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Politik

Angela Merkels letzter Kampf

9. Dezember 2020

Eigentlich wäre diese Haushaltsdebatte Anlass für die Bundeskanzlerin gewesen, zufrieden die Bilanz ihrer inzwischen 15 Jahre im Amt zu ziehen. Aber die grassierende Pandemie hat alles verändert, meint Christoph Strack.

Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Was für eine Rede! Werbend, mahnend, bittend, fordernd. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Bundestag eindrücklich wie nie zu einem schärferen Kurs im Kampf gegen die Corona-Pandemie geworben. Beinah wurde sie sarkastisch: Wenn die Menschen "jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Fest mit den Großeltern war, dann werden wir sicher etwas versäumt haben. Das sollten wir nicht tun."

Das letzte Fest, weil es die Omas und Opas hinwegrafft, nachdem die Kinder und Kindeskinder nicht nur Geschenke und Liebe, sondern auch das Virus mitgebracht hatten. Merkel nannte die am Morgen offiziell gemeldete Zahl der Corona-Toten in Deutschland: 590 binnen 24 Stunden - ein trauriger Rekord. Und sie stellte sich entschieden hinter die Empfehlung der Leopoldina und weiterer wissenschaftlicher Experten, vor Weihnachten und über den Jahreswechsel Deutschland runterzufahren: Die Schulen frühzeitig zu schließen; möglichst wenig, am besten keine sozialen Kontakte außerhalb der Familie; Disziplin. Mehr Disziplin als bislang.

Die schwarze Null ist dahin

Im Grunde ist es eine Grenzüberschreitung, weil die Ministerpräsidenten eben Landesherren sind und in der Staatsordnung Deutschlands die Details der Corona-Maßnahmen von den Bundesländern geregelt werden. So kämpft die sonst so sachliche Kanzlerin im Bundestag mit ihrer ganzen Autorität gegen die Pandemie und für jene, die als Risikogruppen bedroht sind. Langen Applaus gab es hinterher von den Plätzen der Unionsfraktion. Vielleicht staunte da der ein oder die andere über die Kanzlerin, die hier im Plenum schon hunderte Reden hielt und nun kaum mehr als ein halbes Dutzend mal noch ans Rednerinnenpult treten wird.

DW-Hauptstadtkorrespondent Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Eigentlich liegt schon so etwas wie Abschiedsstimmung in der Luft. 16 Mal hat Angela Merkel als Bundeskanzlerin im Plenum des Bundestags den Bundeshaushalt erläutert, verteidigt, beworben, mitbeschlossen. Am Mittwoch hielt sie die letzte dieser Reden. Auf diesen Aspekt gehen im Grunde nur die Redner der rechtspopulistischen AfD ein: Jede und jeder von ihnen feiert auf seine Art, dass Merkel im nächsten Jahr nicht mehr den Haushalt verantwortet. Aber sie feiern alleine.

Seit einer Reihe von Jahren ging es beim Bundeshaushalt immer um eine schwarze Null. Lange hatte Merkel ihre diversen Koalitionen auf diesen Punkt hinarbeiten lassen, seit 2014 konnte die ostdeutsche Naturwissenschaftlerin stolz wie eine schwäbische Hausfrau damit werben: keine neuen Schulden, Abbau der Schuldenlast, allmählich wachsender Handlungsspielraum. Damit ist es vorbei. Es sei, sagt Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus, ein "Corona-Haushalt"; seine Fraktion hätte sich das anders gewünscht.

Auch die Ratspräsidentschaft geht dahin

Und nicht nur der Bundeshaushalt geht in eine andere Richtung, als Merkel gehofft hätte. Auch ihr Herzensthema Europa wackelt. Das europäische Haus knirscht und bricht gerade in diesen Tagen noch stärker, als man es seit Jahren gewohnt ist. Noch bis Jahresende hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne, Berlin führt und koordiniert den Europäischen Rat. Und nun? Merkel geht in dem knappen außenpolitischen Passus ihrer Rede auf den an diesem Donnerstag anstehenden EU-Gipfel und all seine Unwägbarkeiten ein. "Fast alles ist noch im Fluss", meint sie.

Wie der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt zum Jahresende, funktionieren soll - das ist immer noch offen. Wie der EU-Haushalt für die nächsten Jahre aussehen wird - das ist angesichts des Widerstands von Polen und Ungarn immer noch offen. Der Konflikt droht die EU tiefgreifend zu erschüttern. Schließlich: Politik sortiert sich global neu, mit einem immer stärker werdenden China, mit Russland als mittlerweile wieder verlässlichem Gegner, mit den USA als einem zeitweise unberechenbaren Verbündeten, mit der Türkei als entfremdetem Partner Europas. Nichts davon kann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft noch stemmen.

Respekt für diese Schlussrunde

Es hätte so schön sein können für die deutsche Regierungschefin an diesem Tag: Das Kanzleramt schreibt in einem längst begonnenen Vorwahlkampf eine Rede, mit der Merkel auf ihrer Zielgeraden im Amt die schwarze Null und wachsende Investitionsspielräume hätte feiern und auch die europäische Ratspräsidentschaft hätte positiv bilanzieren können. Vorbei. Noch wissen wir nicht einmal, wer in gut einem Monat ihre Partei, die CDU, führen wird.

Dennoch: Wie die 66-Jährige stattdessen auftrat, mit Empathie, Emotion und - als im still gewordenen Parlament wieder eine der AfD-Frauen, Beatrix von Storch, dazwischen brüllte - auch mit Pathos, das zeigte: Sie kämpft! Merkel kämpft gegen die Pandemie und sinnbildlich um das Leben tausender älterer Menschen. Sie kämpft um die Zukunft dieses Landes. Sie kämpft, weil sie neben der schwierigen Runde der Ministerpräsidenten auch die Menschen im Land, die immer noch am Glühweinstand Halt machen und gesellig plaudern, mitnehmen will. Respekt für diese Schlussrunde.

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