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PolitikBrasilien

Bolsonaro hat wenig zu befürchten

Thomas Milz - Gastkommentarbild
Thomas Milz
21. Oktober 2021

Die Anschuldigungen des brasilianischen Senatsauschusses zur Pandemiebekämpfung haben es in sich. Dass es zu einer Anklage gegen Präsident Bolsonaro kommt, ist unwahrscheinlich, meint Thomas Milz.

Bild: Mateus Bonomi/AA/picture alliance

Mehr als 600 000 Brasilianer starben bisher am Coronavirus. Neun Verbrechen wirft der Senatsausschuss in seinem Abschlussbericht Präsident Jair Bolsonaro nun wegen dessen verfehlter Corona-Politik vor. Darunter auch Scharlatanerie, Anstiftung zu Straftaten bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch gegen 65 weitere Personen werden schwere Vorwürfe erhoben. 

Bolsonaro reagierte, wie man es von ihm kennt. "Nichts als Hass und Groll" habe der Ausschuss hervorgebracht, sagte er auf einer Veranstaltung. Dabei verteidigte er zum wiederholten Mal die Anwendung von erwiesenermaßen unwirksamen Malariamedikamenten und Wurmmitteln zur Bekämpfung von COVID-19. Es sei schließlich die Entscheidung eines jeden Arztes, wie er seine Patienten behandelt, so Bolsonaro. 

Ein rein politischer Abschlussbericht

Der Präsident weiß, dass er juristisch wenig von dem 1200 Seiten starken Abschlussbericht zu befürchten hat. Zum einen ist der Bericht nichts weiter als ein Entwurf. In der kommenden Woche wird er im Senatsausschuss diskutiert und wahrscheinlich noch abgeändert. Danach muss er von der Mehrheit der elf Ausschussmitglieder noch abgesegnet werden. 

Dass es zudem noch sehr viel Spielraum gibt, zeigte die kurzfristige Streichung von zwei umstrittenen Passagen. Die Anschuldigungen gegen Bolsonaro wegen Mordes sowie des Völkermordes an der indigenen Bevölkerung wurden im letzten Moment auf Druck Bolsonaro-kritischer Senatoren entfernt. Es gäbe keinerlei juristische Grundlagen, hieß es, so dass diese Anschuldigungen die Glaubwürdigkeit des Berichts als Ganzes beschädigen würden.

Thomas Milz arbeitet als Korrespondent in BrasilienBild: Privat

Doch selbst wenn die wichtigsten Vorwürfe in der endgültigen und verabschiedeten Version des Berichts bestehen bleiben, hat dies erst einmal keinerlei juristische Konsequenzen für den Präsidenten. Letztlich ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob es tatsächlich Anhaltspunkte oder gar stichfeste Beweise für die angeführten Verbrechen gibt. 

Zudem hat Bolsonaro einen starken Trumpf im Ärmel. So liegt es an Generalstaatsanwalt Augusto Aras, Anklage gegen den Präsidenten zu erheben. Aras, der 2019 von Bolsonaro ins Amt berufen wurde, hat sich seitdem als zuverlässiger Beschützer des Präsidenten erwiesen. Dass er sich erhofft, von Bolsonaro in den Obersten Gerichtshof berufen zu werden, dürfte seine Prätorianertreue noch einmal erhöhen. Eine Anklage Bolsonaros ist von Aras nicht zu erwarten. Eher könnte es sein, dass Aras den Ausschussbericht "in der Schublade verschwinden lassen" wird, wie man das in Brasilien nennt.

Untersuchungsausschuss als politisches Instrument

Die Opposition, die im Untersuchungsausschuss die Mehrheit hat, weiß das natürlich. So setzt sie darauf, Bolsonaro wenigstens politisch zu schaden. In einem Jahr wählen die Brasilianer einen neuen Präsidenten. Der Ausschuss hält tonnenweise Material für den Wahlkampf der Opposition bereit.

Schwierig war das nicht; zu offensichtlich sind die Versäumnisse der Regierung bei der Pandemiebekämpfung und Bolsonaros offener Unwille, tätig zu werden. Dem Präsidenten ist es egal, wie viele Menschen sterben, und er scheut sich nicht, dies offen auszusprechen. Umso erstaunlicher ist, wie viele Brasilianer Bolsonaro immer noch die Treue halten. Sie glauben dem Narrativ des Präsidenten, dass es sich lediglich um einen Rachefeldzug der Opposition handelt.

Untersuchungsausschüsse sind meist reine Showveranstaltungen

Dafür haben sie gute Gründe: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind ein politisches Instrument der Opposition, um die Regierung zu hinterfragen. In der brasilianischen Geschichte dienten sie fast immer nur als eine rein parteipolitische Show ohne reale Konsequenzen. Insofern ist der Corona-Ausschuss eine historische Zäsur.

Es ist ein Verdienst des Untersuchungsausschusses, bisher unbekannte Details des Regierungsversagens ausgegraben zu haben. Das Korruptionsnetzwerk rund um die Beschaffung von Impfstoffen und Medikamenten wurde aufgedeckt, in dem sich regierungsnahe Politiker, Beamte und Unternehmer verfangen haben. Diese kleinen Fische dürften zu Bauernopfern werden.

Und die großen Fische? Sie müssen sich wohl am ehesten vor den Wählern fürchten. Denn wenn sie ihre Mandate erst einmal verloren haben, können Bolsonaro und Co. von der einfachen Justiz belangt werden. Dann würde noch einmal genau aufgerollt, wer für den Mangel an Sauerstoff in den Krankenhäusern Amazoniens verantwortlich war und den Tod hunderter Menschen dort zu verantworten hat. 

Brasiliens Arme in der Pandemie

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