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Politik

EU-Theater in Nordmazedonien

19. Juli 2022

Nach 17 Jahren Wartezeit macht Nordmazedonien den nächsten Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft. Dass nun niemand feiert, liegt an den absurden Bedingungen, die das Land erfüllen soll, schreibt Boris Georgievski.

Nordmazedonien | EU Beitrittsverhandlungen | Proteste in Skopje
Protest in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje gegen die Bedingungen von Bulgarien für den Beginn von EU-BeitrittsverhandlungenBild: Boris Grdanoski/AP/picture alliance

Absurd ist, in den Worten von Eugene Ionesco, was keinen Zweck, kein Ziel oder keine Zielsetzung hat. Die Literaturgattung des Absurden Theaters, deren prominentester Vertreter der rumänisch-französische Schriftsteller war, beschreibt derzeit am besten die Beziehungen zwischen Nordmazedonien und der Europäischen Union.

In der komplizierten Beziehung zwischen der EU und Nordmazedonien hat das Absurde nicht nur keine Zielsetzung, sondern der Zweck des EU-Beitritts wurde auf das Absurde reduziert. Das klingt kompliziert. Und das ist es auch.

Der mazedonische Premierminister Dimitar Kovacevski mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am 19.07.2022 in BrüsselBild: Government of North Macedonia

Die höchsten Vertreter Nordmazedoniens kamen am Dienstag in Brüssel zu ihrer ersten Konferenz mit den Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammen. Das markiert normalerweise den formalen Beginn der Beitrittsverhandlungen. Nicht so für Nordmazedonien, das seit 2005 EU-Beitrittskandidat ist. Das Land beginnt nun lediglich mit dem, was im offiziellen Brüsseler Wörterbuch als "Beginn des Prozesses zur Aufnahme von Verhandlungen" bezeichnet wird.

Interpretation als faktische Bedingung

Um die Verhandlungen aufnehmen zu können, muss das Land zunächst seine Verfassung ändern und die bulgarische Minderheit als konstitutiven Bestandteil des Landes in die Verfassung aufnehmen. Doch nicht nur das ist in Nordmazedonien höchst umstritten, sondern auch alles andere, was Bulgarien von seinem Nachbarn verlangt.

Boris Georgievski, Leiter DW Mazedonisch

Bulgarien will die Mazedonier nicht als Nation und die mazedonische Sprache nicht als eigenständige anerkennen - was die Mehrheit der Menschen in Nordmazedonien zu Recht empört. Doch mit Hilfe Frankreichs und anderer europäischer Länder gelang es Bulgarien, seine Interpretation der Geschichte als faktische Bedingung für den Fortschritt Nordmazedoniens auf dem Weg zu EU-Beitrittsverhandlungen durchzusetzen.

"Mazedonismus"?

Dabei lässt sich der Begriff "absurd" durchaus auf den Verhandlungsrahmen anwenden. Denn in ihm wird in einer einseitigen bulgarischen Erklärung behauptet, die mazedonische Sprache existiere nicht und sei eigentlich ein Dialekt der bulgarischen Sprache. Für die Schulbücher Nordmazedoniens gibt es ähnliche Forderungen in Bezug auf historische Persönlichkeiten vom Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts: Bulgarien besteht darauf, dass Könige und Revolutionäre aus dieser Zeit als ethnische Bulgaren bezeichnet werden.

"Vereint! Die Mazedonier kämpfen für ihre Rechte!"Bild: Petr Stojanovski

Bulgarien versucht nicht einmal ansatzweise, seine Absichten zu verbergen. Während seines Besuchs in Berlin im Mai sagte der bulgarische Präsident Rumen Radew: "Wir werden nicht zulassen, dass der 'Mazedonismus' in der EU legitimiert wird." Bulgariens offizielle Politik bezeichnet den "Mazedonismus" als eine Ideologie, die nach dem Zweiten Weltkrieg Bulgaren "künstlich" und gewaltsam zu Mazedoniern gemacht hat. Es ist eine Position, die törichterweise davon ausgeht, dass im Laufe der Geschichte, insbesondere in Europa, Nationen und Nationalsprachen "natürlich" entstanden sind. Was natürlich keinesfalls so ist.

"Europäischer Kompromiss"

Aufgrund dieses historischen Streits hat Bulgarien seit 2019 wiederholt sein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Nordmazedoniens mit der EU eingelegt. Nun hat die EU einen sogenannten "europäischen Kompromiss" vorgelegt - einen Vorschlag, der den bilateralen Streit zwischen den beiden Balkan-Nachbarn zu einem EU-Problem macht.

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Parlament in Skopje am 14.07.2022Bild: Arbnora Memeti/DW

Mazedonien benannte sich 2018 in Nordmazedonien um und erfüllte damit die griechischen Forderungen im Zusammenhang mit dem so genannten Namensstreit. Damals wurde dem Land versprochen, dass der Weg in die EU offen sei. Nun glaubt niemand mehr an solche Versprechen.

Gegner oder Partner der EU?

Brüssel hatte gehofft, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien würde sein Engagement für die Länder des westlichen Balkans demonstrieren, das Image der EU in der Region verbessern und gleichzeitig den Einfluss Russlands beschränken. Doch nun erleben wir ein dramatisches Anwachsen der antieuropäischen Stimmung in Nordmazedonien und einen Popularitätszuwachs einer prorussischen Partei im Land.

Sowohl die EU als auch Nordmazedonien befinden sich nun in einer Sackgasse. Wenn Nordmazedonien seinen europäischen Weg fortsetzen will, müsste es den demütigenden bulgarischen Forderungen zustimmen. Im Grunde hat Nordmazedonien jetzt nur noch die Wahl, nicht über Identitätsfragen zu verhandeln und niemals der EU beizutreten oder zu akzeptieren, dass seine Bürger niemals als Mazedonier mit ihrer mazedonischen Sprache der EU beitreten werden. Wenn die EU also solche Forderungen weiterhin unterstützt, könnte sie bald einen weiteren Gegner statt eines Partners in Europa haben.

Boris Georgievski Boris Georgievski leitet die mazedonische Redaktion von Deutsche Welle.