Angela Merkel verabschiedet sich demnächst von der EU-Bühne. Und das ist auch gut so, meint Cristina Burack. Denn ein neuer Politikstil ist notwendig, um die vielen Herausforderungen zu bewältigen.
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Kommt nach Angela Merkel ein neuer Politikstil? Die EU hätte es nötigBild: Stefanie Loos/AFP/Getty Images
Nach der Bundestagswahl am 26. September, wenn Angela Merkel nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin endgültig abtritt, wird sich die Europäische Union von ihrem dienstältesten Regierungschef verabschieden.
Im Klartext: Merkel ist seit langem ein wichtiger Akteur auf EU-Ebene. Sie hat gewaltige Krisen miterlebt und bewältigt, und sie hat dazu beigetragen, den Laden in einigen seiner schwierigsten Stunden zusammenzuhalten. Letztendlich handelte die Kanzlerin immer im Sinne der EU - aber oft erst nachdem sie sich so lange wie möglich vor Entscheidungen gedrückt hatte. Nicht umsonst wurde das Wort "merkeln" zum Jugend-Wort des Jahres 2015 gekürt.
16 Jahre nur reagiert
Merkel war zwar stets eine verlässliche Verfechterin der EU-Werte, dennoch zauderte sie zu oft und lenkte erst dann ein, wenn es keine andere Option mehr gab.
DW-Redakteurin Cristina BurackBild: DW/P. Böll
Viele dieser Entscheidungen waren umstritten, aber auch mutig. Während der Finanzkrise in der Eurozone und in Griechenland widersetzte sich Merkel schließlich sowohl dem Dogma ihrer auf Haushaltsdisziplin fixierten CDU als auch der Stimmung in der deutschen Bevölkerung, um Griechenland zu retten. Zuvor hatte sie jedoch vehement behauptet, ein solcher Schritt käme nicht in Frage. Erst als die EU vor einem finanziellen Kollaps stand, rang sie sich zu den Maßnahmen durch.
Die harten Sparauflagen für Griechenland und die Hilfspakete für andere angeschlagene südliche Mittelmeerländer wurden dort als Beweis betrachtet, dass Merkel anderen Ländern den "deutschen Weg" aufzwinge - fernab jeder Solidarität in der EU. Ich erinnere mich an Gespräche in meiner eigenen spanischen Familie, die sich bitter beklagte, dass die Deutschen bei ihren Pauschalurlauben am Strand weiterhin von den niedrigen Kosten in Spanien profitierten, während die Spanier mit Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatten.
Cover-Kanzlerin: Angela Merkel in der Presse
Auf Titelblättern wurde sie mit Hitler, einer Domina, aber auch Mutter Theresa verglichen. Angela Merkel polarisiert, wie unsere Auswahl einiger Cover zeigt.
Bild: Adrian Bradshaw/dpa/picture alliance
(Euro-) Brandeisen oder Peitsche?
2011, inmitten der Eurokrise, stellt das spanische Satire-Magazin "El Jueves" die Kanzlerin als knallharte Domina dar. "(Euro-) Brandeisen oder Peitsche?", fragt sie Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy. "Kommt drauf an", wimmert der nur zurück. Mit der Karikatur will das Magazin zeigen: Merkels Bedingungen an Spanien, unter denen Finanzhilfen gewährt werden, sind eindeutig zu streng.
Bild: el jueves
Hitlervergleich
Neben Spanien ist auch Griechenland tief in die Eurokrise gestürzt und hochverschuldet. Ohne finanzielle Hilfen geht es nicht. Angela Merkel sichert diese im großen Umfang zu, verlangt im Gegenzug aber harte Sparmaßnahmen. Die griechische Presse, wie die Tageszeitung "Demokratie" am 9. Februar 2012, ziehen Parallelen zur deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Bild: picture-alliance/dpa/O. Panagiotou
Merkel als KZ-Insassin
Bezüge zum Nazi-Regime landen nicht nur auf griechischen, sondern auch auf polnischen Titelseiten. Als KZ-Insassin bildet 2013 das rechte Wochenmagazin "Uwazam Rze" Merkel ab. Der Vorwurf: Der ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" verfälsche die Geschichte des Krieges, insbesondere hinsichtlich der polnischen Heimatarmee AK. Stattdessen würden sich die Deutschen als Opfer stilisieren.
