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Politik

Dieser Vergleich beleidigt uns!

DW Reporterin Aya Ibrahim
Aya Ibrahim
8. Januar 2021

Vergleiche zwischen dem Sturm auf den Kongress in Washington und dem sogenannten Arabischen Frühling überfluten die sozialen Medien. Sie sind nicht nur dumm, sondern verletzend, meint Aya Ibrahim.

Aufruhr: Trump-Anhänger stürmen das Kapitol in WashingtonBild: Shannon Stapleton/REUTERS

Als die Welt mit den barbarischen Bildern aus Washington aufwachte, die Donald Trumps Anhänger beim Sturm auf den US-Kongress zeigten, waren einige Beobachter in den USA schnell mit Parallelen zu sogenannten Dritte-Welt-Staaten zur Hand. Eine Reporterin des Fernsehsenders ABC bemerkte, sie fühle sich wie in Bagdad. Ein CNN-Kommentator fand: "Was hier passiert, sieht mehr nach Syrien als nach den Vereinigten Staaten von Amerika aus."

Ich verstehe die Versuchung, diese Vergleiche zu ziehen. Schließlich sind wir an die Plünderung von Regierungsgebäuden, an Aufruhr und Ausnahmezustand eher in meinem Teil der Welt gewöhnt als im "Land der Freien und der Heimat der Tapferen", wie es in der Nationalhymne der USA heißt. Aber was dort passiert, ist das Gegenteil dessen, was die arabische Welt im vergangenen Jahrzehnt erlebt hat. Diesen Vergleich zu ziehen - egal, mit welcher Absicht -, beleidigt uns.

Proteste für Frieden und Wahlrecht

Als meine ägyptischen Landsleute 2011 auf die Straße gingen und dabei auch Regierungsgebäude stürmten, taten sie das nicht, um die Ergebnisse einer rechtmäßigen Wahl zu kippen. Stattdessen kämpften sie für das Recht, bei fairen Wahlen ihre Stimme abgeben zu können. Sie haben keine Gewalt heraufbeschworen, um jemandem die Präsidentschaft zu entreißen, der sie sich legal verdient hatte. Sie rebellierten vielmehr gegen einen Autokraten, Hosni Mubarak, der sich ironischerweise auch dank der US-amerikanischen Nahostpolitik so lange im Amt halten konnte.

DW-Reporterin Aya IbrahimBild: Robert Richter/DW

Für den Irak gilt das gleiche. Mehr als ein Jahr lang haben junge Leute dort ihr Leben auf der Straße riskiert, um den Jahrzehnte langen Gewaltkreislauf zu beenden, den unter anderem die US-Invasion 2003 in Gang gesetzt hatte. Auch der Vergleich mit Syrien liegt völlig daneben. Die Syrerinnen und Syrer haben für Freiheit demonstriert. Als DW-Reporterin habe ich auch viele Demonstranten in Ländern wie dem Sudan und dem Libanon getroffen. Meine Unterhaltungen mit ihnen könnten nicht weiter entfernt sein von dem, was Trump-Anhänger in den vergangenen Tagen gesagt haben.

Die USA sollten in den Spiegel schauen

Diese Vergleiche suggerieren auch fälschlicherweise, dass es Gewalt irgendwie nur im Nahen Osten gibt. Sie definieren Aufruhr als etwas, das diesen traurigen, gebeutelten, weit entfernt lebenden Menschen in diesem traurigen, gebeutelten, weit entfernten Teil der Welt einfach anhaftet. Tatsächlich ist dieser Aufruhr traurigerweise sehr amerikanisch und kein bisschen überraschend.

Die USA sind ein Land, das immer noch an Rassismus leidet, an weit verbreiteter Ungleichheit und Wählerunterdrückung. Dies ist ein Land, das sich in hasserfüllter Rhetorik aus dem höchsten Staatsamt vier Jahre lang gesuhlt hat. Vergleiche zum Nahen Osten zu ziehen, ist eine unangebrachte und ärgerliche Ablenkung davon, wo die USA gerade stehen.

Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs.

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