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Politik

Eine vergebliche Entschuldigung

Kommentarbild vorläufig Okeri Ngutjinazo
Okeri Ngutjinazo
12. Juni 2021

Deutschland hat angekündigt, sich offiziell für die Gräueltaten an den Nama und Herero während der Kolonialzeit zu entschuldigen. Doch diese Entschuldigung wird die Nachfahren nicht besänftigen, meint Okeri Ngutjinazo.

Wer die Hilfen aus Deutschland bekommen soll, ist nicht nur in Namibia selbst, sondern auch in Deutschland umstrittenBild: Paul Zinken/dpa//picture alliance

Als ich aufwuchs, wusste ich wenig über den Völkermord an den Nama und Herero, der zwischen 1904 und 1908 stattfand. Damals wurden fast 80 Prozent des Volkes der Herero ausgelöscht, dem auch ich angehöre.

Manche mögen die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia für "kurzlebig" im Vergleich zu anderen europäischen Mächten halten. Aber die blutigen Folgen des deutschen Kolonialismus und die Zerstörung, die er den Gemeinschaften der Herero und Nama zufügte, gingen weit über den Zeitraum von 1904 bis 1908 hinaus, für den sich Deutschland jetzt entschuldigen will. Sie prägen die Existenz der Nama und Herero in Namibia bis zum heutigen Tag.

Das deutsche Blut in meinen Adern

Nachdem deutsche Truppen die Aufstände der Herero und Nama niedergeschlagen hatten, und auch nachdem Deutschlands Kolonialreich als Folge des Ersten Weltkriegs zerfiel, blieben deutsche Siedler in Namibia. Sie bewirtschafteten weiter das Land, das sie erobert hatten und von dem die meisten Nama und Herero vertrieben worden waren. Die wenigen, die noch übrig geblieben waren, mussten als erobertes Volk unter ihnen arbeiten. Meine Eltern haben mir die Einzelheiten erspart, aber ich weiß, dass ein kleiner Prozentsatz deutsches Blut in meinen Adern fließt - durch meinem Urgroßvater, der 1914 geboren wurde: Seine Mutter arbeitete als Küchenhilfe für einen Deutschen und wurde von ihm vergewaltigt.

Okeri Ngutjinazon ist DW-Redaktionsvolontärin und selbst HereroBild: Privat

Die Entschuldigung und das Eingeständnis des Völkermordes sind ein Beitrag zur Heilung der Wunden. Im Gegensatz zu anderen Kolonialmächten erkennt Deutschland seine Rolle bei den Verbrechen der Kolonialzeit an. Es stimmt einem Abkommen zu, das das erste seiner Art zwischen einer Kolonie und ihrer ehemaligen Kolonialmacht ist. Aber Deutschland macht eben keinen Schritt nach vorne, wenn es sich weigert, die zugesagte Hilfe "Reparationen" zu nennen.

Obwohl die namibische Regierung detailliert dargelegt hat, wofür die Hilfe verwendet werden soll (Bau von Landstraßen, Wasserversorgung und Landerwerb), bleibt sie für einige Hereros sowohl mit Blick auf den Betrag als auch - was noch wichtiger ist - mit Blick auf die Absicht weit hinter den Erwartungen zurück.

Warum keine "Reparationen"?

Indem das Paket von 1,1 Milliarden Euro als Finanzhilfe bezeichnet wird, stellt man es auf die gleiche Stufe wie die beträchtlichen Geldsummen, die Namibia seit seiner Unabhängigkeit von Deutschland erhalten hat. Doch eine solche Terminologie beschönigt die Schwere und Art der Verbrechen, welche die deutsche Regierung nun zugibt. Man stellt sich die Frage: Ist Deutschland wirklich bereit, seine Rolle in der kolonialen Vergangenheit Namibias zu akzeptieren, wenn es sich weigert, diesen finanziellen Ausgleich auch "Reparationen" zu nennen?

Der deutsche Wunsch, aus rechtlichen Gründen den Begriff "Reparationen" zu vermeiden, ist nachvollziehbar. Aber für die betroffenen Gruppen ist Deutschlands Strategie, einen Präzedenzfall für weitere Ansprüche zu vermeiden, völlig irrelevant: Sie wollen nur Gewissheit haben, dass es Deutschland wirklich ernst meint, wenn es sich jetzt für die Verbrechen entschuldigt, die es in der Vergangenheit begangen hat.

Fehlendes Vertrauen

Viele Häuptlinge, die das Volk der Herero und Nama repräsentieren, haben das Angebot der deutschen Regierung abgelehnt und sagen, der angebotene Betrag sei "eine Beleidigung". Darüber hinaus hat die Strategie beider Regierungen, bilateral zu verhandeln, anstatt dass Deutschland direkt mit den Herero- und Nama-Gruppen verhandelt, den Nachkommen der Opfer das Gefühl vermittelt, sie würden ausgegrenzt. Jede Versöhnung zwischen Deutschland, den Nama- und Herero-Gruppen und den Nachkommen der deutschen Siedler, die vielfach noch immer das in der Kolonialzeit erworbene Land besitzen, wird so behindert. Den Herero und Nama fehlt auch das Vertrauen, dass die Hilfe vollständig zu ihren Gunsten verwendet und nicht zweckentfremdet wird.

In Anbetracht des immensen wirtschaftlichen und politischen Einflusses, den Deutschland auf Namibia ausübt, könnte die finanzielle Hilfe, die Deutschland anbietet, als ein gönnerhaftes und wohltätiges "Geschenk" an alle Opfer des Völkermordes interpretiert werden. Genau das möchte Deutschland nach eigenen Angaben vermeiden.

Nicht auf Augenhöhe

Die Entschuldigung Deutschlands ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber man sollte sich keine Illusionen machen, dass er ausreichen wird, um dieses schmerzhafte Kapitel abzuschließen. Weit gefehlt: Es gibt bis heute viele junge Namibier wie mich, deren Familie und Werdegang durch das brutale Vorgehen der Kolonialmächte direkt und unwiderruflich geprägt wurde. Dieser Schmerz wird noch für Generationen spürbar sein.

Das Gefühl der Opfer, ausgegrenzt worden zu sein, und der Verweis auf "Hilfe" zerstört jede Chance, dass die deutsche Entschuldigung als eine wirkliche Wiedergutmachung an den Opfern der kolonialen Eroberungen empfunden wird. Solange sich beide Parteien nicht auf Augenhöhe begegnen, mag diese Entschuldigung für Deutschland vielleicht aufrichtig klingen. Für die Gemeinschaften der Nama und Herero bleibt sie aber hohl.

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