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PolitikEuropa

Meinung: Ein "Weiter so" ist nicht möglich

Dora Diseri | DW Kommentatorin
Dora Diseri
4. April 2022

Zum vierten Mal seit 2010 heißt der Wahlsieger in Ungarn Viktor Orban. Dabei spielte der Ukraine-Krieg eine wichtige Rolle. Dennoch kann Orban nicht einfach so weitermachen, meint Dora Diseri.  

Bild: Leonhard Foeger/REUTERS

Wieder wird die Frage gestellt:Wie kann es sein, dass Viktor Orban immer noch so viel Unterstützung in Ungarn erfährt? Bisher war die Antwort einfach: es lag an der zerstrittenen und kraftlosen Opposition. Bisher. Dieses mal, bei den Parlamentswahlen 2022, stellten sich die sechs oppositionellen Parteien aber zusammen zur Wahl. Es gab sogar Vorwahlen und Konkurrenz um die Listenplätze. Statt sinnloser Hetzkampagnen wurde wieder über Sachpolitik geredet. 

Orban, der Kämpfer

Doch der gute Eindruck täuschte. Die Fidesz-Partei konnte die unentschlossenen Wähler am Ende doch viel besser mobilisieren als erwartet. Sie räumte sogar in den Wahlbezirken ab, in denen ein Sieg der Opposition prognostiziert wurde. Wie? Mit Kampfrhetorik konnte Orban schon immer punkten. In den letzten Jahren kämpfte er gegen die hohen Mietnebenkosten, gegen Brüssel, George Soros, die Migration, die NGOs - und aktuell kämpft er gegen den Krieg.  

Anfangs verunsicherte die russische Invasion in der Ukraine die ungarische Regierungspartei zwar in ihrer Kampagne, sie brachten sie aber schnell wieder auf Linie: die Fidesz stehe auf der Seite des Friedens, und solange sie regiere, würden keine Waffen durch das Land geliefert, keine Friedenstruppen in die Ukraine gesandt, und keinen Sanktionen zugestimmt, die die Energieversorgung Ungarns gefährden könnten.  

Dora Diseri leitet die ungarische Redaktion der DWBild: Doman Nemes

Selenskyj als Feind  

Außenminister Peter Szijjarto hat sogar die Ukraine offen beschuldigt, auf die ungarische Wahlen Einfluss zu nehmen. Damit ist die ungarische Regierung die einzige innerhalb der EU und dem NATO-Bündnis, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht als Held feiert, sondern als Feind sieht, der sich mit der ungarischen Opposition verbündet.  

Kein Zufall, dass Orban sich den Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien Mitte März bei ihrer Kiewreise nicht angeschlossen hat, sondern stattdessen lieber Aleksander Vucic in Serbien besuchte, der zu Russland eine ähnlich enge Beziehung pflegt wie Ungarn - und die Wahlen in seinem Land gerade ebenso gewonnen hat. 

Viel aufs Spiel gesetzt 

Orban hat viel für diesen Sieg aufs Spiel gesetzt. Mit seinem russlandfreundlichen Kurs gefährdete er die lange Tradition der polnisch-ungarischen Freundschaft und sogar die Zusammenarbeit mit den anderen Visegrad-Staaten. Außerdem hat die ungarische Regierung alles versucht, um die enorme Inflation im Land zu verschleiern: Eltern bekamen die Einkommensteuer zurück, Rentner erhielten eine zusätzliche volle Monatsrente, Benzin- und Lebensmittelpreise wurden gedeckelt und die Gas- bzw. Strompreiserhöhungen mit massiver staatlicher Unterstützung hinausgezögert.  

Das kann nicht so bleiben. Diese Maßnahmen hält der ungarische Staatshaushalt nicht lange durch. Orban muss auf Sparkurs gehen, wenn er das Land nicht in die Pleite schicken will. Und die diplomatische Isolation, in die er sich selbst manövriert hat, muss er auch durchbrechen. Die Beziehungen zu den Visegrad-Staaten aber auch Ungarns Position in der EU müssen rehabilitiert werden.  

Opposition gescheitert

Die Niederlage der Opposition hat klar gemacht, dass auch dieses Bündnis keinen Bestand hat. Es war geradezu symbolisch, dass ihr Spitzenkandidat Peter Marki-Zay während seiner Rede nicht seine Mitstreiter aus den anderen Parteien hinter sich hatte, sondern seine Familie. Statt sich zu einem letzten Bild hinter Marki-Zay zu stellen, formulieren die ersten schon ihre Vorwürfe, woran der Zusammenschluss scheiterte. So oder so war die Opposition einfach nicht oppositionell genug. Mit Peter Marki-Zay gab es lediglich einen Spitzenkandidaten, der als ehemaliger Fidesz-Anhänger vielleicht eine "bessere" Variante der Fidesz-Regierung darstellte, aber keine richtige Alternative aufzeigte.  

Und davon profitierten die Rechtsextremen. Nur wenige hatten ernsthaft damit gerechnet, dass die Bewegung "Mi Hazank” (Unsere Heimat) die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Jetzt zieht sie mit sieben Sitzen ins Parlament ein. Die Partei entstand 2018 durch Abspaltung des rechtsradikalen Flügels der Jobbik-Partei und funktioniert als "Satellitenpartei" der Fidesz. Vor allem gewann "Mi Hazank" Stimmen unter den Covid-Skeptikern, Impfgegnern und Homophoben.  

Parallele Welten

Die Wahlergebnisse bestätigen die extreme Polarisierung der Gesellschaft. Die Schere zwischen Land und Stadt öffnet sich weiter - auch ideologisch. Die Opposition hat die Großstädte und die Fidesz die ländlichen Regionen. Schon seit Jahren existieren diese parallelen Realitäten: in einer ist Orban der Botschafter des Friedens, der für die Rechte des Landes kämpft und als Retter der Nation gilt und in der anderen ist er ein korrupter Betrüger, der zu Putin hält und Ungarn raus aus der EU führt. Das muss ein Ende haben. Orban hat die Gräben so tief gegraben, dass er irgendwann selbst hineinfallen wird. Er sollte ihm klar werden, sonst wird es auch für ihn einmal zu spät sein.

 

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