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PolitikEuropa

EU-Migrationspakt bereits gescheitert

27. September 2020

Einige östliche EU-Regierungschefs lehnen die Vorschläge der EU-Kommission schroff ab. So wird aus dem "europäischen Haus für Migration" eher ein einstürzender Neubau, meint Bernd Riegert.

Symbolbild | Flüchtlinge im Mittelmeer
Bild: picture-alliance/dpa/AP/O. Calvo

EU-Kommissisar Margaritis Schinas vergleicht den neuen "Migrationspakt" gerne mit einem dreistöckigen Haus. 1. Stock: Migranten in ihren Herkunftsländern halten. 2. Stock: EU-Grenzen so weit wie möglich schließen 3. Stock: Ayslbewerber, die trotzdem durchkommen, solidarisch auf die EU-Mitglieder verteilen - entweder zum Abschieben oder zur Aufnahme in willige Ländern.

Dieses filigrane Konstrukt einer neuen europäischen Asylpolitik hat der ungarische Premier Viktor Orban zusammen mit seinen Visegrad-Kollegen aus Polen, Tschechien und der Slowakei laut polternd wieder zum Einsturz gebracht. Vom 3. Stock, von Verteilung in der EU und "Abschiebe-Patenschaften" und "verpflichtender" Solidarität  will Orban nichts wissen. Und auch Österreichs Anti-Migrations-Kanzler Kurz hält den Begriff Solidarität für falsch im Zusammenhang mit Asylbewerbern.

Unrealistische Ziele

Der lang bebrütete Vorschlag der EU-Kommission wird schon nach drei Tagen Makulatur. Die Pläne Schinas' für das europäische Migrations-Häuschen haben fast nur Kritik geerntet. Lediglich lauwarme Unterstützung kam aus Berlin, Rom und Paris mit der Bemerkung, der Bauplan sei eine Verhandlungsgrundlage und ein Schritt in eine nicht näher definierte richtige Richtung.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Schon jetzt lässt sich sagen - und das meinen auch viele Migrations-Forscher: So wird das nichts! Der Plan ist unrealistisch, weil ihn die hartleibigen Aufnahme-Verweigerer in Ost- und Mitteleuropa, in der Luft zerreißen. Orban, Kurz und Co. fordern ein lückenloses Schließen der Grenzen für "irreguläre" Migranten und ein sofortiges Zurückweisen aller Asylsuchenden an den Außengrenzen. Das würde das Ende des Rechts auf Asyl bedeuten, wie es die EU bisher hochgehalten hat und zu dem sie sich international verpflichtet hat.

Und nun? Jetzt werden wahrscheinlich wieder jahrelange Verhandlungen über die vielen Einzelteile des "Migrationspaktes" folgen, um am Ende zu erkennen, dass man sich nicht einigen kann. Schnellere Asylverfahren und mehr Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern könnte es jetzt bereits geben. Die sind schon geltendes EU-Recht. Warum die Mitgliedsstaaten dieses Recht nicht anwenden und Menschen stattdessen auf griechischen Inseln festhalten oder im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien treiben lassen, ist ein Rätsel.

Perfide Abschreckungsstrategie

Es muss wohl Teil einer perfiden Abschreckungsstrategie sein. Die EU will  beweisen, dass die Verhältnisse hier schlechter sind als in der Türkei, Libyen oder Syrien, damit die Menschen gar nicht erst kommen.

Sogar die für die Migration zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson spricht inzwischen von Abschreckung als Ziel des "Migrationspaktes". Zwei Drittel der Asylbewerber würden abgelehnt, so Johansson, und müssten daher auch zurückgeschoben werden. Das klingt gut. Das Problem ist nur, dass viele Herkunftsländer ihre Bürger nicht zurücknehmen. Oder nicht festzustellen ist, wo die Menschen herkommen oder sie untertauchen. Deshalb ist die Zahl der vollzogenen Abschiebungen unglaublich niedrig. Wie diese Umstände geändert werden sollen, lässt das Migrationshaus von Margaritis Schinas leider offen. Fehlt da noch ein Stockwerk?

Es drohen mehr Lager à la Moria

Und was hilft das alles den Menschen auf Lesbos, den Migranten, den Helfern, den Beamten, den Bewohnern der griechischen Inseln? Nichts.

Neue schreckliche Lager könnten entstehen. Es wird noch viel mehr Morias geben, wenn nach dem neuen Migrationspakt tatsächlich alle Prüf- und Asylverfahren direkt an der Grenze stattfinden sollen. Dann wird man die Menschen dort festhalten müssen, zu mal wenn sie von dort aus direkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden sollen. In Spanien und Italien müssten neue geschlossene Lager errichtet werden.

Einen vermeintlichen Trost haben die Baumeister des neuen europäischen Asyl-Hauses bereits: Angesichts der 140.000 irregulären Migranten, die jährlich in die EU kommen, könne man von einer Überlastung oder einer Krise nicht sprechen, meint die EU-Kommission. Deshalb solle man die Debatte nicht überdramatisieren, empfiehlt Kommissarin Johansson. Das sollte sie Viktor Orban sagen. Den Menschen in Moria oder Kara Tepe klingt das im Ohr wie zynischer Hohn.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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