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PolitikEuropa

EU weicht der Impfpflicht-Diskussion aus

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
9. Dezember 2021

Von einheitlichem Vorgehen gegen die Pandemie ist die EU weit entfernt. Die Impfquote ist zu niedrig. Auf den neuen deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach wartet viel Arbeit, meint Bernd Riegert.

Nicht nur über die Impfpflicht, auch über das Impfzertifikat herrscht Uneinigkeit in BrüsselBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Obwohl die EU-Kommission und die Europäische Seuchenbehörde (ECDC) allen Mitgliedsstaaten bescheinigen, dass die epidemische Lage sehr ernst ist und sich in den nächsten Wochen eher noch zuspitzen wird, legen die Gesundheitsminister der EU die Hände in den Schoß. Von koordiniertem Vorgehen in derzeitigen Welle und in Erwartung der Omikron-Variante ist wenig zu sehen.

Bei ihrer jüngsten Sitzung in Brüssel am Dienstag weigerten sich die versammelten Minister sogar, über eine Impfpflicht in Europa auch nur zu diskutieren. Dabei ist es höchste Zeit. Die Impfquote ist nach Meinung der EU-Experten mit 66 Prozent der Erwachsenen im Durchschnitt in der EU viel zu niedrig. In sechs Staaten liegt sie sogar inakzeptabel bei unter 55 Prozent. Wie diese Impfquote auf freiwilliger Basis gesteigert werden kann, konnten die Minister nur mit den üblichen und wirkungslosen Sprechblasen beantworten.

Die Untätigkeit verwundert

Die EU-Kommission selbst plant keine eigene Werbekampagne fürs Impfen. Zwar hat die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides richtig erkannt, dass für ganz Europa eine Gefahr besteht, solange auch nur ein Mitgliedsland mit einer zu niedrigen Impfquote immer neue Wellen auslösen kann, die dann auch alle anderen treffen. Aber was aus dieser Einschätzung folgen muss, wollen die EU-Minister nicht wahrhaben: Sie müssen eine Impfpflicht auf EU-Ebene diskutieren und möglichst schnell entscheiden. Denn Delta und Omikron warten nicht auf zögerliche Politiker.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Österreich und Deutschland wollen eine generelle Impfpflicht einführen. Italien, Spanien, Frankreich haben verpflichtende Impfungen für bestimmte Bereiche und Berufsgruppen erlassen. Was bedeutet das für den Rest der EU und angrenzende Staaten? Werden Deutschland und Österreich dann ungeimpfte EU-Bürger irgendwann nicht mehr einreisen lassen, was ja logisch wäre? Wie passt das mit dem EU-Corona-Zertifikat (Geimpft, genesen oder negativ getestet) zusammen, das seit dem Sommer relativ reibungsloses Reisen zwischen den Mitgliedsstaaten ermöglicht? Keine Antwort aus Brüssel.

Keine Antworten auf Kernfragen

Selbst auf die Frage, wie lange das Impf-Zertifikat gültig sein soll, gibt es auch sechs Monate nach seiner Einführung keine Antwort. Sechs, neun oder zwölf Monate sind in der Diskussion. Auch auf die Frage, ob Auffrischungsimpfungen empfohlen oder sogar erforderlich sind, gab es aus der Runde der EU-Gesundheitsminister keine Antwort. So als hätte man alle Zeit der Welt, gemütlich weiter zu palavern und im nächsten Jahr vielleicht zu Potte zu kommen. Der inzwischen aus dem Amt geschiedene deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hinterließ in Brüssel den Satz, er glaube nicht, dass neue Reisebeschränkungen innerhalb der EU nötig würden.

Das ist bereits falsch, denn Irland, Portugal und demnächst auch Frankreich verlangen zusätzlich zum EU-Corona-Zertifikat auf jeden Fall einen negativen Test. Malta lässt nur geimpfte Personen einreisen. Ein Test zählt auf der kleinen Insel nicht. Die Anwendungen von 3G-Regeln oder 2G oder 2G+ -Regeln ist in allen Mitgliedsstaaten völlig uneinheitlich und an immer andere Kriterien geknüpft. Es ist absehbar, dass dieser Flickenteppich von Regelungen sich weiter ausdehnen wird. Aus 20 Monaten Pandemie-Bekämpfung hat die EU nur wenig gelernt.

Viel Arbeit für Karl Lauterbach

Auf den neuen deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kommt also viel Arbeit zu, wenn er demnächst in Brüssel mit am Tisch sitzt und der entscheidungslahmen EU Beine machen will. Eine Diskussion über Impfpflichten und Reiseregelungen ist jetzt angezeigt - nicht irgendwann in der sechsten oder siebten Welle.

Immerhin hat die EU es geschafft, gemeinsam für alle Staaten ausreichend Impfstoffe zu beschaffen, die allerdings ein Drittel aller EU-Bürger bisher nicht haben will. Auch beim Einkaufen und Verteilen der neuen Medikamente gegen einen schweren Corona-Verlauf soll die EU-Kommission ebenfalls für alle 27 Staaten gemeinsam handeln. Wenigstens das wurde vereinbart.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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