1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Johnsons Brexit-Chaosstrategie

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
10. September 2020

Was will der britische Premier eigentlich mit seinem Schlag gegen das EU-Austrittsabkommen erreichen? Barbara Wesel fragt sich: Will er einen No-Deal oder pokert er um ein besseres Handels-Abkommen?

Bild: AFP/N. Halle'n

Man kann einen internationalen Vertrag nicht "ein bisschen" brechen, das wäre wie ein bisschen schwanger. So aber hatte der britische Nordirlandminister Brandon Lewis den Verstoß gegen das Austrittsabkommen mit der EU im Unterhaus angekündigt, und dabei ganz unbekümmert ausgesehen. Ein Fall von Unverschämtheit oder Dummheit - wahrscheinlich ist es letzteres.

Über die Qualität der meisten Minister in Boris Johnson Kabinett ist schon längst alles gesagt. Er hat sich mit unerfahrenen Ja-Sagern von zweifelhafter intellektueller Qualität umgeben, weil sie einfacher zu kontrollieren sind. Im Fall von Gesundheitsmister Matt Hancock verschaffte das den Briten die bisher dritthöchste Todesrate während der Corona-Pandemie in Europa. Bis auf den Schatzkanzler und den cleveren Ehrgeizling Michael Gove kommt Johnsons Personal aus der untersten politischen Schublade.

Johnsons Chaos-Strategie

Der erneute Beweis dafür ist, dass es von den Ministern keiner wagt, die neue Chaosstrategie des Premiers beim Brexit infrage zu stellen. Sie alle wären von Amts wegen verpflichtet, das sogenannte Binnenmarktgesetz abzulehnen, weil es einen eklatanten Rechtsverstoß darstellt und sie Recht und Gesetz achten müssen. Eigentlich.

Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin

Aber was der Premierminister von der Rechtsstaatlichkeit hält, hatte er ja schon im vorigen Jahr gezeigt, als er kurzerhand das Parlament in Zwangspause schickte. Für Johnson und seinen populistisch-diabolischen Einflüsterer Dominic Cummings sind solche Grundsätze lästige Hindernisse. Je schneller man sich dieser Fesseln entledigt, desto freier kann man agieren.

Die düsteren Drohungen altgedienter Konservativer, wie des früheren Premier John Major, Großbritannien gerate in Gefahr international das Vertrauen seiner Partner zu verspielen, dürften Boris Johnson dabei eher beflügeln. Gesetzlose Autokraten und Schurkenstaaten müssen schließlich auf niemanden Rücksicht nehmen und können die volle Kontrolle über Freund und Feind ausüben, soweit die das denn zulassen. Und hatte er nicht genau das mit dem Brexit versprochen?

Nur schwache Sicherungen im Mutterland der Demokratie

Die Briten aber schauen verständnislos zu, wie der Premierminister Donald Trumps Gebrauchsanweisung für Populisten nachstellt. Die institutionellen Sicherungen im sogenannten Mutterland der Demokratie erweisen sich als schwach, jahrhundertealte Traditionen stürzen ein wie Kartenhäuser und nennenswerter Widerstand ist nicht vorhanden. Boris Johnson schafft größtmögliches politisches Chaos, um sein Versagen bei der Epidemie zu verstecken und seine Macht zu zementieren.

In dieser Rahmenhandlung spielt das kleinere Drama um das Brexit-Abkommen. Die Europäer haben beschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Statt den Briten die Lappen vor die Füße zu werfen, stellen sie zunächst ein Ultimatum und drohen mit rechtlichen Schritten erst dann, wenn das umstrittene Gesetz verabschiedet wird. Und natürlich kann es kein Handelsabkommen geben, wenn die Briten das Nordirland-Protokoll nicht einhalten.

Politik mit der Abrissbirne

Dass Johnson die heikle Nordirlandfrage benutzt, um einen Brandsatz an das Austrittsabkommen mit der EU zu legen, beweist nur einmal mehr seine politische Haltlosigkeit. Welche Folgen seine Handlungen für den Frieden in der Region haben könnten, scheint dem Premier völlig egal, solange er die Brexit-Hardliner in seiner Partei zufrieden stellt. Das ist Politik mit der Abrissbirne. 

Aber was will Johnson eigentlich? Die Handelsgespräche torpedieren und die Schuld der EU in die Schuhe schieben? Zielt er tatsächlich auf einen No-Deal ab? Oder will er mit seinen Attacken die EU nervös machen, so dass sie ihm am Ende doch einen besseren Handelsvertrag gibt? Unter den Beobachtern der Downing Street kursieren beide Auslegungen und Wettlustige kommen auf ihre Kosten. .

Keine "Freunde und Partner" mehr

Jedes Mal, wenn Boris Johnson von den "Freunden und Partnern" in Europa spricht, stellt sich leichter Brechreiz ein. Die Heuchelei ist zu offenkundig. Jetzt aber liefert er den Beweis, dass er überhaupt keine Beziehung mit der EU mehr will - keine freundschaftliche und nicht einmal eine geschäftsmäßige. Er zerstört jede Vertrauensbasis und tut dabei, als ob nichts wäre.

So etwas kann Donald Trump sich leisten, als Präsident einer Weltmacht. Beim Premier eines mittelgroßen Landes am Rande Europas aber weist solches Verhalten auf einen Schuss Wahnsinn. Mit wem will er sich denn künftig verbünden, mit wem Geschäfte machen? Wie soll Großbritannien nach einem harten Brexit leben, wenn die Europäer vielleicht wegen Irland einen Handelskrieg lostreten? Auch Johnson-Kenner haben auf diese Fragen keine Antworten.

Alle aber, die Großbritannien einmal schätzten oder liebten, erkennen das Land nicht mehr wieder. Die Briten haben uns verlassen. Und das gilt weit über den Brexit hinaus.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen