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Politik

Boris Johnson ist noch einmal davongekommen

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
7. Juni 2022

Das Misstrauensvotum in der eigenen Partei gewann er mit mäßiger Mehrheit. Von diesem "Sieg" wird sich Johnson kaum erholen können, denn die Königsmörder unter den Tories lauern in seinem Rücken, meint Barbara Wesel.

Boris Johnson in seinem BüroBild: Simon Dawson/Photoshot/picture alliance

Die eine Botschaft ist, dass das "eingefettete Schweinchen", wie der frühere Premierminister David Cameron seinen Freund Boris Johnson gern zu nennen pflegte, seinen Gegnern wieder einmal durch die Finger geflutscht ist. Die andere Nachricht heißt jedoch, dass der britische Regierungschef das Misstrauensvotum unter den eigenen konservativen Abgeordneten schlechter bestanden hat als vor drei Jahren seine Amtsvorgängerin Theresa May. Kaum ein Umstand dürfte Johnson mehr ärgern. 

Ein Sieg, der die Niederlage in sich trägt 

Die historischen Vorbilder sind für den Premierminister nicht gerade ermutigend. Theresa May trat sechs Monate später zurück, nachdem nur noch 60 Prozent ihrer Abgeordneten zu ihr stehen wollten. Ihre politische Lage war unhaltbar geworden, auch weil ein gewisser Boris Johnson im Hintergrund so lange intrigierte, bis sie entnervt das Handtuch warf. John Major wiederum überstand 1993 das Misstrauensvotum wegen des EU-Maastricht-Vertrages und verlor dann krachend die nächsten Wahlen. Die Zeichen an der Wand sehen nicht gut aus für Johnson.   

DW-Europakorrespondentin Barbara Wesel

Der britische Premier müsste eigentlich die Abstimmung in seiner Partei als ernsthafte Warnung sehen. Aber der Meister der Kurzfristigkeit in der Downing Street brilliert unter anderem darin, sich die politischen Tatsachen nach Gutdünken zurecht zu biegen. Er wird die Tatsache, dass immerhin 59 Prozent seiner Abgeordneten ihm das Vertrauen ausgesprochen haben, als einen Sieg auslegen, der ihm den Auftrag zum Weitermachen gibt. Schließlich ist er jetzt ein Jahr lang sicher vor weiteren Angriffen aus den eigenen Reihen.   

Oder wie die Stimme seines Herrn, der Minister für Brexit-Chancen Jacob Rees Mogg formulierte: Auch eine Mehrheit von einer Stimme ist eine Mehrheit. Das ist ganz im Sinne von Boris Johnson, aber ein Irrtum. Denn er hat spätestens durch dieses Votum seine besondere politische Kraft verloren, nämlich die des glänzenden, immerwährenden politischen Siegers. Der Lack ist ab und der Premier unheilbar beschädigt. Wie lange er sich auch noch im Amt halten mag, so dürfte Johnson bestenfalls noch weiter hinken statt große Sprünge zu machen.    

Eine Abstimmung über den Charakter  

Als Abstimmung über den Charakter dieses Premierministers ist das Ergebnis ein Debakel. Denn Auslöser für die wachsende Unzufriedenheit in den eigenen Reihen war der Skandal um die Lockdown-Partys in der Downing Street. Nicht einmal, sondern mehrfach hatten Boris Johnson und seine engsten Mitarbeiter gegen die strengen Isolationsregeln verstoßen, die sie selbst den Bürgern auferlegt hatten. Die sozialen Medien sind voll von Berichten wütender Briten, die während der Pandemie ihre sterbenden Angehörigen in den Krankenhäusern allein lassen mussten, während im Regierungssitz fröhlich gefeiert wurde. Bei der anschließenden Befragung im Unterhaus belog der Premier dann auch noch das Parlament und leugnete jeden Regelverstoß. Das reicht an sich als Grund für Rücktritt oder Rauswurf.  

"Tatort": Downing StreetBild: Matt Cardy/Getty Images

Als Johnson ins Amt kam, schrieb der frühere Chefredakteur der Tory-nahen Zeitung "The Telegraph" über seinen ehemaligen Mitarbeiter Boris Johnson, er sei bei aller Begabung als politischer Alleinunterhalter "zutiefst untauglich" für ein hohes Regierungsamt und getrieben von Eitelkeit und Eigeninteresse. Freund und Feind in der konservativen Partei kannten dieses Urteil und viele haben es wohl geteilt. Aber nach seinem erdrutschartigen Wahlsieg vor zweieinhalb Jahren waren sie bereit, über alle Mängel des Siegertypen Johnson hinwegzusehen.  

Inzwischen aber glauben 60 Prozent der Briten, er müsse zurücktreten oder aus dem Amt gejagt werden - sein Nimbus ist dahin. Die Kommunalwahlen im Mai brachten bereits herbe Verluste für die Tories und die nächsten Nachwahlen dürften auch verloren gehen. Aus den großen Projekten des Premiers, von der wirtschaftlichen Aufholjagd im britischen Norden bis zur Reform des Gesundheitswesens ist nichts geworden. Stattdessen wird seine Regierung getrieben von steigenden Lebenshaltungskosten und einer drohenden Verarmung der Bevölkerung.  

Es sind schlechte Zeiten ...

... für einen wie Boris Johnson, der sich eher in der Darstellungskunst statt in politischer Substanz profiliert hat. Jede Abstimmung im Unterhaus wird für ihn künftig zur Bewährungsprobe - und das Drama in London wird weitergehen. Die seriöse Politik aber, die das Land und viele seiner Parteifreunde von ihm verlangen, kann der Premierminister nicht liefern. Boris Johnson war ein Medien-Star, bevor er in die Politik ging und schaffte es dann nicht, zum Politiker zu werden. Sein spezielles populistisches Modell ist am Montagabend im Wahlbüro der britischen Tories gescheitert.

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