Man würde ja zu gerne schreiben: Alles wird gut. Doch so einfach ist es nicht. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, mit welchen Problemen wir uns im abgelaufenen Jahr herumschlagen mussten - Probleme, die auf den ersten Blick mit Corona gar nichts zu tun haben. Nehmen wir nur die Lieferengpässe und die Inflation. So oft wie im zurückliegenden Jahr sind die Begriffe "Engpass" und "Inflation" schon seit Jahrzehnten nicht mehr in den Wirtschaftsnachrichten aufgetaucht. Es klemmte an allen Ecken und Enden. Die Autobauer bekamen nicht genügend Halbleiter, die Bauhandwerker nicht genug Holz. Die Zustände erinnern bisweilen an die verblichene DDR und die dort allgegenwärtige Mangelwirtschaft.
Eine rasant angestiegene Nachfrage, entstanden deswegen, weil die Volkswirtschaften rund um den Globus praktisch zur selben Zeit aus dem ersten Corona-Schock erwachten, traf auf ein begrenztes Angebot. Einen solchen sogenannten Angebotsschock erlebte die Weltwirtschaft zuletzt in den 1970er-Jahren - Stichwort Ölkrise. Damals verknappte das OPEC-Kartell das Erdöl-Angebot als Antwort auf die Israel-freundliche Politik des Westens. Der Ölpreis explodierte - und mit ihm die Preise sämtlicher Produkte, die man aus Erdöl so herstellt.
Lehren aus der Ölpreiskrise
Das führte zu gewaltigen Preissteigerungen - und entsprechenden Lohnforderungen der Gewerkschaften, um die Inflation im Geldbeutel der Beschäftigten auszugleichen. In Deutschland gab es für den öffentlichen Dienst 1974 zum Beispiel einen Aufschlag von elf (!) Prozent. Eine solche Lohn-Preis-Spirale ist auch heute zu befürchten. Denn mit der riesigen Nachfrage, verbunden mit rasant steigenden Energiepreisen (noch so eine Sache, die vor einem Jahr keiner auf dem Schirm hatte) schaffte es die bald zwei Jahrzehnte unsichtbare Inflation wieder in die Schlagzeilen. Inzwischen liegt die Inflationsrate hierzulande über fünf Prozent und damit weit entfernt vom Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Notenbank. Besserung ist vorerst nicht in Sicht.
Es wird also nicht nur von der Geldpolitik der EZB, sondern auch von den anstehenden Tarifverhandlungen abhängen, ob man die Inflation in den Griff bekommt. Aber es sind eben noch eine ganze Menge weiterer Unwägbarkeiten im Spiel: Wann beispielsweise funktionieren die Lieferketten wieder so wie vor Corona? Niemand kann das seriös vorhersagen. Ein Grund ist die restriktive Null-COVID-Strategie Pekings. Da reicht ein einziger Corona-Infizierter in einem der riesigen chinesischen Häfen - und schon hängt dort ein Gutteil der Millionen Container wieder für Wochen fest. Oder es legt sich erneut ein Containerriese im Suezkanal quer - auch so eine Sache, die nur passiert, wenn sowieso schon alles schief geht.
Mal was Neues: Die "Flaschenhals-Rezession"
In Deutschland klagte zum Jahresende eine übergroße Mehrheit der Unternehmen, von Lieferengpässen betroffen zu sein - Besserung nicht in Sicht. Von einer "Flaschenhals-Rezession" ist die Rede. Optimistische Prognosen klingen anders. Weltweit sind zum Beispiel im zurückliegenden Jahr schätzungsweise elf Millionen Autos nicht gebaut worden, weil elektronische Bauteile fehlten. Kann das einfach so nachgeholt werden? Eher nicht.
Gibt es denn überhaupt keine guten Nachrichten? Doch, die gibt es: Nehmen wir die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Durchweg, ein ganzes Jahr lang, meldete die zuständige Bundesagentur für Arbeit jeden Monat sinkende Zahlen von Arbeitssuchenden. Die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften war und ist höher als das Angebot.
Die Zahl der Firmenpleiten ging sogar auf historische Tiefststände zurück, was vor allem den großzügigen Konjunkturhilfen zu verdanken sein dürfte. Der Deutsche Aktienindex erklomm immer neue Rekordhöhen - der Corona-Crash vom Frühjahr 2020 ist längst mehr als wettgemacht.
Was kommt da alles noch?
Das alles aber ist leider keine Garantie, dass es im neuen Jahr so weitergeht mit den guten Nachrichten. Die heftige Corona-Welle, die Deutschland im vierten Quartal überrollte, hat so manchen vorsichtig gemacht. Und welche Verheerungen Omikron anrichten kann, ist noch nicht wirklich gewiss. Der Blick ins neue Jahr habe sich so oder so eingetrübt, ist vom Chef der Arbeitsagentur zu hören. Reihum senken Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognosen für 2022. Insolvenzen dürften vor allem bei Kleinstunternehmen sowie im Handel und der Gastronomie deutlich zunehmen, heißt es bei den Experten von Creditreform.
Die Europäische Zentralbank wird früher oder später reagieren müssen, sollte die Inflation nicht wieder von alleine in normale Bahnen zurückfinden. Aber wofür immer man sich in Frankfurt entscheidet (Zinsen rauf? Anleihekäufe zurückfahren?): Nie war die Unsicherheit so groß. Wann wird es besser mit den Lieferketten? Wann sinken die Energiepreise? Kommt womöglich eine noch schlimmere neue Corona-Variante samt nächster Schockwelle?
Alles wird gut. Bloß wann, das bleibt die große Frage. Auch für 2022.