Die 67-jährige María Julia aus Camagüey hat den Text des Familiengesetzes, über das am vergangenen Sonntag in Kuba abgestimmt wurde, nie vollständig gelesen. Aber sie hat mit "Ja" gestimmt, weil ihre Kommunistische Partei zur "Unterstützung der Revolution und zum Aufbruch in den Wahllokalen" aufgerufen hat. In Havanna kreuzte Yania, 42, das Kästchen "Nein" an, obwohl sie seit Jahren davon träumt, ihre Lebensgefährtin Yesenia zu heiraten und dieses neue Gesetz nun auch gleichgeschlechtliche Ehen möglich macht. Yania hat so entschieden, weil sie der Meinung ist, dass es "in einer Diktatur keine gültige Wahl gibt".
Die Befürworter und Gegner dieses Familiengesetzbuchs, das Experten als fortschrittlich und Juristen als notwendig bezeichnen, sind keine homogenen Blöcke. Und sie sind auch nicht entlang klarer Linien gespalten.
Das erst dritte Referendum, das in Kuba in mehr als 60 Jahren abgehalten wurde, war weit mehr als eine Abstimmung über gleichgeschlechtliche Ehen und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, legale Leihmutterschaft und ein Erziehungsrecht für nicht-biologische Eltern. Für viele war dies vielmehr die einzige Möglichkeit, dem Regime von Miguel Díaz-Canel an den Wahlurnen ihre Ablehnung kundzutun.
Eine Geste des Trotzes und des Widerstands
Der Sieg der Befürworter mit mehr als 66 Prozent der gültigen Stimmen ist darum nicht der Triumph, den sich die Regierungspartei erträumt hatte. Immerhin hatte sie jede Menge Propaganda für die Annahme des neuen Familiengesetzbuches aufgefahren. In den nationalen Medien kam keine einzige Stimme zu Wort, die das Gesetz in Frage gestellt oder abgelehnt hätte. Mit mehr als 26 Prozent der Stimmberechtigten, die gar nicht an die Urnen gingen, hat das kubanische Regime die niedrigste Wahlbeteiligung seiner Geschichte zu verzeichnen. In einer Demokratie mag ein solcher Wert völlig selbstverständlich sein. Aber in einer Diktatur, in der die Nichtteilnahme an der Wahl mit schwerwiegenden Repressalien geahndet werden kann, ist sie eine eindeutige Geste des Trotzes und des Widerstands.
Jene, die zur Wahl gingen, verweigerten sich ebenfalls dem offiziellen Drehbuch, das eine einhellige Zustimmung zum neuen Familiengesetz vorgesehen hatte: Mehr als 27 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben mit "Nein" gestimmt, den Stimmzettel ungültig gemacht oder ihn leer abgegeben. Insgesamt stimmten damit weniger als 47 Prozent der Wahlberechtigten für die Reform. Die Bevölkerung hat in hohem Maße Enthaltung und Ablehnung benutzt, um dem Regime eine klare Botschaft zu senden.
Gescheiterte Mobilisierung und ein bitterer Sieg
Wäre anstelle einer Abstimmung über das Familienrecht ein Referendum über das drakonische Strafgesetzbuch abgehalten worden (das wurde ohne Konsultation der Bevölkerung eingeführt und ist zutiefst repressiv), wäre die Ablehnung noch viel stärker und massiver gewesen. Der kubanische Totalitarismus hat sich jedoch entschieden, nur über Bürgerrechte abstimmen zu lassen, die auch ohne Volksbefragung hätten beschlossen werden können.
Vielleicht glaubte die Regierung, dass dies ein durchschlagender Erfolg hätte werden und sie sich in den Augen der internationalen Gemeinschaft hätte reinwaschen können. Stattdessen: Ein bitterer Sieg.
Am Freitag vor dem Referendum rief Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel zu Ja-Stimmen auch "für unseren Sozialismus" auf. Der Sonntag zeigte dann, dass seine Fähigkeit, Wähler zu aktivieren, erheblich nachgelassen hat. Die Mobilisierung der Massen klappt nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren. Und so haben mehr als die Hälfte der kubanischen Wählerinnen und Wähler das regierende System auf die eine oder andere Weise abgestraft.
Dieser Text wurde aus dem Spanischen adaptiert.