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Das Kreuz mit der Quotenpolitik

5. Januar 2022

Beim Thema Gleichberechtigung hat die neue Bundesregierung Fortschritte erzielt. Dennoch wäre mehr möglich gewesen. Die Besetzung wichtiger politischer Ämter nach Quotenkriterien ist eine Kunst, meint Marcel Fürstenau.

Bild: Felix Jason/imago images

Frauenquote, Migrantenquote, Ost/Westquote - ganz schön anstrengend, das alles unter einen Hut zu bringen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat es aber ganz gut hinbekommen: Der Sozialdemokrat hat acht Frauen in sein Kabinett berufen und acht Männer.

Damit hat Deutschland erstmals eine Regierung, in der es genauso viele Ministerinnen gibt wie Minister. Chapeau! Da hat einer seinen Worten im Wahlkampf Taten folgen lassen. Unter seiner Vorgängerin Angela Merkel war der Männerüberschuss noch beträchtlich - 9:6.

Frauenförderung spielte bei Merkel keine große Rolle

Aber schon bei diesem Vergleich ist Vorgesicht geboten, denn der Kanzler respektive die Kanzlerin gehört ja auch dazu. Und schon sieht das Ganze sehr ähnlich aus: In der alten Regierung gab es mit Angela Merkel sieben Frauen und neun Männer, in der neuen mit Olaf Scholz steht es acht zu neun. Auffällig ist, dass sich die erste deutsche Bundeskanzlerin in den 16 Jahren ihrer Regentschaft stets für deutlich mehr Männer entschieden hat.

Man kann also gut begründet behaupten: Bei der Frauenquote gab es unter Angela Merkel bis zuletzt noch viel Luft nach oben. Wie es anders geht, zeigt ihr Nachfolger. Und wie es noch besser geht, zeigt ein Blick in ausgewählte Bundesländer, von denen es in der föderalen Bundesrepublik immerhin 16 gibt.

Beispiel Berlin: In der deutschen Hauptstadt, die zugleich ein Stadtstaat ist, steht mit der Sozialdemokratin Franziska Giffey erstmals eine Frau an der Spitze des regierenden Senats. Ihm gehören zusammen mit ihr sieben Frauen und vier Männer an.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuel Schwesig (SPD) ist eine von fünf Frauen, denen vier Männer gegenüberstehen. Malu Dreyer, ebenfalls Sozialdemokratin, führt in Rheinland-Pfalz eine Regierung mit sechs weiteren Frauen und fünf Männern.

Zwei Makel fallen besonders auf

All diese Regierungen sind 2021 gebildet worden. Rein statistisch betrachtet hat sich also die SPD als führende Regierungspartei auf Bundes- und Landesebene um die Frauenförderung in der Politik verdient gemacht. Dafür gebührt ihr Anerkennung, weil das vermeintlich Selbstverständliche viel zu lange vernachlässigt wurde. Dieser Trend, diese erfreuliche Momentaufnahme sollte zugleich Verpflichtung für alle künftigen Regierungsbildungen sein, sich unabhängig von den Parteifarben an diesen Vorbildern zu orientieren.    

DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Erheblicher Nachholbedarf für die gesamte politische Klasse besteht jedoch nach wie vor, wenn es um andere gesellschaftliche Gruppen geht. In der neuen Bundesregierung ist Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) der Einzige mit migrantischen Wurzeln. Immerhin einer mehr als unter Angela Merkel, aber viel zu wenig in einem Land, in dem bald ein Drittel der Menschen Migrationshintergrund hat.

Mehr als Symbolpolitik

Auch die spezifisch ostdeutsche Kompetenz kommt im Kabinett des Westdeutschen Olaf Scholz zu kurz. Nur Umweltministerin Steffi Lemke und Bauministerin Klara Geywitz wurden in der kommunistischen DDR geboren und sozialisiert. Angesichts der auch 31 Jahre nach dem Ende der deutschen Teilung bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West wäre mehr gelebte Ost-Kompetenz in der Bundesregierung mehr als Symbolpolitik gewesen.

Man kann die weiterhin bestehenden Defizite aber auch positiv interpretieren - wenn man sie mit der letzten Regierung unter der zwar in Hamburg geborenen, aber in der DDR aufgewachsenen Angela Merkel vergleicht: Kein Kabinettsmitglied hatte zuletzt einen Migrationshintergrund und die einzige ostdeutsche Ministerin trat im Mai 2021 zurück. Ihr Name: Franziska Giffey.

Keine ostdeutsche Senatorin mit Migrationshintergrund 

Also jene Sozialdemokratin, die wenige Tage vor Weihnachten 2021 zur Regierenden Bürgermeisterin Berlins gewählt wurde. Sie holte mehr Frauen als Männer in ihren Senat. Stark! Aber niemand stammt aus einer Migrantenfamilie - und das im multikulturellen Berlin mit Menschen aus rund 180 Ländern dieser Welt. Schwach!

Giffeys Personalentscheidungen sind ein Musterbeispiel dafür, wie schwierig die Kunst ist, wichtige politische Ämter nach Quotenkriterien zu besetzen. Ideal wäre in dieser Logik eine ostdeutsche Senatorin mit Migrationshintergrund gewesen.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland