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PolitikEuropa

Die zweifelhaften Erfolge des Kriegsherrn Putin

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
30. April 2022

Der russische Präsident hat sich gewaltig verkalkuliert. Der Krieg in der Ukraine läuft jedenfalls ganz anders, als sich der Kreml-Herrscher das vorgestellt hat, meint Miodrag Soric.

Der eigene Blick wird getrübt, wenn das ganze Umfeld nur noch stramm steht und niemand mehr widersprichtBild: Alexander Zemlianichenko/AP/picture alliance

Wladimir Putin rennt die Zeit davon. Welchen Sieg kann er seinen Anhängern bei der traditionellen Parade am 9. Mai vorweisen? Die Ukrainer bieten den russischen Angreifern die Stirn, verteidigen ihre Heimat und ihre Familien.

Anders die Russen: Die ganze Welt ist Zeuge, wie jämmerlich ihre Moral ist. Die 18- oder 19-jährigen russischen Soldaten wollen nicht kämpfen. Sie stoßen auf kein faschistisches Regime in der Ukraine, keine russische Minderheit, die befreit werden will. Die Russen werden mit Widerstand und Protesten begrüßt - nicht mit Blumen. Russen in der Ukraine sind freier als jene in Russland, wo die Angst regiert, die Medien lügen, jeder Widerspruch unterdrückt wird.

Fürst Potjomkin lässt grüßen

Die Armee hat Putin im Stich gelassen. Seine Propagandisten werden sich für die Parade einen Sieg ausdenken müssen und diesen über das gelenkte Fernsehen verkünden. Das hat Tradition - schließlich ist Russland die Heimat des legendären Fürsten Potjomkin.  

DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Mit jedem Kriegstag wird Russlands Lage düsterer, die Zahl der getöteten Soldaten größer. Gleichzeitig geht in Moskaus Restaurants, Cafés und Bars das unbeschwerte Leben weiter, wird Wodka getrunken und getanzt. Da ist sie wieder - die kollektive Schizophrenie, die den 'homo sovieticus' ausmacht: Er lebt und überlebt mit der Lüge, mit der Angst vor dem Geheimdienst, mit der Scham über die eigene Feigheit.

Viele Russen sehen auch heute weg, wollen nicht wahrhaben, verdrängen, welche Verbrechen in ihrem Namen begangen werden. Wenn eines Tages die Wahrheit, der Mord an den ukrainischen Brüdern nicht mehr geleugnet werden kann, werden sie behaupten, nichts gewusst zu haben, nicht verantwortlich zu sein, irgendwie davon zu kommen - so wie nach 1991.  

Was Putins wirklich erreicht hat

Putin muss sein Land immer weiter isolieren, die Lager immer weiter eskalieren, um politisch zu überleben. Wie verzweifelt muss er sein, wenn er jetzt schon mit Atomwaffen droht? Offenbar kommt er mit konventionellen Waffen nicht weiter. Letztlich hat er erreicht, wozu der Westen sonst nie in der Lage gewesen wäre: Sich binnen Monaten aus Russlands Rohstoff-Abhängigkeit zu befreien.

Putin hat es geschafft, dass die sonst so harmoniesüchtigen Deutschen jetzt mehrheitlich Härte gegenüber dem russischen Angreifer befürworten. Sie sind bereit Opfer zu bringen, damit die Ukraine die Oberhand behält. Deutsche Politiker, die bei der Lieferung von schweren Waffen an Kiew zu zögerlich vorgehen, werden unter Druck gesetzt. Linke Sozialdemokraten und Grüne im Bundestag geben Milliarden frei, um die Bundeswehr massiv aufzurüsten.

Der NATO neues Leben eingehaucht

Das ansonsten so verschlafene Deutschland hat sich innerhalb weniger Wochen verändert wie seit Jahrzehnten nicht. Es besinnt sich auf Tugendenden, die es einst stark gemacht hat: Organisationstalent, Fleiß, Opferbereitschaft. Ähnliches passiert in anderen Ländern: Finnland und Schweden drängen ins westliche Verteidigungsbündnis. Sogar das pazifistische Japan rüstet wegen des Ukraine-Krieges auf. Putin leistet ganze Arbeit.   

Er hat der totgesagten NATO neues Leben eingehaucht. Über 30 Milliarden Dollar wollen allein die USA der Ukraine für die Verteidigung ihres Landes geben. Die EU wird nachziehen. Dank Putin sind die Auftragsbücher westlicher Rüstungsunternehmen so voll wie zur Zeit des Kalten Krieges.

Von einem schnellen Erfolg des Westens gegenüber Russland kann jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil. Die NATO rechnet mit Auseinandersetzungen über viele Jahre hinweg. Denn Moskau darf nie wieder so stark werden, dass es andere Länder überfallen kann. Es muss für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen, seine Truppen aus Georgien und der Republik Moldau abziehen, auch Belarus verlassen. In den 1980er-Jahren hat der wirtschaftlich überlegene Westen Moskau totgerüstet. Die Geschichte wiederholt sich. Nur ist Russland jetzt schwächer als die UdSSR damals; und der Westen größer, einiger und mächtiger denn je.

Wenn niemand mehr widerspricht

Wie konnte es soweit kommen? Putin hat niemanden, der ihm zu widersprechen wagt. Sogar Stalin war klüger. Das Politbüro fürchtete ihn zwar. Doch einige warnten ihn, wenn er falsch lag. Stalin war bodenständig, schlief immer auf einer einfachen Feldpritsche, Putin hingegen liebt das luxuriöse Leben in Palästen und Jachten. Stalin war vorsichtig. Putin ist ein Spieler. Er versteht die moderne Welt nicht: Er nutzt weder selbstständig das Internet, noch kann er E-Mails verschicken. Am ehesten gleicht er dem ebenfalls misstrauischen Zar Iwan IV. (dem Schrecklichen) im Livländischen Krieg. Russland verkämpfte sich damals im 16. Jahrhundert völlig im Krieg mit kleineren Mächten und stürzte ab in die sogenannte "Zeit der Wirren".   

Wie lange also wird der gegenwärtige Krieg dauern? So lange, wie die Ukrainer bereit sind, ihre Heimat zu verteidigen! Die Unterstützung aus dem Westen - sie hat gerade erst angefangen.

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