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Politik

Meinung: Brasilien hat Bolsonaro nicht verdient

17. Januar 2021

"Nur Gott kann mich abberufen"? Bolsonaros antidemokratische Phrasen sind angesichts des Corona-Massensterbens in Brasilien unerträglich. Der Präsident sollte seines Amtes enthoben werden, meint Astrid Prange.

Anti-Bolsonaro-Projektion auf einer Hauswand in Sao Paulo: Wieviele Tote fehlen bis zum Impeachment? Bild: Amanda Perobell/REUTERS

Es ist still geworden in Brasilien. Gespenstisch still. Das Massensterben in der Amazonasmetropole Manaus hat das Land vor Schmerz verstummen lassen. Und erneut die Frage aufgeworfen: Wer ist dafür verantwortlich?

Es ist eine Stille vor dem Sturm, der jederzeit losbrechen kann. Gegen Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der jede Verantwortung für das katastrophale Krisenmanagement in der Corona-Pandemie von sich weist. Und gegen den brasilianischen Kongress, der bisher über keinen der mehr als 60 Anträge für ein Amtsenthebungsverfahren abstimmte.

Fatale Verharmlosung

Brasilien ist meine zweite Heimat. Ich fühle mich diesem Land seit 30 Jahren verbunden. Ich bewundere die Brasilianer für ihre Lebensfreude, Liebenswürdigkeit und Leichtigkeit. Wie viele Millionen Brasilianer schmerzt es mich, ohnmächtig dabei zuzusehen, wie das Land in Trauer und Verzweiflung versinkt.

Schaffen es die Kritiker Bolsonaros in diesem Moment der Verzweiflung, den Präsidenten des Amtes zu entheben? Einen Präsidenten, der Corona als "kleine Grippe" verharmlost und seinen Landsleuten frei von jeglicher Empathie verkündet, dass "wir alle eines Tages sterben müssen"? Oder schafft es der Präsident, seine politischen Gegner weiterhin zu diffamieren, um dann ihre Konzepte zu übernehmen?

DW-Redakteurin Astrid Prange de OliveiraBild: DW/P. Böll

Im Fall des Familienbeihilfeprogramms "Bolsa família" hat diese Taktik funktioniert. Trotz heftiger Kritik führte Bolsonaro das 2003 von Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva eingeführte Programm fort. Während der Pandemie baute er es zu einem sozialen Nothilfeprogramm aus, was seine Beliebtheit beträchtlich steigerte.

Außerdem ließ es sich der Präsident trotz seiner politischen Feindschaft zu China und der beinahe täglich zur Schau gestellten Impfskepsis nicht nehmen, sechs Millionen Dosen der von ihm gebrandmarkten "chinesischen Impfung" Coronavac zu ordern.

Streiten statt impfen

Über 200.000 Menschen sind in Brasilien bereits an Corona gestorben. Und während andere Länder bereits vor Monaten angefangen haben, ihre Bevölkerung zu impfen, gewährte die brasilianische Regulierungsbehörde Anvisa den beiden Impfstoffen Coronavac und AZD 1222 von der britisch-schwedischen Firma AstraZeneca erst am 17. Januar eine Notfallzulassung.

Nach dem Drama in Manaus könnte es nun eng werden für Bolsonaro. Seine "politischen Freunde" sind entweder aus dem Amt gewählt worden, wie Donald Trump. Oder sie haben die Flucht nach vorn angetreten. So will Israels Premier Benjamin Netanjahu mit einem Impfmarathon die bevorstehenden Wahlen am 23. März gewinnen. Mehr als zwei Millionen Israelis sind bereits gegen COVID-19 geimpft.

In den USA und Großbritannien läuft die Immunisierung der Bevölkerung ebenfalls auf Hochtouren. Und in Indien und Indonesien haben groß angelegte Impfkampagnen angefangen. Nur in Brasilien mit 8,5 Millionen Corona-Infektionen ist außer politischem Streit über Impfungen noch nichts passiert.

Präsident von Gottes Gnaden?

Bolsonaro bleibt nichts anderes übrig, als sich selbst zu loben. "Niemand würde die Krise besser managen, als es meine Regierung macht", erklärte er am Freitag in einem Interview mit dem brasilianischen Fernsehsender Bandeirantes. "Ich mache meine Arbeit weiter. Nur Gott kann mich abberufen."

Was für eine antidemokratische Offenbarung! Doch auch für Bolsonaro gilt: Brasilien ist Gott sei Dank eine Demokratie. Die Zeiten, in denen Herrscher von Gottes Gnaden eingesetzt wurden, sind seit über 200 Jahren vorbei.

Und Gott sei Dank setzen auch diejenigen Brasilianer ihre Arbeit fort, die den Präsidenten des Amtes entheben wollen. Denn ein Präsident, der vom Volk gewählt wurde, kann auch von ihm beziehungsweise seinen gewählten Vertretern des Amtes enthoben werden - so sieht es die brasilianische Verfassung vor.

Angesichts der Zuspitzung der Coronakrise hat die Mobilisierung für ein Impeachment von Bolsonaro erneut Fahrt aufgenommen. Möge sich die Stille des Schmerzes und der Trauer in einen politischen Sturm der Entrüstung verwandeln, der Bolsonaro und seine Anhänger aus dem politischen Leben des Landes fegt! Brasilien hat diesen Präsidenten und dieses Leid nicht verdient.

Bolsonaro und seine politischen Unterstützer haben Brasilien in einen Abgrund geführt, aus dem sich das Land nur mühsam wieder befreien kann. Jeder Tag, den dieser Präsident im Regierungspalast in Brasília verbringt, ist einer zu viel.

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