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Politik

Der Mensch, das Virus und die Demut

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
31. Januar 2021

Seit einem Jahr bestimmt das Corona-Virus unseren Alltag und unser Handeln. Die Pandemie-Bekämpfung ist das bestimmende Thema in aufgeregten politischen Debatten. Was fehlt in der Debatte, ist Demut, meint Jens Thurau.

Durch ein Elektronenmikroskop vergrößerte Zellstrukturen (grün), die von SARS-CoV-2-Viren (violett) befallen sindBild: picture-alliance/Zumapress/NIAID

Reisebeschränkungen, Abstandsregeln, Lockdown, Home-Office, Kontaktbeschränkungen - seit vielen Monaten schon bestimmen diese Zumutungen den Alltag der Menschen auch in Deutschland. Eine riesige Impfkampagne wurde gestartet, es ruckelt und geht langsam voran. Viel zu langsam. Die Politik macht Fehler, all das wird in der Öffentlichkeits-Blase, zu der Politiker, Experten und Journalisten gehören, aufgeregt diskutiert.

Spricht man mal mit ganz normalen Menschen, dann gibt es zwei eher überraschende Aussagen: Die Menschen können die tägliche Corona-Nachrichtenflut nicht mehr ertragen und schalten zumeist ab. Und noch erstaunlicher: Die allermeisten Menschen halten sich an die Beschränkungen und wären prinzipiell sogar bereit, noch mehr Zumutungen zu ertragen. Hauptsache, es kommt endlich ein Ende in Sicht. Ein Widerspruch?

Wir wissen längst nicht alles über das Virus

Überhaupt nicht. Daraus spricht eher eine gesunde Demut den Naturgewalten gegenüber, mit denen wir es hier zu tun haben. Wir wissen viel über das Corona-Virus, aber längst nicht alles. Die Virologen merken an, dass etwa die viel diskutierten Mutationen ihnen auch deshalb so große Sorgen machen, weil nicht vorhersehbar ist, wie stark die Gefahr wirklich ist, die von ihnen ausgeht.

DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Dennoch ist die Debatte geprägt von großer Aufgeregtheit. Sie folgt einer Logik politischer Auseinandersetzung, die ungefähr so läuft: Wir haben ein Problem, die Politik muss es im Verbund mit der Wissenschaft beseitigen. In jedem Fall gilt: Die Menschen sind Herren des Geschehens! Entweder haben sie Erfolg, oder aber sie können scheitern und werden dafür zur Verantwortung gezogen. So denken wir eigentlich alle, und darin liegt viel Hybris. 

Sogar die Corona-Leugner bewegen sich bei genauem Hinsehen innerhalb dieser Logik: Sie sind gegen die Beschränkungen, brandmarken sie als unzulässige Eingriffe in die Bürgerrechte. Also gibt es das Virus wahlweise gar nicht oder seine Gefahr wird übertrieben. Belege gibt es dafür nicht, die Zahl der Toten ist ja objektiv da. Aber aus Sicht der sogenannten "Querdenker" ist es logisch, die Gefahr einfach zu ignorieren. Sonst gibt es ja keine Begründung, die Beschränkungen abzulehnen. Auch das ist überheblich.

Zahlen werden politische Größen

Die Handelnden sind derweil verzweifelt bemüht, das Geschehen in einen begreifbaren Rahmen zu fassen: Die Inzidenz (Infektionen unter 100.000 Bürgern innerhalb von sieben Tagen - schon das ist reichlich abstrakt und schwer zu verstehen) ist längst zum allgemeinen Ziel geworden. Sie soll unter 50 sinken. Vorher, so die Regierung, sei an Lockerungen nicht zu denken.

Das erinnert stark an die Bemühungen, den vom Menschen verursachten Klimawandel in den Griff zu bekommen: Die international weitgehend anerkannte Formel, die Erderwärmung dürfe um nicht mehr als zwei Grad gegenüber der Industrialisierung, besser noch um nur 1,5 Grad steigen, ist eine politische Größe, keine wissenschaftliche. Schon vorher sind nämlich die Schäden durch den Klimawandel erheblich. Aber der Mensch, auch hier Maßstab der Dinge, traut sich zu, die Erderwärmung bei maximal zwei Grad noch beherrschen zu können.

Nicht alles ist sinnvoll, was möglich ist

In beiden Fällen, bei der Pandemie wie beim Klimawandel, steckt der Wunsch dahinter, die Welt zu erhalten, wie wir sie kennen: Mit einer global bis ins letzte vernetzten Wirtschaft und Wissenschaft, mit dem hohen Tempo der Digitalisierung, mit bald acht Milliarden Menschen.

Dazu gibt es ernsthaft auch keine Alternative. Der Mensch wird weiter die Geschicke auf der Welt bestimmen, dazu hat er sie schon viel zu sehr nach seinen Vorstellungen geprägt. Aber die Pandemie lehrt uns, dass nicht alles, was möglich ist, auch sinnvoll ist. Viele der handelnden Staaten haben den Menschen und sein individuelles Überleben in den Mittelpunkt der Pandemie-Bekämpfung gestellt. Das ist gut und richtig so, ein demokratischer Rechtsstaat ist ohne einen solchen Ansatz nicht denkbar.

Aber bei näherer Überlegung ist auch dieser Ansatz begrenzt. Wie lange können wir die Beschränkungen ertragen, ab wann kollabieren Wirtschaft und Gesellschaft? Wie viele Opfer sind dann zu beklagen? Das alles will bedacht sein und es liegt in unserer Hand, was wir in welchem Umfang tun. Aber am Ende sind wir den Naturgewalten ausgeliefert, auch dem Virus, auch im Jahre 2021. Dem mit mehr Demut zu begegnen, öffnet vielleicht ganz andere Ansätze für eine Neugestaltung unseres Miteinanders.

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