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Politik

Deutsche Panzer in die Ukraine - und zwar schnell

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
13. September 2022

Die derzeit erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine hat die Diskussion um Panzerlieferung neu angefacht. Ist dies der Zeitpunkt für ein Umdenken des Westens? Zumindest für eine schnelle Entscheidung, meint Miodrag Soric.

Schweres Militärgerät aus Deutschland - die Ukraine fordert das schon langeBild: Courtesy Canadian Armed Forces/REUTERS

Nicht nur die russischen Truppen wurden von den jüngsten Erfolgen der ukrainischen Armee im Osten der Ukraine überrascht. Auch der Westen, darunter die deutsche Regierung, hatte mit dem schnellen Vorrücken der Verteidiger kaum gerechnet.

Auf der einen Seite die angebliche militärische Supermacht Russland mit endlosen Nachschubmöglichkeiten für ihre Kanonen, Panzer und Kampfflugzeuge; auf der anderen Seite die ukrainischen Kräfte, die seit Monaten täglich um Waffen aus dem Westen flehen, um weiterkämpfen zu können.

Das Momentum auf dem Schlachtfeld

Und so wird die Bundesregierung jetzt erneut aufgefordert, kurzfristig moderne Leopard-2-Panzer in die Ukraine zu schicken. Kiew will das Momentum auf dem Schlachtfeld nutzen und die russischen Angreifer so weit wie möglich zurückschlagen. Weitere Geländegewinne wären ein wichtiges Faustpfand bei Verhandlungen mit Moskau bei einem möglichen Waffenstillstand.

DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Moderne Panzer für Kiew jetzt, sofort? Die Bundesregierung zögert. Wie so oft in den vergangenen Monaten, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine ging. Berlin bietet ein widersprüchliches Bild. Da versprechen Regierungsmitglieder, Deutschland stehe ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine. Gleichzeitig tauchen eben diese Politiker ab, wenn sie klar sagen sollen, ob Deutschland die Leopard-2-Panzer liefern soll oder nicht. Oft klafft eine gewaltige Lücke zwischen Rhetorik und praktischer Tat.

Streit unter den deutschen Koalitionspartnern

Richtig ist, dass sich vor allem der Kanzler und die SPD bedeckt halten. FDP und Grüne hingegen befürworten Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine, darunter auch moderne westliche Panzer. Für den Streit unter den Koalitionspartnern hat Kiew wenig Verständnis. Es braucht die Unterstützung jetzt. Denn das Glück auf dem Schlachtfeld kann sich schnell wenden. Ob deutsche Panzer in ein paar Monaten die gleiche abschreckende Wirkung auf Russlands Aggressoren entfalten können wie in den kommenden Wochen, kann niemand voraussagen.

Bundeskanzler Olaf Scholz gibt erneut den Zauderer: Erstens will er sich bei der Lieferung von Leopard-2-Panzern abstimmen - vor allem mit US-Amerikanern, Franzosen und Briten. Zweitens will er trotz Waffenlieferungen an Kiew den Gesprächsfaden mit dem Kreml nicht völlig abreißen lassen. Drittens fürchtet der Regierungschef, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen eine drohende militärische Niederlage verhindern könnte. Am Ende des Konfliktes, so die Wunschvorstellung des Westens, muss eine politische Lösung stehen, mit der alle Beteiligten - also auch Moskau - leben können.

Die Chance des Westens

Doch Kriege verlaufen selten so, wie sich Politiker dies ausmalen. Präsident Putin hat dies in den vergangenen Monaten schmerzlich erfahren dürfen. Er dachte im Februar, seine sogenannte "Spezialoperation" würde wenige Tage, bestenfalls Wochen dauern und ihm einen überwältigenden Sieg bringen. In Wirklichkeit hätte er der Weltöffentlichkeit die militärische Unfähigkeit, die schlechte Moral von Russlands Truppen kaum besser vor Augen führen können.

Eine militärische Niederlage würde seine Macht bedrohen. Für den Westen ist dies eine Chance, keine Gefahr. Putin neigt nicht zu irrationalen Handlungen. Er respektiert Gegner nur, wenn sie mit Macht gegenhalten können. Schwäche, darunter auch Uneinigkeit im Westen, nutzt er zu seinem Vorteil aus.

Sich unter den westlichen Verbündeten auf die Lieferung von modernen Panzern an die Ukraine zu einigen, darf deshalb nicht Wochen dauern. Sie muss schnell - also binnen Tagen - kommen. Eine solche Entscheidung, eine weitere Demonstration der Einigkeit im Westen, würde Putins Bereitschaft, ernsthaft zu verhandeln, deutlich vergrößern.

Risiko: Krieg mit der NATO 

Und noch dies: Der Westen braucht den Einsatz von Atomwaffen nicht zu fürchten. Das sind Drohgebärden des Kremls, mehr Rhetorik als alles andere. Der Einsatz von nuklearen Waffen würde schnell Putins Ende herbeiführen. China, sein wichtigster Verbündeter, würde sich allein wegen der wirtschaftlichen Folgen von ihm abwenden. Gleiches gilt für die Russen. Sie wollen weiter an das glauben, was Putin ihnen versprochen hat: eine räumlich und zeitlich begrenzte "Spezialoperation", die kaum Einfluss hat auf ihren Alltag. Umfragen belegen, dass Russen nichts mehr fürchten als eine militärische Auseinandersetzung mit der NATO. Die könnte aber bei einem russischen Einsatz von Atomwaffen kaum ausgeschlossen werden.