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Politik

Frankreich, lass deine IS-Frauen nach Hause

Luisa von Richthofen +++NUR als Kommentarbild für die App geeignet!+++
Luisa von Richthofen
5. März 2021

Paris will sie nicht - die Frauen von IS-Kämpfern und ihre Kinder, die in kurdischen Lagern sitzen. Doch perspektivisch schadet sich Frankreich mit dieser Weigerung selbst am meisten, meint Luisa von Richthofen.

Kinder im Camp Al Roj in Nordsyrien. Hier befinden sich tausende IS-Kämpfer und ihre Angehörigen in HaftBild: Reuters/G. Tomasevic

Sie sind Frankreich ein Dorn im Auge: Die französischen Frauen, die dem Islamischen Staat (IS) beigetreten sind. Denn sie möchten zurück in ihr Heimatsland. Konkret geht es um 120 Frauen und mehr als 300 Kinder, die seit der Niederlage des IS im Jahre 2014 hier festsitzen.

Vor zehn Tagen trat ein Dutzend von ihnen in den Hungerstreik. Sie wollen raus aus den überfüllten Lagern von Al-Hol und Roj. Raus aus dem Dreck, dem Schlamm und der Kälte. Raus aus der brutalen Parallelgesellschaft des Gefangenenlagers, in der Mord und Einschüchterung auf der Tagesordnung stehen.

Aber die Regierung in Paris will sie nicht.

Mit den "IS-Frauen" kann Macron politisch nur verlieren

Es bedarf keines politischen Feinsinns, um zu verstehen warum. Mit zahlreichen Terroranschlägen hat der IS Frankreich bleibende Wunden zugefügt und damit zumindest ein Ziel erreicht: Die Franzosen haben Angst. Ein Studie von 2019 zeigt, dass sich 89 Prozent durch die Rückkehr von Dschihadisten bedroht fühlen. 67 Prozent sagten, man solle die "IS-Kinder” in Syrien lassen. Das dürfte sich seither kaum geändert haben. Eine solche Einstimmigkeit in Frankreich ist selten.

Seit Januar 2015 kamen 260 Menschen bei islamistischen Anschlägen in Frankreich ums LebenBild: Lionel Bonaventure/AFP/Getty Images

Emmanuel Macron weiß: Mit diesem Thema kann er nur verlieren - vor allem ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl. Deshalb zögert seine Regierung Entscheidungen hinaus. Jeder Fall wird angeblich einzeln geprüft. Nur 35 Kinder, zumeist Waisen, wurden in den vergangenen zwei Jahren zurückgeführt. Geht das in diesem Tempo weiter, bliebe die Lage noch über Jahre so bestehen, während sich das Elend in Syrien immer weiter verschlimmert.

Doch mit einer solchen Politik missachtet Frankreich nicht nur seine humanitären Prinzipien, es schadet auch den eigenen Interessen.

DW-Redakteurin Luisa von RichthofenBild: privat

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

Erstens haben auch diese aus Frankreich nach Syrien gekommenen Frauen, zumeist sind sie französische Staatsbürgerinnen, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Viele Franzosen glauben, die Rückkehrerinnen kämen nach ihrer Ankunft auf freien Fuß. Das wird kaum der Fall sein. Das französische Recht ist im vergangenen Jahrzehnt in solchen Fragen härter geworden: Die "Vereinigung von Verbrechern mit terroristischen Zielen" ist ganz klar eine Straftat. Allein die Tatsache, nach Syrien gereist zu sein, um dem IS beizutreten, zieht hohe Gefängnisstrafen nach sich. Dessen sind sich die Frauen auch bewusst.

Natürlich gibt es unter ihnen auch solche, die nichts bereuen. Und für die Grundrechte eines Menschen einzustehen, der möglicherweise Massaker an Schiiten, die Versklavung von Jesiden, die Kreuzigung von Christen, Morde an Homosexuellen oder die Anschläge auf das Bataclan unterstützt oder befürwortet hat, bringt kaum Anerkennung. Doch auch diese Menschen sind Teil unserer Gesellschaft. Und es geht nicht um Reue, es geht um Rechtsstaatlichkeit. Kein Staatsbürger muss sich ein faires Gerichtsverfahren erst verdienen. Und Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen in einem Gerichtssaal aufgearbeitet werden. Gerichte in Europa haben in der vergangenen Woche mit Blick auf Syrien gezeigt, dass sie dazu in der Lage sind.

Ein kurdischer Beamter zeigt die Pässe von gefangenen ausländischen Kämpfern des IS in Rimelan, Syrien. Bild: Reuters/G. Tomasevic

Der Islamische Staat lebt weiter

Zweitens ist Frankreich gut beraten, die Frauen aus den nordsyrischen Lagern zu holen, bevor es der IS tun wird. Denn die Terrorgruppe erlebt in der Region ein Comeback. Insider berichten, dass die Befreiung aus einem kurdischen Lager zwischen 14.000 und 18.000 Euros kostet. Vierzehn französische Gefangene, darunter die Frau von Amédy Coulibaly, einem der Täter der Anschläge vom Januar 2015 in Paris, sind bereits spurlos verschwunden. Die kurdische Lageraufsicht von Al-Hol warnt außerdem, einen Aufstand unter den 60.000 Insassen möglicherweise nicht unter Kontrolle bringen zu können. 

Wird die Rückführung also weiter verschleppt, erhöht sich das Risiko, dass die Frauen fliehen, untertauchen, neue Gruppen bilden und dann möglicherweise nach Frankreich reisen, um dort Anschläge zu verüben. Paris hat also auch ein sicherheitspolitisches Interesse, sie in französischen Gefängnisse unter Kontrolle zu bringen.

Die Kinder tragen keine Schuld

Nicht zuletzt geht es um rund 300 Kinder. Zwei Drittel von ihnen sind jünger als sechs Jahre. Sie sind keine "IS-Kinder”, keine "Mini-Terroristen”- sie haben teilweise den IS nicht einmal mehr erlebt. Sie kennen Syrien nur als ein Lager, als Leben im Schlamm, in Kälte und in den Dämpfen eines Ölfeldes. Aber auch die Älteren dürfen nicht für die Entscheidungen ihrer Eltern bestraft werden. Diese Kinder sind Kriegsopfer und oftmals schwer traumatisiert. Wer sie vergisst und verelenden lässt, macht aus den Gefangenenlagern einen Nährboden für die Dschihadisten von morgen.

Frankreich hat diesen Kindern gegenüber eine Verantwortung. Es muss ihnen ein Leben in Würde ermöglichen. Von dem Land, das sich noch immer als "Heimatland der Menschenrechte" versteht, darf man nicht weniger erwarten. Bislang ist der einzige Profiteur dieser Versäumnisse der Islamische Staat.

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