Keine drei Tage sind seit der ersten Impfung vergangen, und schon wird diskutiert, ob Privilegien für Geimpfte ungerecht gegenüber anderen sind. Fabian Schmidt meint: "Haltet mal die Luft an!"
Die ganze Debatte können wir uns zumindest bis zum Sommer 2021 noch aufsparen, wenn wir uns die jetzige Wirklichkeit mal vor Augen führen: Die erste Frau, die in Deutschland geimpft wurde, ist 101 Jahre alt. Sie steht stellvertretend dafür, welche Prioritäten bei der Impfstrategie gelten.
Es geht vor allem darum, diejenigen zu schützen, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind: Hochbetagte und Menschen mit Vorerkrankungen.
Dazu hat die Bundesregierung festgelegt, dass zuerst Menschen über 80 Jahren drankommen, nebst Ärzten und Pflegern mit hohem Ansteckungsrisiko. Dann kommen Über-70-Jährige und andere Hoch-Risikogruppen. Als drittes sind Über-60-Jährige an der Reihe, Polizisten und andere Berufsgruppen mit erhöhtem Infektionsrisiko.
Selbst wenn alles läuft wie geplant, kommt die Großzahl der jüngeren Menschen vor Sommer 2021 ohnehin nicht an eine Impfung heran.
Schwenken 90-Jährige in der Südkurve ihre Fahnen?
Nun schon zu diskutieren, ob die Geimpften irgendwelche Sonderrechte genießen dürfen, ob das möglicherweise ungerecht gegenüber den anderen ist oder gar subtiler Druck auf Impfskeptiker ausgeübt wird, ist völlig weltfremd.
Es wird wohl nicht viele Menschen über 70 geben, die ein starkes Bedürfnis verspüren, sich auf dem Wacken-Heavy-Metal-Festival im Schlamm zu wälzen, beim "Rock am Ring" zu campen, in den Bundesliga-Stadien die Südkurve zu füllen oder Après-Ski zu feiern.
Auch die Zahl der demnächst geimpften Senioren und Kranken, die jetzt schon wieder Fernreisen mit dem Flieger planen, dürfte kaum ausreichen, um eine Airline davon zu überzeugen, wieder zum Normalbetrieb überzugehen. Um profitabel zu arbeiten, müssten sie also auch Nicht-Geimpfte mitnehmen.
Dafür bietet nur ein zeitnaher negativer Corona-Test eine handhabbare Lösung. Ersatzweise könnten Veranstalter und Fluglinien zwar dann auch einen Impfnachweis gelten lassen; der kann und wird aber nicht alleinige Voraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sein können.
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Veranstalter und Airlines können auf Kunden nicht verzichten
Auch die australische Fluglinie Quantas wird ihre Ankündigung, nur Geimpfte fliegen zu lassen, wirtschaftlich nicht lange durchhalten können. Dafür gibt es einfach auf absehbare Zeit zu wenig Impfstoff. Und es liegt ja auch nicht im Interesse von Unternehmen, Kunden auszuschließen - gerade, wenn diese in Corona-Zeiten ohnehin eher zurückhaltend sind.
Und die Restaurants? Die können es sich schon gar nicht leisten, Kunden abzuweisen, die keine Impfbescheinigung haben. Auch auf einem aktuellen Corona-Test werden sie nicht bestehen, weil er mehr kostet als Schnitzel und Bier zusammen. Sie können nur darauf hoffen, dass sie irgendwann, wenn die Infektionszahlen wieder runter gehen, unter den erprobten Hygienebedingungen dort weitermachen dürfen, wo sie vor dem Lockdown aufgehört haben.
Anstatt uns jetzt verrückt zu machen, zu hyperventilieren und irrsinnige Hypothesen durchzuspielen, sollten wir alle lieber mal tief ein- und ausatmen. Den langen Atem werden wir ohnehin brauchen. So schnell kommt die ersehnte Normalität nämlich nicht zurück.
Und was ab Herbst des nächsten Jahres sein wird - das müssen wir erst noch erleben. Und damit wir es erleben, bleibt es dabei: Hände waschen! Abstand halten! Maske tragen!
Forscher und ihre Selbstversuche
Was haben ein Mediziner, der seine eigene Impfung gegen das Coronavirus schluckt, ein Psychoanalytiker auf Koks und der schnellste Mann der Welt gemeinsam? Sie sind Wissenschaftler und ihre eigenen Versuchskaninchen.
