Der Erfolg von "Squid Game" liegt in der Einfachheit
John Marshall
Kommentar
14. Oktober 2021
Die einfache Botschaft von "Squid Game" und die atemberaubenden, oft brutalen Bilder sind das Erfolgsrezept der Serie. Die Gewalt findet einen Weg, unser inneres Kind anzusprechen, meint DW-Redakteur John Marshall.
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Die koreanische Reality-TV-Serie "Squid Game", geschrieben und inszeniert von Hwang Dong-hyuk, bricht alle Rekorde, und das aus gutem Grund.
Wer in seinem Drehbuch 456 verzweifelte, verschuldete Seelen zusammentrommelt und sie zu kindischen Spielen verleitet, bei denen man Millionär wird, wenn man gewinnt, aber stirbt, wenn man verliert - der hat einen guten Riecher dafür, was eine erfolgreiche TV-Serie ausmachen kann. Wer dann noch die Botschaft krasser sozialer Ungleichheit, sympathische Charaktere und ein einfaches, schnörkelloses Setting in den Mix wirft, kreiert mal eben die am häufigsten gesehene Show auf Netflix überhaupt.
Verstehen Sie mich nicht falsch: "Squid Game" geht bis zum Äußersten. Aber im Gegensatz zu Serien wie "Game of Thrones" oder "Dark", in denen sich Handlungsstrang an Handlungsstrang reiht und Dutzende von verschiedenen Schauplätzen und Szenarien in jede Sendung gepackt werden, beschränkt sich Squid Game auf den Überlebenskampf seiner Figuren und die Schauplätze auf ein Minimum. Das macht die Serie so attraktiv.
Die Hauptbotschaft kommt deswegen so gut rüber, weil man seine Zeit nicht damit verschwenden muss, versteckte Anspielungen zu verstehen. All dies macht die Serie zwar vorhersehbar, aber nicht weniger unterhaltsam.
Keep it simple, stupid
Die Botschaft der Serie ist simpel: Es geht um eine arme und verschwindende Mittelschicht und eine elitäre Oberschicht, die tut was sie will, ohne Rücksicht auf den Preis, den alle anderen zahlen müssen - ein Spiegelbild der heutigen Gesellschaft in der realen Welt. In seiner düsteren Darstellung von sozialer Ungleichheit und Klassenunterschieden wird Squid Game bereits mit Bong Joon-hos Oscar-prämiertem Spielfilm "Parasite" verglichen. Die Botschaft ist leicht zu verstehen und für den Mainstream einfach nachvollziehbar.
Doch nicht nur die Botschaft, auch das Setting wird bewusst einfach gehalten. Nehmen wir die Rangstruktur der Handlanger, die die Spieler eskortieren und die Spielregeln durchsetzen, oft mit der Androhung von Gewalt bis hin zur Tötung von Menschen. Es gibt drei einfache Rangabzeichen, die sie auf ihren Gesichtsbedeckungen tragen, die ein Zweijähriger erkennen könnte: ein Quadrat, ein Dreieck und ein Kreis. Die mit den Quadraten befehligen die Dreiecke, und die Dreiecke wiederum geben ihre Befehle an die Kreise.
Die einfache Botschaft wird durch die allgegenwärtige Symbolik von Kinderspielen noch verstärkt. Die ums Überleben kämpfenden Spieler tragen einheitliche Trainingsanzüge; sie befinden sich in einer großen Turnhalle mit Wandgemälden von spielenden Kindern (ein Spiegelbild der Spiele, die in der Serie gespielt werden) und schlafen in einer Art Sommerlager dichtgedrängt in Etagenbetten.
Immer dann, wenn die Spieler von ihrem Schlafraum zu den Spielen gehen, finden sie sich in einem pastellfarbenen, an die verwirrenden Bilder von M.C. Escher erinnernden Treppenhaus wieder, das aussieht, als gehöre es in einen Kindergarten. All dies sorgt für ein visuell ansprechendes Erlebnis, eines der besten Attribute der Serie, das fast von der inhärenten Gewalt ablenkt.
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Eine Frage von Leben oder Tod?
Die US-Studios lehnten Hwang Dong-hyuks "Squid Game" zehn Jahre lang als zu unrealistisch und gewalttätig ab. Es ist schwer vorstellbar, wie eine Kombination von Kindergarten-Spielplatz und blutigem Mord funktionieren sollte.
Doch auch wenn es in der Serie viel Blut gibt - und, ja, auch ich musste öfter wegschauen - ist diese Art der grotesken Überzeichnung von Gewalt nichts wirklich Neues. Tarantino wäre nicht Tarantino ohne seine übertriebenen, fast komischen blutigen Szenen: Man denke nur an das Ende von "Once Upon a Time in Hollywood."
Neu ist, wie die Bilder mit der Psyche spielen. Gewaltszenen bei Kinderspielen sind ein Mittel, unser inneres Kind auf der einfachsten Ebene anzusprechen. Ich erinnere mich, dass ich die Spiele auf dem Schulhof so ernst nahm, dass es bildlich gesprochen um Leben und Tod ging.
Hwang Dong-hyuk hat in der Serie alle anderen visuellen Extreme ausgeschöpft. Warum sollte er also bei den Unmengen von Blut aufhören, die über den Bildschirm fließen? Ich denke, seine Botschaft ist einfach: Das Leben ist brutal. Sein einfacher Ansatz für die Allegorie ist es, uns zu zeigen, wie brutal es sein kann.
"Squid Game" wird weiter polarisieren. Die Serie wird seziert, der Erfolg gleichermaßen gelobt wie angeprangert werden. Für mich ist sie eine fesselnde, unkomplizierte Show mit einem hypnotisierenden Einsatz visueller Effekte. Einfach und verständlich für jedermann und unterhaltsam genug, um sie einem Freund zu empfehlen.
