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Politik

Der Kampf gegen Corona und um die Demokratie

18. November 2020

Der Streit wird härter, fundamentaler, auch hässlicher. Drinnen und draußen. In der Politik, auf der Straße. Das Parlament hält das aus. Die Proteste draußen werden schwerer zusammenzuführen sein, meint Christoph Strack.

Nachdem Demonstranten Vorgaben nicht einhalten, löst die Berliner Polizei die Versammlung per Wasserwerfer aufBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Drinnen im Bundestag knapp zwei Stunden lautstarker Streit, draußen auf der Straße viele tausend Demonstranten. Und Wasserwerfer, mit denen die Polizei nach dem Abbruch der Demonstration die Straße räumte. Eine Szenerie, die der deutsche Politikbetrieb seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Das deutsche Parlament beschließt ein weiteres Infektionsschutzgesetz - und die Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen haben zum Sturm auf den Bundestag aufgerufen.

Seit März geht es in Deutschland - wie in vielen Ländern weltweit - um den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Politisch zählen dazu konkrete Schutzmaßnahmen wie das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, das Verbot oder die Beschränkung von Menschenansammlungen im öffentlichen Raum, Einschränkungen für den Kulturbereich, für Gastronomen und Hoteliers, für Religionsgemeinschaften. Es sind für fast jeden Menschen in Deutschland schmerzhafte, auch ärgerliche Schritte. Sie tangieren Grundrechte.

Der unverschämte Begriff "Ermächtigungsgesetz"

Doch dieser Mittwoch stand für mehr. Von Corona-Leugnern und auch aus dem Milieu der rechtspopulistischen AfD war mit Blick auf die Pläne der Regierungskoalition von einem "Ermächtigungsgesetz" die Rede. Schon die Wortwahl ist eine Unverschämtheit - denn dieses Wort steht für den verhängnisvollen Abschied Deutschlands von jeder parlamentarischen Freiheit kurz, nachdem Hitler an die Macht gekommen war: Als die Gesetzgebungszuständigkeit im März 1933 vom Parlament auf den Nazi-Führer überging, als Kommunisten und Sozialdemokraten ihren Widerstand gegen das Gesetz mit Verfolgung auch mit dem Leben bezahlten.

DW-Hauptstadtkorrespondent Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Einige Abgeordnete der AfD hatten sich vor der Bundestagsdebatte zu den Demonstrierenden begeben, auch Petr Bystron. In einem Interview am Rande der Szenerie spricht er von einem "Ermächtigungsgesetz", nennt 1933 einen "guten Vergleich". Und er setzt die aktuell geltende Maskenpflicht in Deutschland in Bezug zum Ausschluss von Juden aus Geschäften im NS-Deutschland. Er halte alle diese Vergleiche für legitim.

Mit Verlaub: Das ist widerlich! Es ist zynisch gegenüber denen, die politisch unter der Diktatur der Nazis und als Juden unter deren Rassenwahn gelitten haben und systematisch umgebracht wurden. Es missachtet den Gründungskonsens dieser Demokratie. Und es beleidigt heutige Politik in ihrem Ringen um den richtigen Kurs im Kampf gegen die Pandemie. Aber es zeigt exemplarisch, dass es solchen Rechtspopulisten in diesen Stunden um die Straße geht, um die wirre Mischung zwischen Rechtsextremen, Verschwörungsschwätzern und leidenden Menschen - doch nicht um die Demokratie.

Das Land braucht mehr Opposition in der Sache

Zur Demokratie gehört der parlamentarische Streit. Und dort im Parlament gab es eine der spannenderen Debatten dieses Jahres, zu denen die AfD eher durch Klamauk beitrug. Die stärksten Reden im Bundestag kamen indes nicht aus den Reihen der Koalitionsfraktion. FDP-Fraktionschef Christian Lindner, vor allem aber der Fraktions-Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, pochten auf die Mitsprache des Parlaments.

Beide zeigten in diversen Details auf, welche Veränderungen während der - nur kurzen - parlamentarischen Beratungszeit des Gesetzes erreicht wurden, und was bei mehr Beratungszeit noch zu erreichen gewesen wäre. Letztlich erinnerten beide Redner an die fundamentale Bedeutung von Opposition für Politik. Eine Große Koalition mag praktisch sein fürs Durchregieren und in Krisen. Aber dieses Land braucht mehr Opposition in der Sache.

Deutschland bleibt die gleiche Demokratie wie zuvor

Der Bundestag hat das Gesetz verabschiedet. Dann ging es in den Bundesrat, die zweite Kammer im deutschen Politiksystem. Und noch am Abend unterzeichnete es der Bundespräsident. Deutschland wird die gleiche Demokratie wie zuvor bleiben - corona-müde, manchmal verzweifelt, beim Ringen um den richtigen Kurs an den Schulen zum Beispiel. Deutschland bleibt das gleiche System, in dem in vielen Kliniken medizinisches Personal schuftet und über seine Grenzen hinauswächst.

Allein am Vortag der Bundestagsdebatte gab es nach offiziellen Angaben 14.419 Corona-Neuinfektionen in Deutschland und mindestens 267 Todesopfer der Seuche. Binnen 24 Stunden. Die Zahlen zeigen: Die Lage ist ernst. Entsprechend ernst war der politische Tag. Was die Straße und die Rechtspopulisten boten, war dagegen nur düster. Der Streit wird härter und hässlicher. Die Demokratie steht in der Bewährung. Aber sie sollte es schaffen.

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