Bild: BARTLOMIEJ ZBOROWSKI/dpa/picture alliance
Pokerface in Peking
Deutlich nüchterner fällt dieses Cover aus: Merkel mit durchdringendem Blick, keine Miene verziehend. "Pokerface", lautet der Titel auf diesem chinesischen Magazin von Dezember 2011, das einen gewissen Respekt gegenüber der Kanzlerin vermuten lässt. Es erscheint kurz vor Merkels Staatsbesuch in China, bei dem sie mit Premier Wen Jiabao über Chinas Rolle bei der Stabilisierung der Eurozone berät.
Bild: Adrian Bradshaw/dpa/picture alliance
Terminator Merkel
Das Image der allzu Mächtigen wird Merkel nicht so schnell wieder los. Das britische Politmagazin "New Statesman" stellt die Kanzlerin im Juni 2012 als gefährliche Killermaschine "Terminator" dar. Eine Rolle, in der man eigentlich Arnold Schwarzenegger kennt. Laut dem Magazin sei Merkel die gefährlichste deutsche Führungsfigur seit Adolf Hitler - und gefährlicher als Machthaber wie Kim Jong Un.
Bild: dpa/picture alliance
Plötzlich Mutter Theresa
2015 ändert sich das Bild von Angela Merkel schlagartig. Nachdem Ungarn sich weigert, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen und eine humanitäre Katastrophe droht, trifft Merkel eine folgenreiche Entscheidung: Sie lässt die Menschen nach Deutschland einreisen. Ihr Satz "Wir schaffen das!" geht in die Geschichte ein und verschafft Merkel vor allem im Ausland große Beliebtheit.
Bild: SPIEGEL
Wäre sie doch nur Französin...
Angela Merkels schlechtes Image aus Eurokrisenzeiten ist fortan passé. Im Ausland feiert man sie jetzt für ihre Menschlichkeit, die sie von anderen Politikerinnen und Politikern unterscheidet. Das französische Magazin "Le Point" titelt 2015: Die unglaubliche Madame Merkel. Wenn sie doch nur Französin wäre..." und attestiert ihr eine Verwandlung von der "strengen" zur "großzügigen" Madame.
Bild: Le Point
Kanzlerin der freien Welt
Noch im selben Jahr kürt das New Yorker "Time"-Magazin Angela Merkel zur "Person des Jahres" und lobt sie "als Kanzlerin der freien Welt". Ihre Barmherzigkeit setze sie wie eine Waffe ein, heißt es in der Begründung. Mit seinem Cover-Gemälde hofft der nordirische Künstler Colin Davidson "ein bisschen von der Würde, dem Mitgefühl und der Menschlichkeit der Kanzlerin" eingefangen zu haben.
Bild: picture-alliance/AP Photo/Time Magazine
Unveränderter Blick aus Polen
Mitgefühl und Menschlichkeit sind in Polen weiterhin nicht die Attribute, die man Angela Merkel zuschreibt. Das Wochenmagazin "Wprost" titelt "Sie wollen Polen wieder kontrollieren" und bringt wieder einmal einen Hitlervergleich. Das Bild der Kanzlerin, umgeben von wichtigen EU-Vertretern wie Kommissionspräsident Junker, spielt auf ein historisches Foto Hitlers mit dessen Entourage an.
Bild: Maciej Chmiel/dpa/picture alliance
Der letzte Akt
Bei den Bundestagswahlen 2017 muss Angela Merkels CDU herbe Verluste hinnehmen. Mit ihrer Haltung in der Flüchtlingskrise verliert die Partei viele Stimmen an die rechtskonservative AfD. Als Alternative zu einer erneuten Großen Koalition wird "Jamaika" diskutiert, ein Zusammenschluss aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Entsprechend sehen die Cover der deutschen Tageszeitungen und Magazine aus.
