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PolitikEuropa

Butscha: Die Despotie darf nicht gewinnen

Autor und Kolumnist der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle Eugen Theise
Eugen Theise
4. April 2022

Die Welt ist schockiert von den Gräueltaten der russischen Invasion in der Ukraine. Frieden in Europa gibt es nur, wenn die russischen Kriegsverbrecher sich an der Ukraine die Zähne ausbeißen, meint Eugen Theise.

Bild: Rodrigo Abd/AP/picture alliance

Butscha, Irpin, Gostomel, Mariupol, Trostjanets - die Liste der ukrainischen Orte, die in den Augen der Weltgemeinschaft für das Grauen des russischen Angriffskrieges stehen, wird immer länger. Durch Kopfschuss getötete Männer mit verbundenen Händen, Frauen, die erschossen wurden, nur weil sie sich aus dem Keller trauten, zerbombte Schulen und Krankenhäuser - wahlloses Morden an Zivilisten scheint charakteristisch für das Vorgehen der Russen gegen die Ukrainer in diesem Krieg. Die sozialen Netzwerke werden mit Augenzeugenberichten der Ukrainer und erschütternden Bilddokumenten nach der Befreiung der Orte regelrecht überschwemmt.

Einst die Deutschen, nun die Russen

Einer dieser Tatorte der russischen Barbarei - international bisher weitaus weniger bekannt als Mariupol oder Butscha - ist Peremoha. Auch dieser Ort, etwa 50 Kilometer östlich von Kiew gelegen, ist nach einmonatiger Besatzung weitgehend zerstört und geplündert. Die Leidensgeschichte von Peremoha ist eine besondere.

Das Dorf hieß bis 1945 Jadliwka und stand schon einmal als Symbol für die Verbrechen der Besatzer. Im Zweiten Weltkrieg haben Deutsche Jadliwka komplett abgefackelt - eine bestialische Strafaktion für die Angriffe der Partisanen. Nach dem Krieg wurde das Dorf wieder aufgebaut und in Peremoha umbenannt, was auf Ukrainisch "Sieg" bedeutet.

Sechs Jahrzehnte später durfte ich als Student zeitweise an einem besonderen Projekt mitwirken - junge Deutsche und Ukrainer haben jahrelang in Sommercamps gemeinsam die Schule in Peremoha renoviert. Dieses gelebte Zeichen der Versöhnung hat mich und viele andere in der Ukraine und in Deutschland fürs Leben geprägt. Gutes zu tun und die Verbrechen vergangener Generationen gemeinsam aufzuarbeiten - es ist eine besondere Grundlage für echte Freundschaft, für einen gemeinsamen Blick in die Zukunft. Die beste Gewähr dafür, dass sich die Gräuel der Vergangenheit nie wiederholen.

DW-Redakteur Eugen TheiseBild: Privat

Freundschaft nach Versöhnung mit Deutschland

Ich bin glücklich, dass das heutige Deutschland und die Ukraine eine Freundschaft verbindet, die auf geteilten Werten wie Demokratie und Freiheit beruht. Bei all der berechtigten Kritik aus der Ukraine wegen fragwürdiger deutscher Gasgeschäfte mit Russland und der unerträglichen jahrelangen Beschwichtigung gegenüber dem Diktator in Moskau steht Deutschland im schwierigsten Moment der Ukraine dennoch zur Seite - sei es durch die Unterstützung der Geflüchteten oder mit Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung. 

Acht Jahrzehnte nach dem deutschen überrollt nun der russische Vernichtungskrieg die Ukraine. Genauso wie die deutschen Besatzer damals, lassen die heutigen Invasoren jegliches Mitgefühl für die Zivilbevölkerung missen. Für die Deutschen damals waren die Ukrainer "Untermenschen". Für die Russen heute - Todfeinde, die es zu eliminieren gilt, weil ihr Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung im russischen postimperialen Selbstverständnis als eine existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird.

Hass auf "ukrainische Verräter"

In den Köpfen der meisten Russen hörte ihr verlorenes Imperium nie auf zu existieren. Und die Abwendung der Ukraine in Richtung Westen stellt in dieser schockierend rückständigen Denkweise einen Hochverrat dar. 86 Prozent der Russen würden den Einsatz ihrer Armee in der Ukraine billigen, heißt es in neuesten Umfragen des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada, das als unabhängig gilt, weil es nicht vom Staat oder staatlichen Institutionen abhängt.

In einer stalinistischen Gesellschaft, wie sie unter Wladimir Putin wieder auflebte, galt für "Feinde des Volkes" schon immer die Höchststrafe. Das wussten die Ukrainer bereits vor diesem Krieg, auch in Peremoha. Nur 30 Kilometer westlich des Dorfes, in einem Vorort von Kiew wurden kurz vor dem zweiten Weltkrieg tausende Ukrainer in einem Wald ohne Anklage systematisch erschossen und vor Ort begraben. Nur weil das Moskauer Regime von Josef Stalin sie zu Feinden erklärt hatte. Heute sind alle Ukrainer Verräter und Feinde, wenn sie den Besatzern nicht zujubeln.

Die Ukrainer können nur gewinnen

So verstörend das wahllose Morden und Plündern der Invasoren ist, so ermutigend ist die erfolgreiche Verteidigung Kiews und anderer Städte. Die westlichen Partner dürfen auch bei weiterer Eskalation aus Moskau keinesfalls davor zurückschrecken, die Ukraine mit allen Mitteln zu unterstützen. Denn der Sieg der Ukrainer gegen die russische Despotie wäre eine Chance für ganz Europa. Das Europa, das sich gerade auf der Seite der Ukraine als Wertegemeinschaft neu erfindet.

Es geht um Europas friedliche Zukunft. Nur bei einem Fiasko dieses schändlichen Angriffs könnte der jahrzehntelang gepflegte russische Kriegskult Risse bekommen. Die aggressive Diktatur in Moskau versetzt ihre eigene Bevölkerung seit Jahren durch massive Propaganda in einen regelrechten Kriegsrausch. Das verbrecherische Regime leitet seine Legitimität perfiderweise vom Mythos des sowjetischen Sieges gegen Nazi-Deutschland ab. Solange sich die Russen in ihrem revisionistischen Wahn unbesiegbar wähnen, wird es keinen dauerhaften Frieden in Europa geben. Denn während wir in Europa aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt haben, dass sich ein solches Grauen nie wiederholen darf, erfreut sich in Russland das Motto "das können wir auch wiederholen" (Moschem povtorit) großer Beliebtheit. Dabei geht es um nicht weniger als die Eroberung Berlins.

Peremoha bedeutet "Sieg". Das zerstörte Dorf wird nach dem Sieg über den Angreifer Russland wieder aufgebaut. Ob die Russen zumindest Generationen später über das Schicksal dieses Dorfes reflektieren werden, wie einst die Deutschen, hängt davon ab, was von Putins verbrecherischem Regime auf den Trümmern dieses Krieges noch erhalten bleibt.