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PolitikEuropa

Baerbocks verbale Abrüstung in Moskau

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
18. Januar 2022

Ihre erste Reise als Außenministerin nach Kiew und Moskau hat Annalena Baerbock souverän gemeistert. Doch ihre wirkliche Feuertaufe kommt erst noch, meint Roman Goncharenko.

Auge in Auge mit dem dienstältesten Außenminister der Welt - Annalena Baerbock in MoskauBild: Janine Schmitz/photothek.de/picture alliance

So weit sind wir gekommen: Deutsche versuchen Russen davon abzuhalten, Ukrainer zu überfallen. In der Ukraine war das ein bitterer Spruch während der Krim-Annexion 2014 und bei diversen Verhandlungsrunden zur Ostukraine danach. In diesen Tagen ist er leider wieder aktuell, wie die erste Reise der neuen Bundesaußenministern Annalena Baerbock nach Kiew und Moskau zeigt: Es geht darum, einen neuen Krieg zu verhindern.

Doch nicht nur wegen der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine und Moskaus Drohungen Richtung Westen war die Spannung besonders groß. Was gab es nicht alles für Spekulationen über einen möglichen Showdown zwischen Baerbock und dem langjährigen russischen Außenminister Sergej Lawrow. Wird der erfahrene und schlagfertige Karrierediplomat die deutlich jüngere deutsche Amtskollegin vorführen wie im vergangenen Jahr erst den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell? Wird es einen verbalen Schlagabtausch geben wie mit Baerbocks Amtsvorgänger Heiko Maas? Wird Baerbock ähnlich hart argumentieren, wie sie das in der Vergangenheit in Talkshows tat?

Auf Merkels Spuren 

Überraschung: Nichts davon geschah. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag in Moskau praktizierte Baerbock verbale Abrüstung, betonte Gemeinsamkeiten in Kultur und Wirtschaft, trug sicher und ruhig ihre politischen Botschaften vor. Sie rief zum Dialog und Diplomatie im Russland-Ukraine-Konflikt auf und sparte nicht mit Kritik an der russischen Innenpolitik. So erwähnte Baerbock, wenn auch nur flüchtig, den inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny und die jüngst aufgelöste Menschenrechtsorganisation "Memorial". 

DW-Redakteur Roman Goncharenko

Besonders angenehm für Lawrows Ohren dürften Baerbocks Worte über den weiter bestehenden Bedarf an russischem Gas gewesen sein. Die Frage nach der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2, die Baerbock als Oppositionspolitikerin infrage gestellte hatte, umschiffte die Außenministerin gekonnt mit dem Verweis auf den Koalitionsvertrag und das europäische Energierecht. Das war vernünftig, denn schließlich will Baerbock mit den Russen im Gespräch bleiben. Ihr Auftritt in Moskau erinnert stark daran, wie Angela Merkel stets gegenüber Russland auftrat: sachlich, respektvoll und doch mit klarer Kritik. Das verdient Anerkennung.

Lawrow seinerseits verzichtete auf seine üblichen Sticheleien, wiederholte frühere Botschaften und signalisierte Bereitschaft zu einer Verbesserung der Beziehungen mit Berlin, die zuletzt auf einem historischen Tiefpunkt angelangt waren. Klar ist: Moskau hat kein Interesse daran, das Verhältnis zu der neuen Bundesregierung sofort aufs Spiel zu setzen.

Wieder einmal Pendeldiplomatie          

Anders als erwartet war diese Reise noch keine wahre Feuertaufe für Baerbock - die steht ihr noch bevor. Sie war auf jeden Fall der Beginn traditioneller Pendeldiplomatie. Schon in den kommenden Tagen will die Außenministerin wieder in die Ukraine reisen, diesmal ganz in den Osten, wo sie zusammen mit ihrem französischen Kollegen Gebiete in der Nähe der faktischen Frontlinie besuchen wird. Danach will sie das Normandie-Format wiederbeleben. Eine Grundlage dafür hat Barebock versucht jetzt zu legen. Man kann nur hoffen, dass dies klappt.

Vielleicht könnte der Verweis auf die Geschichte dabei helfen: Sowohl in der Ukraine als auch in Russland erinnerte die Außenministerin an die dunklen Seiten deutscher Vergangenheit mit Blick auf die beiden Länder. In Kiew begründete sie damit auch die erneute Absage an den ukrainischen Wunsch nach Waffenlieferungen aus Deutschland. Eine richtige Entscheidung: Deutschland soll lieber stärkeren wirtschaftlichen Druck auf Moskau ausüben, statt Waffen an Kiew und damit Munition für die russische Propaganda zu liefern.

Die Ukraine dürfte künftig zu Recht noch stärker darauf verweisen, dass die deutsche Verantwortung für Nazi-Verbrechen in der Sowjetunion nicht nur für Moskau, sondern auch für Kiew gilt. Mit anderen Worten: Berlin muss sich allein aus historischer Verantwortung stärker engagieren. Vielleicht sind die Deutschen tatsächlich die einzigen, die Russland noch von einem neuen Krieg in der Ukraine abhalten können.

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