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Politik

EU-Impfstrategie - Propaganda und Fakten

Georg Matthes Kommentarbild App PROVISORISCH
Georg Matthes
8. Februar 2021

Die EU-Kommission steht heftig in der Kritik, viele wollen es in Sachen Impfstoffbeschaffung dieser Tage schon immer besser gewusst haben. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren, meint dagegen Georg Matthes.

Bild: Frank Augstein/AP Photo/picture alliance

Fehlinformationen und vorschnelle Urteile sind in Zeiten von Krisen ein Gift, dass sich besonders schnell im Körper verbreitet. Was soll die EU nicht alles verbrochen haben: viel zu wenig Impfdosen bestellt, auf den falschen Impfstoff gesetzt und dann noch die Hersteller verprellt. Bestenfalls im Sommer 2025 seien so 70 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft.

Geht's noch? Wir alle haben Lockdown und Homeoffice gewaltig satt. Und selbst das Licht am Ende des Tunnels verbessert die Laune nicht. Im Gegenteil. Dennoch: Die vielfache Kritik an Europas Impfstrategie ist mehr als überzogen.

Jedes Land kann chinesischen Impfstoff kaufen

Das Positive vorneweg: Die gemeinsame Beschaffung des Impfstoffs hat sich für die EU nicht nur finanziell gerechnet, sondern es wurde damit auch ein innereuropäischer Wettlauf vermieden. Jedem Land ist es darüber hinaus freigestellt, sichzusätzlich mit chinesischen oder russischen Impfstoffen einzudecken, wie zum Beispiel Ungarn es vormacht. Wem es also in der EU nicht schnell genug geht, kann für jedes beliebige Präparat eine eigene Notzulassung in Gang setzen.

Georg Matthes ist DW-Korrespondent in Brüssel

Und damit wären wir bei Großbritannien, dem Meister aller Exits. Dabei lohnt es sich aber immer Propaganda von Fakten zu trennen. Es gibt drei ganz einfache Gründe warum Großbritannien derzeit vorne liegt:

Erstens haben sich die Briten für eine Notzulassung entschieden und sind damit schneller aus den Startblöcken gekommen. Das haben aber die 27 EU-Länder ganz bewusst in Kauf genommen, denn allen war wichtig, dass die Firmen zumindest einen Teil der Verantwortung tragen, wenn beim Impfen der Menschen etwas schief gehen sollte.

Zweitens haben sich die Briten - anders als die EU - dafür entschieden, keine Rücklagen für eine zweite Impfdosis zu bilden. Sie nehmen damit in Kauf, nicht nach drei oder vier Wochen, sondern erst nach drei oder vier Monaten ein zweites Mal zu impfen. Das ist ein mutiger und richtiger Schritt. Auch der deutsche Gesundheitsminister hat jetzt ins Spiel gebracht, zumindest den AstraZeneca Impfstoff ohne Rücksicht auf die zweite Dosis an unter 65-Jährige abzugeben.

Bewusst andere Entscheidung der EU-Staaten

Im Lichte des gegenwärtigen EU-Bashings aber sollte man die Gegenargumente betrachten: Die Mitgliedsländer haben sich bewusst gegen diesen Kurs entschieden, weil sie fürchteten, dass sich das Virus dadurch schneller an den Impfstoff anpassen könnte. Sie wollten lieber auf Nummer Sicher gehen.

Drittens hatten die Briten einfach Glück. Allen voran Boris Johnson, der den Umstand beim Impfen vorne zu liegen maximal ausschlachtet: Seht her, der Brexit hat sich gelohnt, ist seine Botschaft. Glaubt man dem Pharmariesen AstraZeneca, hatte die EU einfach das Pech, dass ausgerechnet in einem europäischen Werk Produktionsprobleme auftraten. Die Frage freilich, ob dieser Umstand in einem globalen Unternehmen nicht auch auf alle Kunden gleichmäßig Auswirkungen haben müsste, steht auf einem anderen Blatt.

Nicht alles lief rund

Natürlich sind auch Fehler gemacht worden. Impftermine wurden zu früh vergeben und auch in Brüssel lief nicht alles rund. Die Kommissionspräsidentin hat beispielsweise eingeräumt, dass man mehr Geld in den Aufbau von Produktionskapazitäten hätte stecken können. Das stimmt zwar, setzt aber voraus, dass sich Firmen dann auch an Lieferverträge halten. Seit Dezember wird der in Belgien von Pfizer/Biontech hergestellte Impfstoff nach Großbritannien geliefert. Die von der EU vorfinanzierten Dosen von AstraZeneca dagegen lassen nach wie vor auf sich warten. Warum hat die EU dann 336 Millionen Euro investiert?

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides steht stark in der Kritik - sie habe zu zögerlich verhandeltBild: Olivier Hoselt/POOL/AFP

Und zu dem Vorwurf, die EU hätte locker mehr Geld ausgeben sollen: Was hätten diese Kritiker gesagt, wenn viele Impfstoff-Entwicklungen gar keinen Erfolg gehabt hätten und Brüssel Milliarden in den Sand gesetzt hätte? Wenn Anlagen bereit stünden für die Massenproduktion, aber kein brauchbarer Impfstoff? Die EU hat genau das getan, was die Mitgliedstaaten seit Jahren fordern: Seid effizient und werft in Brüssel nicht mit unserem Geld um euch!

Steile Impfkurve im späten Frühjahr

Mit gesunder Selbstkritik hat das alles nichts mehr zu tun. Blickt man auf die Liste der inzwischen zweimal, also vollständig Geimpften in der EU, sieht die Welt schon anders aus. Der Arzt und Europaabgeordnete Peter Liese hat festgestellt, dass EU-Länder wie Deutschland oder Italien vor den Briten und weit vor Japan oder Kanada liegen. 

Dank jahrelanger Forschungsfinanzierung durch die EU sind wir in der komfortablen Lage, jetzt gleich mehrere Impfstoffe zu haben. Und immer weitere kommen hinzu.

Es war immer klar, dass das erste Vierteljahr 2021 hart werden würde. Wir sollten die Zeit nutzen, um alles vorzubereiten für die kommenden Impfstoffe. Jammern ist eine Verschwendung von Energie, überzogene Kritik kontraproduktiv. Und an dieser Stelle lässt sich von den Briten einiges lernen. Zum Beispiel 24 Stunden an sieben Tagen die Woche zu impfen, sobald genug Vakzin da ist. Dann kann auch die EU im späteren Frühjahr eine steile Impfkurve hinlegen und zeigen, dass Solidarität und Gründlichkeit durchaus zum Erfolg führt.

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