Aus dem Englischen übersetzt.
"Squid Game" und andere Survival-Filme
Leben oder Tod: Die südkoreanische Serie "Squid Game" ist ein Mega-Erfolg bei Netflix und steht in einer langen Tradition von Überlebens-Thrillern.
Bild: Netflix
"Squid Game" (2021)
Innerhalb von zwei Wochen wurde die südkoreanische Serie zum meistgesehenen Programm von Netflix in mindestens 90 Ländern. 456 Menschen, die hoch verschuldet sind, werden eingeladen, an einer Reihe von Kinderspielen teilzunehmen und eine Menge Geld zu gewinnen. Wer verliert, wird getötet. Das gewalttätige, süchtig machende Überlebensdrama gehört zu einem Filmgenre mit einer langen Tradition.
Bild: Netflix
"As the Gods Will" (2014)
"Squid Game" wird vorgeworfen, den japanischen Film "As the Gods Will" zu plagiieren. Wie in der koreanischen Serie ist es auch dort eine Puppe, die das tödliche Spiel "Rotes Licht, grünes Licht" anführt. Allerdings spielt die Geschichte in einer Schule. Regisseur Takashi Miike und die Schauspieler Hirona Yamazaki und Sota Fukushi zeigen bei einer Filmpremiere die Köpfe von Daruma-Puppen.
Bild: Claudio Onorati/dpa/picture alliance
"Das Belko Experiment" (2016)
In diesem US-Horrorthriller sitzen 80 Mitarbeiter eines Konzerns namens Belko plötzlich in ihrem Firmengebäude im kolumbianischen Bogotá fest. Über die Sprechanlage hören sie eine Stimme, die ihnen Befehle erteilt: Sie sollen innerhalb einer bestimmten Zeit eine Anzahl an Mitarbeitern töten. Die Protagonisten schmieden verschiedene Allianzen, bis am Ende nur noch eine Person übrig bleibt.
Bild: Everett Collection/picture alliance
"Die Tribute von Panem" (2012)
In dem postapokalyptischen Land Panem müssen sich Vertreterinnen und Vertreter der zwölf Distrikte des Landes bekämpfen - bis zum Tod. Kritiker haben die vielen Ähnlichkeiten zwischen der Filmreihe und dem Film "Battle Royale" bemängelt. Der Titel "Battle Royale" wird im Englischen mittlerweile auch synonym für das gesamte Genre an Überlebens-Dramen verwendet.
Bild: Murray Close/AP/picture alliance
"Battle Royale" (2000)
Kinji Fukasakus dystopischer Thriller folgt einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern auf eine einsame Insel. Dort sind sie gezwungen, beim jährlichen "Battle Royale" um ihr Überleben zu kämpfen, bis ein Sieger gefunden ist. Von der Kritik für seine kreative Darstellung des Lebensgefühls von Jugendlichen gelobt, wurde der Film in einigen Ländern wegen seiner Gewaltdarstellungen verboten.
Bild: Mary Evans Picture Library/picture-alliance
"Running Man" (1987)
In diesem Film ist Arnold Schwarzenegger der Held. 2017 sind die USA eine Diktatur, die Massen werden mit der TV-Show "Running Man" unterhalten. Verurteilte Kriminelle müssen vor professionellen Henkern davonlaufen. Nach einer langen Gerichtsverhandlung wurde geurteilt, dass "Running Man" ein Plagiat des französisch-jugoslawischen Films "Kopfjagd - Preis der Angst" aus dem Jahr 1983 ist.
Bild: United Archives/IFTNpicture alliance
"Rollerball" (1975)
Auch "Rollerball" ist eine dystopische Zukunftsvision. Im Jahr 2018 wird die Welt von Großkonzernen regiert. Die Bevölkerung wird mit einem Sport namens Rollerball bei Laune gehalten, der American Football, Roller Derby, Motocross und Gladiatorenkämpfe kombiniert. Das Spiel wird ein Gemetzel, in dem der Favorit und Systemgegner Jonathan E (James Caan) sterben soll.
Bild: Imago/EntertainmentPictures
"Frankensteins Todesrennen" (1975)
Kurz vor "Rollerball" kam dieser Film heraus, in dem unter anderem Sylvester Stallone mitspielt - kurz vor seinem großen Durchbruch als "Rocky". Die USA im Jahr 2000: Eine totalitäre Regierung veranstaltet mit dem "Transkontinentalen Straßenrennen" einen jährlichen Wettkampf, bei dem Fußgänger für Bonuspunkte getötet werden dürfen. 2008 gab es ein Remake, gefolgt von weiteren Sequels.
Bild: United Archives/IFTN/picture alliance
"Das Millionenspiel" (1970)
Die Kurzgeschichte "The Prize of Peril" des US-Autors Robert Sheckley. Sie diente dem deutschen Spielfilm "Das Millionenspiel" (1970) als Vorlage. Darin geht es um eine Fernsehshow, in der ein Kandidat eine Woche lang vor Auftragskillern flüchten muss. Die Bevölkerung ist dabei ausdrücklich dazu aufgerufen, ihm entweder zu helfen oder ihn auffliegen zu lassen.
Bild: Wikipedia
"Graf Zaroff - Genie des Bösen" (1932)
Ein Großwildjäger jagt eine Gruppe von Menschen, die mit einer Luxusjacht auf einer entlegenen Insel gestrandet sind. Dieser frühe US-Horrorfilm basiert auf der erfolgreichen Kurzgeschichte "The Most Dangerous Game" von Richard Connell aus dem Jahr 1924, die noch viele andere Filme beeinflusste - darunter den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1945, "Der Sonne entgegen" (1956) und "The Pest" (1997).