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Politik

Das Glas ist halb voll, nicht halb leer

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
13. November 2021

Die Klimakonferenz in Glasgow hat Beschlüsse gefasst, die vor Jahren noch kaum zu erwarten gewesen wären. Aber der Druck, endlich energisch gegen den Klimawandel vorzugehen, war auch enorm, meint Jens Thurau. 

"1,5 Grad" steht bei einer Protestaktion von Fridays for Future bei der UN-Klimakonferenz COP26 auf Händen von AktivistenBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

War das jetzt eine gute oder eine schlechte Klimakonferenz im schottischen Glasgow? So chaotisch und unübersichtlich das Treffen verlief, so vielfältig sind die Ansichten dazu. Noch nie, sagen Wissenschaftler, war die Lücke zwischen den Anforderungen, den Klimawandel endlich zu bekämpfen, und den langsamen Schritten der Staaten dazu so groß wie jetzt. Auch der Druck von außen, aktiv zu werden, ist so groß wie nie. Die weltweite Klimaschutzbewegung etwa von Fridays for Future war auch in Glasgow kraftvoll präsent.

Kohleausstieg erstmals erwähnt 

Im Abschlusstext der Konferenz wird erstmals auf einem UN-Klimatreffen die Notwendigkeit eines raschen Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern ausdrücklich erwähnt, auch wenn die konkrete Formulierung auf Druck von reichen Ländern und Schwellenländern immer mehr abgeschwächt wurde.

Den armen Ländern wird eine Verdoppelung ihrer Anpassungsgelder aus dem reichen Norden schon innerhalb weniger Jahre versprochen. Die USA und China, die beiden weltweit größten Verursacher von Treibhausgasen, raffen sich in Glasgow nach Monaten im diplomatischen Dauer-Frost zu einer gemeinsamen Erklärung auf und versprechen eine Verdoppelung ihrer Anstrengungen.

Für die DW in Glasgow: Jens Thurau

Das Ziel, die Erderwärmung um nicht mehr als 1,5 Grad bis zu Ende des Jahrhunderts anwachsen zu lassen, ist jetzt der Maßstab aller Dinge, niemand spricht mehr von dem 2-Grad-Ziel, dass noch vor nicht langer Zeit die klimapolitischen Debatten bestimmte. Gemessen an den Beschlüssen früherer Klimatreffen ist das ein geradezu atemberaubender Fortschritt. 

Zwei Realitäten 

Gemessen an den Realitäten aber eben nicht. Die Wissenschaft hat das Jahrzehnt bis 2030 zum alles Entscheidenden im Kampf gegen die Erderwärmung erkoren. Darauf hat die britische Präsidentschaft der Konferenz insofern reagiert, als dass sie während der Tage in Glasgow gleich ein ganzes Feuerwerk von Initiativen einzelner Staaten voranbrachte: Zur Begrenzung des Klimagases Methan, zum Waldschutz in den armen Ländern, zum Ende der Subventionen für fossile Energieträger, alles bis 2030.

Bei genauem Hinsehen aber sind alle diese Initiativen so freiwillig und unverbindlich wie immer. So wie die eigentlichen Beschlüsse der Klimakonferenz auch. 

Verlässlichkeit und Vertrauen 

Es geht auf allen Klimakonferenzen um Verlässlichkeit und Vertrauen. Einklagbar sind die Beschlüsse kaum, ihr Ziel ist es stets, eine positive Dynamik zu entwickeln und so etwas wie eine gemeinsame Überschrift aller rund 190 UN-Staaten. Und darum, Druck in den reichen Ländern zu entwickeln, deren Bürger immer besorgter auf den Klimawandel blicken.

Aber um das Vertrauen ist es eben schlecht bestellt: Die armen Länder des Südens haben während der Corona-Pandemie genau beobachtet, mit welchen schwindelerregenden Summen die Industriestaaten ihrer Wirtschaft im Lockdown unter die Arme griffen. Und nehmen umso empörter zur Kenntnis, dass der reiche Norden bei lange schon versprochenen Geldern für die Anpassung an den Klimawandel, für Deiche etwa, eher knauserig ist.

Der Kohleausstieg und die Realität 

Und auch wenn der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern jetzt eine Forderung der Klimakonferenz ist, zeigt ein Blick in die Realität von Ländern wie China oder Südafrika, aber auch von Polen, selbst von Deutschland, wie mächtig die Kohle-Lobby immer noch ist. China verspricht jetzt, bis 2060 klimaneutral zu werden. Gemessen an den Warnungen der Experten ist das lächerlich.

Aber eine wirkliche Alternative zu den jährlichen, mühsamen und nervenzehrenden Klimatreffen ist einfach nicht in Sicht. Nur hier reden alle UN-Staaten miteinander. Die gemeinsame Überschrift, nach der alle suchen, könnte vielleicht die sein: Der Kampf gegen die Klimagase muss in möglichst vielen Ländern einen ähnlichen Stellenwert bekommen wie die Sorge um den wirtschaftlichen Fortschritt.

Wachstum und Nachhaltigkeit sind dabei lange schon keine Gegensätze mehr, man muss es nur wollen. Und handeln: Etwa beim Abschied von den fossilen Energien. Und zwar rasch. Das zumindest hat die Konferenz in Glasgow geliefert.

Auch auf Deutschland wächst jetzt der Druck, den Ausstieg aus der Kohleverstromung, von der alten Regierung bis 2038 geplant, vorzuziehen. Alles andere wäre jetzt ein Bruch der Glasgow-Versprechen. Und die armen Länder werden das Spiel der jährlichen Konferenzen nicht mehr lange mitmachen, wenn sie nicht spürbar mehr Geld bekommen. Deshalb: Wenn man sich entscheiden soll, ob nach Glasgow beim internationalen Klimaschutz das Glas halb voll oder halb leer ist, würde ich sagen: Halb voll.

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