Vergleiche zwischen dem Sturm auf den Kongress in Washington und dem sogenannten Arabischen Frühling überfluten die sozialen Medien. Sie sind nicht nur dumm, sondern verletzend, meint Aya Ibrahim.
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Als die Welt mit den barbarischen Bildern aus Washington aufwachte, die Donald Trumps Anhänger beim Sturm auf den US-Kongress zeigten, waren einige Beobachter in den USA schnell mit Parallelen zu sogenannten Dritte-Welt-Staaten zur Hand. Eine Reporterin des Fernsehsenders ABC bemerkte, sie fühle sich wie in Bagdad. Ein CNN-Kommentator fand: "Was hier passiert, sieht mehr nach Syrien als nach den Vereinigten Staaten von Amerika aus."
Ich verstehe die Versuchung, diese Vergleiche zu ziehen. Schließlich sind wir an die Plünderung von Regierungsgebäuden, an Aufruhr und Ausnahmezustand eher in meinem Teil der Welt gewöhnt als im "Land der Freien und der Heimat der Tapferen", wie es in der Nationalhymne der USA heißt. Aber was dort passiert, ist das Gegenteil dessen, was die arabische Welt im vergangenen Jahrzehnt erlebt hat. Diesen Vergleich zu ziehen - egal, mit welcher Absicht -, beleidigt uns.
Proteste für Frieden und Wahlrecht
Als meine ägyptischen Landsleute 2011 auf die Straße gingen und dabei auch Regierungsgebäude stürmten, taten sie das nicht, um die Ergebnisse einer rechtmäßigen Wahl zu kippen. Stattdessen kämpften sie für das Recht, bei fairen Wahlen ihre Stimme abgeben zu können. Sie haben keine Gewalt heraufbeschworen, um jemandem die Präsidentschaft zu entreißen, der sie sich legal verdient hatte. Sie rebellierten vielmehr gegen einen Autokraten, Hosni Mubarak, der sich ironischerweise auch dank der US-amerikanischen Nahostpolitik so lange im Amt halten konnte.
Für den Irak gilt das gleiche. Mehr als ein Jahr lang haben junge Leute dort ihr Leben auf der Straße riskiert, um den Jahrzehnte langen Gewaltkreislauf zu beenden, den unter anderem die US-Invasion 2003 in Gang gesetzt hatte. Auch der Vergleich mit Syrien liegt völlig daneben. Die Syrerinnen und Syrer haben für Freiheit demonstriert. Als DW-Reporterin habe ich auch viele Demonstranten in Ländern wie dem Sudan und dem Libanon getroffen. Meine Unterhaltungen mit ihnen könnten nicht weiter entfernt sein von dem, was Trump-Anhänger in den vergangenen Tagen gesagt haben.
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Die USA sollten in den Spiegel schauen
Diese Vergleiche suggerieren auch fälschlicherweise, dass es Gewalt irgendwie nur im Nahen Osten gibt. Sie definieren Aufruhr als etwas, das diesen traurigen, gebeutelten, weit entfernt lebenden Menschen in diesem traurigen, gebeutelten, weit entfernten Teil der Welt einfach anhaftet. Tatsächlich ist dieser Aufruhr traurigerweise sehr amerikanisch und kein bisschen überraschend.
Die USA sind ein Land, das immer noch an Rassismus leidet, an weit verbreiteter Ungleichheit und Wählerunterdrückung. Dies ist ein Land, das sich in hasserfüllter Rhetorik aus dem höchsten Staatsamt vier Jahre lang gesuhlt hat. Vergleiche zum Nahen Osten zu ziehen, ist eine unangebrachte und ärgerliche Ablenkung davon, wo die USA gerade stehen.
Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs.
Trump-Anhänger stürmen US-Kapitol
Lange hat Noch-Präsident Donald Trump seine treuesten Anhänger aufgestachelt. Die Folge: Einige drangen am Mittwoch in die Herzkammer der US-Demokratie ein.
Bild: Leah Millis/REUTERS
Es braut sich was zusammen
Die Zahl der fanatischen Trump-Anhänger vor dem US-Kapitol ist den ganzen Tag über angewachsen. Zunächst gelingt es den Sicherheitskräften, sie auf Abstand zu halten.
Bild: Olivier Douliery/AFP/Getty Images
Erste Zusammenstöße
Zeitgleich zur gemeinsamen Sitzung beider Kongresskammern, also Senat und Repräsentantenhaus, bei der das Ergebnis der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten offiziell bestätigt werden soll, versammeln sich Anhänger des abgewählten Donald Trump vor dem Kapitol. Es kommt zu ersten Zusammenstößen mit Polizisten, die das Kapitol abschirmen sollen.
Bild: Stephanie Keith/REUTERS
Ein zu schwacher Kordon
Doch die zunehmend wütende Menge will bis zum Kapitol vordringen. Polizisten versuchen, sie zu stoppen. Einigen aggressiven Trump-Unterstützern gelingt es, ins Gebäude zu kommen.
Bild: Win McNamee/Getty Images
Erstürmung des Kapitols
Einige Demonstranten schaffen es, tief ins Gebäude vorzudringen: bis vor die Türen des Senats.
Bild: Win McNamee/Getty Images
Verteidigung der letzten Bastion
Sicherheitskräfte versuchen, die Randalierer in der Eingangshalle in Schach zu halten. Die Politiker im Senat werden durch einen zweiten Ausgang in Sicherheit gebracht.
Bild: Manuel Balce Ceneta/AP Photo/picture alliance
Einer kommt durch
Derweil schafft es ein Trump-Anhänger an den Sicherheitskräften vorbeizukommen und in den Senat zu stürmen. Er springt von der Besuchertribüne in den Plenarsaal.
Bild: Win McNamee/Getty Images
Pistolen im Anschlag
Dasselbe Bild im anderen Flügel des Kapitols. Auch die zweite Kongresskammer, das Repräsentantenhaus, ist das Ziel der Eindringlinge. Beamte des Kapitol-Sicherheitsdienstes stoppen sie - mit gezogen Waffen.
Bild: J. Scott Applewhite/AP Photo/picture alliance
Feindliche Übernahme?
Dennoch dringen Trump-Anhänger immer tiefer ein - auch in die Büroflure des Kapitols. Dort machen sie sich an den Schreibtischen von Abgeordneten breit.
Bild: Saul Loeb/AFP/Getty Images
Außer Kontrolle
Einer der Eindringlinge lässt das Rednerpult der Repräsentantenhaus-Vorsitzenden Nancy Pelosi mitgehen und trägt es durch das Kapitol. Niemand hält ihn auf.
Bild: Win McNamee/Getty Images
In Deckung
Die Plenarsäle werden geräumt. Einige suchen Schutz auf der Galerie des Repräsentantenhauses. Wie ein Reporter berichtet, werden Gasmasken verteilt - als Schutz vor Tränengas.
Bild: Andrew Harnik/AP Photo/picture alliance
Gasschwaden auf dem Capitol Hill
Den Sicherheitskräften bleibt nichts anderes übrig: Um die wütende Menge aufzulösen, setzen sie Tränengas ein.
Bild: Andrew Caballero-Reynolds/AFP/Getty Images
Großaufgebot beendet Chaos am Kapitol
Die Polizeikräfte werden verstärkt, die Nationalgarde eilt zur Hilfe und die Bürgermeisterin verhängt eine nächtliche Ausgangssperre, die bis 6.00 Uhr morgens gilt. So kommt Washington am Abend langsam zur Ruhe.