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Politik

Der Westen braucht Zusammenhalt

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Jens Thurau
19. Februar 2022

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz wird vor einer Intervention Russlands in der Ukraine gewarnt. Aber während die Einigkeit des Westens beschworen wird, ist die deutsche Haltung widersprüchlich, meint Jens Thurau.

Münchner Sicherheitskonferenz, hier die Rede von US-Vizepräsidentin Kamala HarrisBild: Andrew Harnik/AP Photo/picture alliance

Es hat etwas Gespenstisches, an diesem Wochenende den Reden bei der Sicherheitskonferenz in München zuzuhören. Von europäischem Zusammenhalt ist viel die Rede, von einem neuen, festeren transatlantischen Verhältnis, gerade zwischen Washington und Berlin. Davon, dass die NATO niemanden bedroht, auch Russland nicht. Dass immer noch verhandelt werden kann, dass ein Krieg um die Ukraine mit allen Mitteln verhindert werden muss. Fast Beschwörungen sind das.

Und zeitgleich hören die Konferenzteilnehmer im Bayerischen Hof die aktuellen Meldungen aus der Grenzregion zwischen Russland und Ukraine. Von einem russischen Großmanöver etwa just an diesem Wochenende, persönlich überwacht vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Von einer Mobilmachung prorussischer Separatisten im Osten der Ukraine. München diskutiert, appelliert an westliche Werte, Putin schafft Fakten. US-Präsident Joe Biden sagt derweil in Washington, dass er glaubt, dass Putin die Ukraine angreifen werde.

Was tun? Es ist leicht, Europa und vor allem Deutschland jetzt Tatenlosigkeit vorzuwerfen. Sehr viel haben die Europäer nicht in der Hand. Nuancen gibt es aber sehr wohl. Am Freitag nennt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen das Geschehen eine "russische Krise", keine ukrainische. Benennt also eindeutig den Aggressor. Und erwähnt bei möglichen Sanktionen nach einer russischen militärischen Aktion ausdrücklich die Gaspipeline Nord Stream 2. Mit anderen Worten: Nord Stream 2, fertig gebaut, kann nicht ans Netz gehen, wenn Russland in der Ukraine interveniert und Grenzen verschiebt.

DW-Redakteur Jens Thurau

Aber Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt am Samstag in seiner Rede und auch bei den anschließenden Fragen dabei, die Pipeline mit keinem Wort zu erwähnen, wie schon bei vielen Auftritten in den vergangenen Tagen und Wochen. Scholz und seine Partei, die deutschen Sozialdemokraten, dieser Gedanke drängt sich auf, stehen gerade vor den Scherben ihrer seit vielen Jahren vorherrschenden Russlandpolitik - also der Diplomatie und der wirtschaftlichen Kooperation, auf die sie trotz der heftiger werdender Provokation aus Russland setzen. Und als Scholz nach dem deutschen Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine gefragt wird, entfährt ihm ein Satz, der die Grundzüge der deutschen Politik an diesem Punkt zusammenfasst: Von anderen Staaten bekomme die Ukraine doch durchaus Waffen, sagt Scholz. Diese Art, sich möglichst zurückzuziehen, wenn die schmutzigen Jobs erledigt werden müssen, wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen.

Viele Versuche, Putin zu interpretieren

Interessant ist, wie in München immer wieder nach den Motiven des russischen Präsidenten gefragt und geforscht wird. Scholz berichtet von seinem Gespräch mit Putin vor einigen Tagen in Moskau. Er habe ihm klar gemacht: Er könne nicht akzeptieren, dass der Grund für seine aggressive Politik die Tatsache sei, dass die NATO das Bündnis nach dem Ende des Kalten Krieges Richtung Osten erweitert habe. Ginge man in der Weltgeschichte nur weit genug zurück, so Scholz, notfalls mehrere Jahrhunderte, lasse sich immer ein Grund finden, die Grenzen zu verschieben. Zweifellos richtig, aber ob Putin das beeindruckt?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwähnt, in der Ukraine gebe es mittlerweile eine ganze Generation von jungen Menschen, die sich Richtung Westen orientierten, Richtung westlicher Demokratie und Marktwirtschaft. Vor allem davor habe Putin Angst. Auch das ist kaum von der Hand zu weisen, aber kann das helfen, die Eskalation noch zu verhindern?

Die Diplomatie steht auf dem Prüfstand

Den Vertretern der alten westlichen Bündnisse - der NATO, der EU - bleibt in München nur, den Zusammenhalt zu stärken, Einigkeit zu zeigen. Das geschieht auf breiter Front. Putin würde bei einer Intervention einen hohen Preis zahlen, das bekräftigen fast alle Redner. US-Vizepräsidentin Kamala Harris betont leidenschaftlich den Zusammenhalt des Westens und verzichtet auf jede Kritik an den Verbündeten, auch an den Deutschen, die es in Washington sehr wohl gibt.

Es geht um so viel, lautet das Motto, aktuell um die Ukraine, aber doch weit darüber hinaus. Ursula von der Leyen etwa sagt, dass Russland und auch China auf eine gänzlich neue Weltordnung setzen. Auf eine konfrontativere, eine, in der autokratische Staaten eine viel größere Rolle spielen. Und dass die Diplomatie alter Schule in den Hintergrund gedrängt wird. Das ist es, was das Münchner Treffen so gespenstisch macht. Denn die Sicherheitskonferenz ist im Kern doch das: Eine Bühne für Gespräche, bei allen Unterschieden, vor den Kameras, vor allem aber in Hintergrundgesprächen. Mit Vertretern aus allen Lagern, auch aus nicht-demokratischen. Wer miteinander redet, schießt nicht aufeinander, lautet das Motto. Putin aber bewegt sich gerade in eine andere Richtung.

Dieser Artikel wurde am 20.02.2022 aktualisiert.

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