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PolitikEuropa

Die EU zwischen Wollen und Können

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
15. September 2021

In ihrer Grundsatzrede hat die EU-Kommissionspräsidentin große Ziele gesetzt. Doch die werden mit den zaudernden Mitgliedsstaaten kaum zu erreichen sein. Es braucht vor allem konkrete Schritte, meint Bernd Riegert.

Orientierung suchen in Pandemiezeiten: Richtungspfeile im Europäischen Parlament in StraßburgBild: Bernd Riegert/DW

Wie ist die Lage der Europäischen Union? Sie steht vor großen Herausforderungen, teilweise schwächelt sie, aber sie geht tapfer voran. Das ist die Antwort, die die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union gegeben hat. Von der Leyen beschwor den Gemeinsinn der EU-Staaten, teilweise überzeugend, teilweise etwas zweifelnd. Zumindest vermittelte sie den Eindruck, dass sie gewillt ist, die Herausforderungen anzupacken.

Gleichzeitig beklagte sie aber auch den mangelnden politischen Willen der Mitgliedstaaten beim Klimaschutz, bei mehr Verteidigungsaufgaben, bei mehr Gesundheitsvorsorge wirklich mitzuziehen und schönen Reden Taten folgen zu lassen. Ursula von der Leyen geht es dabei nicht anders als ihren Vorgängern. Die EU-Kommission ist nun einmal keine Regierung Europas, sondern eine Behörde, die Vorschläge macht, Initiativen startet und dann vom Willen der Regierungen der Mitgliedsstaaten und von Mehrheiten im Europäischen Parlament abhängt.

Auf die 27 Mitglieder kommt es an

In der Pandemie hat die EU-Kommission erfolgreich für die nötigen Impfstoffe gesorgt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten. 70 Prozent der Erwachsenen in der EU sind im Durchschnitt geimpft, aber die Unterschiede innerhalb der EU sind noch zu groß. Wie sie dieses Problem angehen will, hat die Präsidentin der Kommission nicht erkennen lassen. Sie beklagt zurecht den skandalösen Impfrückstand in Afrika und anderen Teilen der Welt. Die EU wird mehr Impfdosen spenden, aber das reicht nicht. Wie das Problem durch mehr globale Zusammenarbeit gelöst werden kann, hat man in der Rede nicht gehört.

Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Die sicherheitspolitischen Herausforderungen für die EU sind von Afghanistan über China bis hin zu Kriegführung im Cyberspace geradezu überwältigend. Von der Leyen antwortet darauf mit einem Ausbau der "Verteidigungsunion", die seit Jahren nicht vom Fleck kommt. Ein strategischer Kompass und ein Gipfeltreffen in Frankreich im nächsten Frühjahr sollen die Lösung bringen. Das ist zu langsam und vor allem ein paralleles Vorgehen zu den Bemühungen, den europäischen Arm der NATO zu stärken. Viele Mitgliedsstaaten der EU zögern richtigerweise beim eigenständigen Säbelrasseln. Die Kommissionspräsidentin beklagt dies, aber fragt nicht nach den Gründen.

In der Migrationspolitik sieht es ähnlich aus. Die EU-Mitgliedsstaaten haben hier sehr unterschiedliche Interessen. Bei diesem Thema wird die Spaltung in liberale und illiberale Demokratien am stärksten sichtbar. Da kann die EU-Kommission zappeln, mahnen und drohen wie sie will. Eine Lösung hat die Rede in Straßburg nicht aufgezeigt. Ob ein weiterer angekündigter Gipfel mit Afrika im Frühjahr helfen wird, ist fraglich.

Ein spannendes Jahr liegt vor uns

Ambitionierte Klimapolitik, um der Jugend Europas eine gute Zukunft zu garantieren, ist das Gebot der Stunde. Klar umrissen von Ursula von der Leyen, doch auch hier sind sich die Mitgliedstaaten noch nicht einig, wie die fällige Revolution hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft organisiert und bezahlt werden soll. Richtig ist der Vorstoß der EU-Kommission, Produkte aus chinesischer Zwangsarbeit in Europa zu verbieten und die Produktion von Computer-Chips nach Europa zu holen. Zwei konkrete Projekte, an der man die Effizienz der EU wird messen können.

Die Präsidentin der Kommission beschwor die Gemeinsamkeiten, die Werte, den Willen aller Europäer Ziele zu erreichen, auch wenn sie weit entfernt und unerreichbar erscheinen. Das kommende Jahr bis zur nächsten Rede zur Lage der Union wird spannend. Was erreichbar ist, wird davon abhängen, wie die neuen Regierungen in Deutschland und in Frankreich nach den Wahlen in beiden Ländern die EU einschätzen und nutzen, um die Herausforderungen anzugehen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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