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PolitikEuropa

Die Ukraine auf dem Weg nach Westen

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
26. Juni 2022

Der Status von EU-Beitrittskandidaten für die Ukraine und Moldau ist die letzte Etappe einer Neuordnung des Kontinents. Die Zeit der Pufferzonen zwischen Ost und West geht zu Ende, meint Roman Goncharenko.

Demonstrantinnen aus der Ukraine in Brüssel (am ersten Tag des EU-Gipfels)Bild: Nicolas Landemard/Zuampress/picture alliance

Die Entscheidung der Europäischen Union ist historisch und epochal - für die beiden früheren Sowjetrepubliken genauso wie für die EU. Es ist ein Wendepunkt. Die Ukraine hat rund 20 Jahre an die Tür der EU geklopft, Brüssel wollte sie nicht öffnen. Die ersten Signale sendete in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends der autoritäre Präsident Leonid Kutschma, der zwischen Russland und dem Westen balancierte. Das Fenster der Möglichkeiten öffnete sich erst nach seinem Abgang und dem Sieg der "orangenen Revolution" in Kiew 2004, als der prowestlichen Politiker Viktor Juschtschenko sein Nachfolger wurde.

Doch damals klappte es nicht. Der demokratische Wandel in der Ukraine vollzog sich parallel zur ersten großen EU-Osterweiterung, die von Ängsten in Westeuropa begleitet wurde: Man sorgte sich vor einem Ansturm billiger Arbeitskräfte. Diese Ängste haben sich zum Glück nicht bewahrheitet, doch die EU wollte nicht im gleichen Tempo weitermachen. Brüssel legte eine Pause ein, dann kamen die Finanz- und später die Migrationskrise.

Westeuropa wollte keinen EU-Beitritt der Ukraine

Doch der wichtigste Grund, warum die Ukraine der EU bisher nicht näherkommen durfte, war der Widerstand einflussreicher EU-Gründungsmitglieder. Ihnen passte es nur zu gut, dass das flächenmäßig größte rein europäische Land in der geografischen Mitte des Kontinents eine Art Pufferzone zwischen der EU und Russland bildete. Westeuropa befürchtete, dass ein Beitritt der Ukraine die Balance zugunsten der Länder Ost- und Mitteleuropas verändern könnte, zu denen Brüssel ohnehin ein kompliziertes Verhältnis hat.

DW-Redakteur Roman Goncharenko

Darüber wurde nicht öffentlich gesprochen, doch Westeuropa akzeptierte lange, dass die Ukraine im Einflussbereich Moskaus blieb und nannte als Begründung die langjährigen Verbindungen zwischen "Bruderländern und -völkern", wie es EU-Beamte formulierten. Zur Wahrheit gehört, dass die Ukrainer selbst Anlass hierzu gaben, indem sie den von Russland unterstützen Viktor Janukowitsch zum Präsidenten wählten. Dessen proeuropäische Rhetorik war nur Tarnung.

Die EU hoffte, die Ukraine werde sich mit dem Nachbarschaftsprogramm und einer Freihandelszone zufriedengeben. Das war ein fataler, ein historischer Fehler, der indirekt zum jetzigen Krieg Russlands gegen die Ukraine beigetragen hat: Europa wollte die Ukraine nicht integrieren, Russland dagegen wollte die Ex-Sowjetrepublik zurück unter seine Kontrolle bringen - und zwar um jeden Preis.

Unterschätzte Entschlossenheit

Doch sowohl die EU, als auch Russland haben die Entschlossenheit der Ukrainer unterschätzt. Sie haben während zwei Revolutionen, 2004 und 2014, klar gezeigt, dass sie Freiheit und Demokratie über alles schätzen. Und auch, selbst wenn das pathetisch klingt, bereit sind, dafür zu sterben - was gerade Tag für Tag passiert.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat die EU nun gezwungen, ihren Fehler zu korrigieren. Wie konsequent Brüssel dabei sein wird, muss man sehen. Natürlich wird es Versuche geben, diesen Prozess zu bremsen, doch ein Richtungswechsel ist nicht mehr möglich. Der Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine und die benachbarte Republik Moldau bedeutet, dass die Zeit der Pufferzonen in der Mitte Europas zu Ende geht. Beide postsowjetischen Länder machen sich nach Westen auf, der Countdown läuft, der neue Eiserne Vorhang senkt sich. Es ist die letzte Etappe einer Neuordnung des Kontinents, die mit dem Ende des Kalten Kriegs begonnen hatte.

Keine Vorzugsbehandlung auf Dauer

Und was ist mit Georgien, das 2003 mit der "Rosenrevolution" als erstes postsowjetisches Land seine westliche Orientierung verkündet hatte? Die Regierung in Tiflis hat gleichzeitig mit Kiew und Chisinau einen Beitrittsantrag bei der EU eingereicht, jedoch kein grünes Licht bekommen. Der EU-Gipfel bescheinigte Georgien lediglich eine "europäische Perspektive". Es werden verschiedene Gründe dafür genannt - auch eine politische Krise 2020, als nach der Parlamentswahl die Opposition der Regierung Fälschungen vorgeworfen hatte. Brüssel hat jetzt richtig entschieden, indem es Tiflis deutlich machte, dass es nicht die Augen vor Problemen verschließt. Auch wenn es viele Erfolge gibt.

Die Entscheidung zu Georgien ist auch ein Signal an die Ukraine und Moldau, nicht auf Dauer mit einer Vorzugsbehandlung zu rechnen. Beide Länder werden mit Taten beweisen müssen, dass sie zu weiterer Integration und schmerzhaften Reformen bereit sind. Aber es gibt keine Zweifel - sie werden das schaffen und der EU beitreten. Und zwar früher als viele denken.

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