Bild: John MacDougall/AFP/Getty Images
Das Ende einer Ära
Schließlich wird es doch nochmal die Große Koalition, in der Angela Merkel ihre letzten Regierungsjahre verbringt. Nach 16 Jahren, zieht sie sich freiwillig zurück. In Medien und Büchern ist nun vielfach vom Ende einer "Epoche" zu lesen, darunter in Ursula Weidenfelds Merkel-Biografie (s. Bild). Was nach Angela Merkel kommt, entscheidet sich bei den Bundestagswahlen am 26. September.
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Als dann 2015 eine Million syrische Asylbewerber in Europa Schutz suchte, traf Merkel die politisch mutige und moralisch korrekte Entscheidung, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Aber auch hier reagierte sie nur. Sie traf ihre Entscheidung erst, als klar war, dass die Versuche, sich auf ein EU-weites Verteilungskontingent zu einigen, scheitern würden und überforderte EU-Staaten wie Ungarn Zehntausende von Asylbewerbern in Richtung Deutschland weiterreisen ließen.
Zuletzt kam ihr Ja zu den Corona-Bonds, also zur Schuldenverteilung auf EU-Ebene - ein Gräuel für Merkel während ihrer gesamten Amtszeit als Bundeskanzlerin - erst nach etlichen Absagen. Es ist vor allem unverständlich, dass sie ihr Nein anfangs auch und gerade angesichts einer beispiellosen pandemiebedingten Rezession aufrechterhielt.
Merkel ist stets darauf bedacht, den Status quo aufrechtzuerhalten - sie ist eben konservativ. Sie ist nicht bereit, einen Schritt vorwärts zu machen, bevor sie nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Aber dieser Stil reicht nicht mehr aus.
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Gesucht: Visionäre Führungskraft aus Deutschland
Merkels Nachfolger(in) muss eine proaktive, visionäre Führungsrolle übernehmen, um die Herausforderungen der EU zu meistern. Und auch wenn sich einige Deutsche aus historischen Gründen unwohl dabei fühlen, als Motor der europäischen Politik zu agieren, gibt es einen Unterschied zwischen Machtausübung und Führung. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Europäer heute Berlin als ihre "Go-to"-Hauptstadt sehen.
Die EU braucht jemand, der nicht nur im Team spielen, sondern es auch führen kann. Er oder sie muss in der Lage sein, die Herausforderungen aktiv anzugehen, anstatt unüberlegt auf sie zu reagieren - denn Herausforderungen gibt es genug.
Angesichts der Klimakrise muss eine politische Führungskraft im globalen Maßstab mutig handeln.
Russlands unnachgiebige Haltung erfordert einen Politiker-Typ, der potenzielle Auseinandersetzungen vorhersehen und sich darauf vorbereiten kann. Nicht jemanden, der seine Nachbarn aus innenpolitischen Energieinteressen und geopolitischem Wunschdenken im Stich lässt.
Chinas globale Machtansprüche und die angespannten transatlantischen Beziehungen verlangen, dass die EU sich stärker und unabhängiger positionieren muss, unter anderem durch die Einhaltung der Ziele für die Verteidigungsausgaben.
EU-Begeisterung wieder im eigenen Land wecken
Darüber hinaus erfordern die Risse innerhalb der EU sowohl innovatives als auch kreatives Denken, das sich von Merkels Konsens-um-jeden-Preis-Ansatz verabschiedet. Nicht zuletzt muss Merkels Nachfolger(in) die Erfolge der EU leidenschaftlicher verkaufen, um das Vertrauen und die Begeisterung der EU-Bürger, insbesondere der jüngeren Generation, zurückzugewinnen.
Zu diesen skeptischen EU-Bürgern gehören übrigens auch die Deutschen. Eine Umfrage des European Council on Foreign Relations vom April ergab, dass satte 45 Prozent der Deutschen der EU-Mitgliedschaft entweder nur ambivalent gegenüberstehen oder sie sogar für eine schlechte Sache halten. Wer auch immer auf Merkel folgt, sollte damit beginnen, die Zukunft der EU im eigenen Land aktiv zu gestalten.