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Deutschland hat in Afghanistan versagt

20. August 2021

Die Bundesregierung steht vor dem Trümmerhaufen ihrer Afghanistan-Politik. Auch nach dem Triumph der Taliban übernimmt sie nur zögerlich Verantwortung. Marcel Fürstenau findet das beschämend.

Die Bundesregierung hat die Situation in Afghanistan falsch eingeschätztBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

"Raus aus Afghanistan!" Das forderte die Linke 20 Jahre lang - seit 2001, dem Beginn des militärischen Engagements Deutschlands im Rahmen des NATO-geführten ISAF-Einsatzes. Eine durchsichtige, billige Forderung, weil die Oppositionspartei nie Regierungsverantwortung übernehmen musste? Und damit auch Verantwortung für Kampfeinsätze der Bundeswehr? Ja und nein.

Ja, weil der Kampf gegen den Terror der Taliban - zumindest Anfang des Jahrtausends - auch mit der berechtigten Hoffnung auf Fortschritt und Demokratie für die Menschen in Afghanistan verbunden war. Nein, weil sich sehr schnell zeigte, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen sein würde. Denn alle afghanischen Regierungen bekamen das Grundübel der Korruption nicht in den Griff, wollten das wohl auch gar nicht. Hinzu kam: Der Westen unternahm nie den ernsthaften Versuch, daran etwas zu ändern. Und achtete, wie so oft bei militärischen Operationen, zu wenig auf Kultur und Geschichte des zu befriedenden Landes. 

Die Bundesregierung ließ Spielräume ungenutzt

"Raus aus Afghanistan!" - diese wohlfeil klingende Parole eines politischen Leichtgewichts (Linke) war in Wirklichkeit seit vielen Jahren eine feste Größe in den Überlegungen auch der Bundesregierung. Die Frage war nur: wann? Natürlich wussten die Verantwortlichen, allen voran die mit Richtlinienkompetenz ausgestattete Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Antwort aus Washington kommen würde.

DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Die USA waren bei diesem militärisch und humanitär auf ganzer Linie gescheiterten Feldzug Taktgeberin - auch als es plötzlich hieß: "Raus aus Afghanistan!" Allerdings hatte die deutsche Regierung dabei durchaus Spielräume - weniger im militärischen als im zivilen Bereich. Denn für den kleinkarierten, bürokratischen Umgang mit den eigenen Ortskräften und ihren Familien ist allein Deutschland verantwortlich.

Es fehlte ein Plan B

Dass viele von ihnen nicht rechtzeitig aus Afghanistan herausgeholt wurden, ist schrecklich und beschämend für diese Regierung. Da hält Außenminister Heiko Maas noch im Juni einen schnellen Sieg der Taliban für ausgeschlossen und als genau dieser Fall eintritt, macht er den Bundesnachrichtendienst (BND) dafür verantwortlich. Die Kritik an der falschen Lageeinschätzung mag berechtigt sein, greift aber viel zu kurz.

Zu einer weitsichtigen Politik gehört es, sich auf alle denkbaren Szenarien einzustellen. Dafür hätte Plan B in der Schublade liegen müssen: zur schnellen Evakuierung der deutschen Botschaft in Kabul und der vielen Afghanen, ohne deren oft lebensgefährliche Unterstützung insbesondere die Bundeswehr in ihrer fatal und unter vielen Opfern misslungenen Mission angewiesen war. Das Zusammenspiel der für Afghanistan wichtigsten Ressorts hat in der Stunde der militärischen Niederlage und in den Wochen davor versagt: Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministerium fehlte eine gemeinsame Strategie.

Angela Merkel muss sich erklären!

Hauptverantwortlich dafür ist das Kanzleramt, wo alle Fäden zusammenlaufen. Hier werden in wöchentlichen Kabinettssitzungen die wichtigsten Entscheidungen getroffen. Hier ist der für die Auslandsaufklärung zuständige BND angesiedelt. Hier gibt es einen Geheimdienstkoordinator. Kurzum: Angela Merkel muss sich erklären! Ihr wie allen anderen Menschen in Deutschland bleibt jetzt nur noch die Hoffnung, dass die viel zu spät gestarteten Evakuierungen von Deutschen und Afghanen gelingen.

Noch können viele Menschenleben gerettet werden. Dafür darf kein Preis zu hoch sein - weder finanziell noch politisch. Eines allerdings wird dieser deutschen Regierung nach ihrem Desaster kaum mehr gelingen: das in Deutschland und Afghanistan verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. 

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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