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GesellschaftNordamerika

Angst unterm Regenbogen

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
20. November 2022

Die Massenschießerei vom Wochenende im US-Bundesstaat Colorado erschüttert die ohnehin angegriffene Community und ist wahrscheinlich auch ein Resultat der politischen Hass-Kultur, kommentiert Ines Pohl.

Polizeieinsatz nach Schüssen in einem Nachtclub in Colorado SpringsBild: KTTV/AP/picture alliance

Es gehört für viele Republikaner mittlerweile zum guten Ton, sich über Schwule und Lesben lustig zu machen. Wie keine andere Gruppe standen Transmenschen im Mittelpunkt hunderter Wahlkampfauftritte in den vergangenen Monaten. Der Kampf um die Deutungshoheit darüber, was die wirklichen amerikanische Werte sind, hat sich auf Pronomen fixiert.

Ted Cruz zum Beispiel, Senator aus Texas und möglicher Präsidentschaftskandidat, lässt keine Rede aus, um zu betonen, dass seine Pronomen "Kiss my Ass" sind. Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis - auch er ein möglicher Präsidentschaftsanwärter - hat den Kampf gegen Regenbogen-Familien in den Mittelpunkt seiner politischen Agenda gestellt. Und das, obwohl in seinem eigenen Bundesstaat vor sechs Jahren 49 Menschen im Gay-Club Pulse ermordet wurden. 

Konservative Rechte fokussiert sich auf LGBTQ+ 

Tödliche Angriffe auf Schwule und Lesben sind nichts Neues. Aber die Schießerei vom Wochenende findet in einem neuen, zunehmend aufgeheizten politischen Umfeld statt. Nachdem der landesweite Schutz von Abtreibungsrechten durch den Obersten Gerichtshof im Sommer gekippt wurde, fokussiert sich die konservative Rechte auf die Einschränkung der Gleichberechtigung von LGBTQ+-Menschen. 

In Schulen werden Aufklärungsangebote und Beratungseinrichtungen abgeschafft, Bücher verboten, und LGBTQ+-Lehrpersonal angehalten, ihre "persönliche Neigung" nicht zu thematisieren. 

Dass die jüngste Attacke dabei im Bundesstaat Colorado passiert ist, passt auf tragische Weise in die politische Landschaft. Im überwiegend liberalen Colorado, das mit Jared Polis einen Schwulen zum Gouverneur gewählt hat, gibt es extrem konservative Regionen. 

Angriff auf Abtreibungsklinik 

Colorado Springs ist eine davon. Hier wurden an diesem Wochenende mindestens fünf Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ermordet. 2015 wurden in einer Abtreibungsklinik drei Menschen ermordet und neun verletzt. 

Ines Pohl ist DW-Korrespondentin im Studio WashingtonBild: DW/P. Böll

Die Stadt beheimatet nicht nur die US Air Force Academy, sondern auch die  Headquarters der landesweiten evangelikalen Gruppe "Focus on the Family".  

Wie in einem Nukleus prallen hier die beiden Gesellschaftsentwürfe aufeinander: Sind die USA ein offenes, modernes Land? Oder sind sie steckengeblieben in einem rückwärtsgewandten Rollenverständnis von Mann und Frau und Familie? Es sind Orte wie Colorado Springs, in denen der tödliche Kampf um die liberalen Rechte in den Vereinigten Staaten gekämpft wird. 

Es sind Massaker wie von diesem Wochenende, die die LGBTQ+-Gemeinde, die durch die aktuellen politischen Verunglimpfungen und gesellschaftlichen Ausgrenzungen sowieso erschüttert ist, weiter verunsichern. 

Oder wie Brandon Wolf, ein Überlebender des Pulse-Massakers, mir am Sonntagmorgen geschrieben hat: "Die Situation wird immer schlimmer. Und wir gehen nirgendwo mehr hin, ohne Angst zu haben, das nächste Opfer zu sein. Die Rhetorik des Hasses zeigt Wirkung."