen müssen, meint Barbara Wesel.

Ungarn Premierminister Viktor Orban wusste schon bei der Ankunft in Brüssel, was auf ihn zukommtBild: John Thys/AP Photo/picture alliance

Na endlich! Alle die seit Jahren meinen, die EU müsse dem "kleinen Diktator" Viktor Orban die rote Karte zeigen, kamen am Donnerstag auf ihre Kosten. Es war wie auf dem Schulhof, wo sich nach Jahren der Nichteinmischung die Mehrheit endlich den herrschenden Rowdy vornimmt und ihn nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Als Zuschauer schaut man befriedigt zu - bloß hätte das alles schon Jahre früher passieren müssen.

Das indiskutable Gesetz, das Homo-, Bi-, Transsexuelle und andere diskriminiertund in den Zusammenhang mit Pädophilen stellt, hat zu einem Ausbruch von Wut beim EU-Gipfel geführt, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Normalerweise herrschen die Regeln höflicher Kollegialität. Aber damit war Schluss, denn reihenweise nahmen sich die Regierungschefs den Ungarn vor und erklärten ihm, wie undemokratisch, diskriminierend, homophob und rundum unerträglich sie sein neues Gesetz finden.

Orban ziemlich allein

An seiner Seite hatte Viktor Orban nur den polnischen und den slowenischen Regierungschef. Und dann entblödete sich der Ungar nicht, vor Journalisten zu behaupten, sein Gesetz solle allein dem Schutz von Kindern dienen. Als ob die dummdreiste Ausrede verschleiern könnte, dass Orban hier den Kulturkampf gegen liberale Werte eröffnet hat.

DW-Europa-Korrespondentin Barbara Wesel

Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel sprach beim Gipfel bewegend über sein Coming-out, seine eigene Homosexualität und frühere Identitätsprobleme. Wenn Viktor Orban sich noch schämen könnte, wäre dies der Moment dafür gewesen. Aber er folgt schon seit Jahren einem Masterplan, an dessen Ende die Zementierung seiner Macht als autokratischer Herrscher seines kleinen Landes steht, getragen von einer Clique ergebener Kumpane, die er mit EU-Geldern füttert.

Das alles ist nicht im Verborgenen passiert. Viktor Orban hat seine Pläne vor den Augen Europas umgesetzt und seine "illiberale Demokratie" sogar noch als neues Politikmodell verkauft. Das Ergebnis ist eine perfekte Kleptokratie, die absolute Herrschaft der Straßenräuber. Mit dem Anti-LGBTQ-Gesetz aber ging Orban einen Schritt zu seit. Die öffentliche Meinung im Westen gegen derartige Diskriminierung ist inzwischen so stark, dass sich die EU-Regierungschefs zornentbrannt gegen ihn zusammenrotteten.

Die Wut der Europäer kommt zu spät

Bloß wo waren sie denn früher? Etwa Mark Rutte mit seinem starken Spruch, dass so ein Land nicht mehr in die EU gehöre? Der Belgier, der den schönen Satz prägte man könne sich Homosexualität nicht aussuchen, aber es gebe keine Entschuldigung für Homophobie. Und schließlich die Bundeskanzlerin, die Orbans Gesetz ebenfalls klar verurteilte.

Gerade sie und ihre Partei haben jahrelang die Hand über Orban gehalten, seine anti-demokratische Entwicklung unter dem Schutz der mächtigen EVP im Europaparlament gedeckt, Kritik von ihm ferngehalten und letztlich seine Machtübernahme in Budapest ermöglicht. Da werden jetzt über das schwulen- und lesbenfeindliche Gesetz durchaus auch Krokodilstränen vergossen.

Orbans Aufstieg stammt direkt aus dem Handbuch des Totalitarismus: Erst werden die Medien aus- und gleichgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz zerstört, die Institutionen durch korrupte Mittäter unterwandert. Dann wird die Zivilgesellschaft ausgetrocknet und die Freiheit von Wissenschaft und Kultur ausgehöhlt. All dem haben die anderen europäischen Regierungschefs seit Jahren zugeschaut und Orban bei jedem Gipfel freundlich die Hand geschüttelt.

Gibt es einen Weg zurück? 

Jetzt über die Untergrabung demokratischer Werte zu klagen, ist Klagen über verschüttete Milch. Ihr habt diese Schlange an eurem Busen genährt, liebe Europäer, jammert jetzt nicht, dass sie giftig ist! Tatsächlich fehlen der EU schlagkräftige Instrumente, Machthaber wie Orban in die Schranken zu weisen. Erst wenn man ihm den Geldhahn zudrehte, könnte man ihm schaden und seine Macht begrenzen. Aber das ist weiterhin sehr schwierig. Angela Merkel fand den Corona-Fonds wichtiger, als den kleinen Donau-Diktator einzuhegen und schloss im vorigen Jahr einmal mehr einen faulen Kompromiss.

Hoffnung entsteht eher, wenn Orbans Exzesse jetzt die Opposition vereinigen. Da kann die EU vielleicht mit Exil-Medien helfen, um ihr im Wahlkampf eine Chance zu  geben. Und natürlich muss endlich die Verwendung jedes einzelnen Euro, der aus Brüssels Kassen nach Ungarn fließt, unter die Lupe genommen werden. Hetzt ihm die Buchprüfer und Staatsanwälte auf den Hals! Dann wird Orbans Leben schon weniger gemütlich.

Ungarns gelenkte Medien haben jetzt übrigens verbreitet, George Soros, der jüdische Finanzier und frühere Förderer Orbans, hätte den Streit über das LGBTQ-Gesetz angezettelt. Das ist antisemitische Schmierenpropaganda nach Art nationalsozialistischer Art - da müssten die EU-Regierungschefs bei ihrem nächsten Treffen den Ungarn eigentlich gleich wieder wegen Faschismusverdacht in die Mangel nehmen. Auch über solchen Dreck haben sie viel zu lange hinweg gesehen.

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