Bild: picture-alliance/AP/NIAID-RML
Schluckimpfung gegen Corona
Mut, Neugier oder völlige Selbstüberschätzung? Vermutlich ist es eine Mischung aus all dem, die so manchen Wissenschaftler dazu veranlasst, eigene Erfindungen zuerst an sich selbst zu testen. So soll ein chinesischer Mediziner laut der Tageszeitung Global Times eine Schluckimpfung gegen das Coronavirus nicht nur selbst entwickelt, sondern auch selbst getestet haben. Bisher ohne Nebenwirkungen.
Bild: picture-alliance/AP/NIAID-RML
Lachgas-Party mit Humphry
Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn und privates Vergnügen können durchaus Hand in Hand gehen. Der britische Chemiker Sir Humphry Davy experimentierte zwischen 1795 und 1798 mit Lachgas. Mit Hilfe seiner Selbstversuche entdeckte er nicht nur die schmerzstillende, sondern auch die berauschende Wirkung des Gases.
Bild: picture-alliance/dpa
Entdecker der UV-Strahlung
Der deutsche Physiker Johann Wilhelm Ritter entdeckte 1801 nicht nur die ultraviolette Strahlung, sondern erfand im Jahr darauf auch den ersten Akku. Ritters Interesse galt außerdem dem Galvanismus - einer Bezeichnung für Muskelkontraktionen durch Stromschläge. Dass er bereits 33-jährig starb, soll auch an den galvanischen Selbstversuchen gelegen haben, mit denen er seinen Körper malträtiert hat.
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Freud auf Koks
Der österreichische Psychologe und Arzt Sigmund Freud ist bekannt als Begründer der Psychoanalyse, dessen Methoden bis heute angewendet, diskutiert und kritisiert werden. Weniger bekannt ist, dass Freud in seiner Zeit als Arzt am Wiener Allgemeinen Krankenhaus die Wirkung von Kokain erforschte. Aus veröffentlichten Briefen geht hervor, dass Freud selbst lange und viel Koks konsumiert hat.
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Tod durch Gelbfieber
"Ich glaube, dass ich dem wahren Erreger auf der Spur bin", schrieb der amerikanische Mediziner Jesse Lazear am 8. September 1900 in einem Brief an seine Frau. Lazear erforschte Malaria und Gelbfieber. Lazear konnte beweisen, dass das Gelbfieber von Moskitos übertragen wird: Er ließ sich stechen, erkrankte und starb 17 Tage nach dem Brief an seine Frau. Lazear wurde nur 34 Jahre alt.
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Der schnellste Mann der Welt
Als "fastest man on earth" wurde John Paul Stapp aufgrund seiner Forschungen über die Auswirkungen von Beschleunigungskräften auf den (eigenen) menschlichen Körper bekannt. Dazu ließ er sich auf einem sogenannten Raketenschlitten bis auf mehr als 1000 km/h beschleunigen und in 1,4 Sekunden vollständig abbremsen. Es ist die höchste Beschleunigung, der ein Mensch bisher freiwillig standgehalten hat.
Bild: picture-alliance/dpa/United Archives
Heimlicher Herzkatheter
Werner Forßmann war bereits in seiner medizinischen Ausbildung ein Querulant. Der deutsche Chirurg wollte unbedingt beweisen, dass sich ein langer, biegsamer Katheter gefahrlos von der Ellenbeuge bis ins Herz einführen lässt. Obwohl ihm das Experiment von seinen Vorgesetzten ausdrücklich verboten worden war, machte Forßmann 1929 als erster Mensch den Selbstversuch. Heimlich natürlich.
Bild: picture-alliance/dpa/United Archives
Nobelpreisgewinner posthum
Der kanadische Mediziner Ralph Steinman erkrankte an Pankreaskrebs und unterzog sich einer selbst entwickelten Immuntherapie. Nach Einschätzung seines Arztes konnte diese Therapie Steinmans Tod nicht verhindern, möglicherweise sein Leben aber - entgegen der Prognosen - um mehr als vier Jahre verlängern. Steinman starb 2011 wenige Tage vor der Verleihung des Nobelpreises, den er posthum erhielt