1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Gegen Teheran hilft nur massiver Druck

Behnam Bavandpour
15. Oktober 2022

Seit Wochen versucht der Iran, die anhaltenden Proteste im Land mit roher Gewalt zu unterbinden. Jetzt braucht es eine klare Kante gegen Teheran, meint Behnam Bavandpour - notfalls bis zum Abbruch der Atomverhandlungen.

Solidaritätsprotest in Griechenland nach Tod von Mahsa Amini
Weltweit - wie hier in Griechenland - gab es Solidaritätskundgebungen für die Protestierenden im IranBild: Sakis Mitrolidis/AFP

Man kann nicht über die jahrzehntelangen Kämpfe der iranischen Zivilgesellschaft berichten, ohne den besonderen Beitrag zu würdigen, den die Frauen des Landes dabei leisteten - und noch immer leisten. Seit mehr als 40 Jahren sind sie die größte Gruppe im Iran, die unterdrückt, diskriminiert und gedemütigt wurden. Zugleich waren Frauen die ersten, die sich mutig gegen die Führung der Islamischen Revolution wehrten - während männliche Intellektuelle und Politiker schwiegen. Fast vier Jahrzehnte vergingen auf diese Weise, bis öffentliche Proteste 2017/2018 vereinzelt erstmals die Legitimität der Islamischen Republik in Frage stellten. Was wir aber jetzt erleben, ist in seiner Form neu: Es ist die geeinte Konfrontation der Zivilbevölkerung mit den regierenden Mullahs. Jina Mahsa Aminis Tod fliegt dem System um die Ohren wie ein Bumerang; der Protest vereint alle bislang an den Rand gedrängte Gruppen und kehrt zurück zum Ursprung des Unmutes: zur Befreiung der Frauen im Iran.

Die Zeit für Beschwichtigungen ist vorbei

Und nun ist es Zeit für eine klare Sprache des Auslands. Leere Worthülsen, diplomatische Forderungen oder wachsweiche Hinweise reichen bei Weitem nicht aus. Das taten sie noch nie, aber jetzt sind wir an einem Scheideweg. Die internationale Staatengemeinschaft muss der iranischen Bevölkerung mit aller Macht zur Seite stehen - unter Androhung strikter Konsequenzen. Wenn es sein muss, auch mit dem Abbruch der Atomverhandlungen.

Behnam Bavandpour ist Redakteur in der Farsi-Redaktion der DWBild: Privat

Die iranischen Herrscher haben nie eine zivile Sprache des Ausgleichs und der Mäßigung verwendet - und sie nehmen eine solche auch gar nicht ernst. Symbolische Sanktionen machen ihnen keine Angst. Sie haben sogar ein Öl-Embargo durchgestanden. Wenn ihnen nur mit Symbolik begegnet wird, werden sie keinen Moment zögern, weiter zu töten, um an der Macht zu bleiben. Sie wissen, dass die Realpolitik vieler Länder nach einer Weile wieder mit ihnen Kontakt aufnehmen wird, um zu verhandeln. Die langjährigen Beschwichtigungen des Westens gegen ihre Expansion im Nahen Osten interpretieren sie als Geschenk. Der Iran scheut nicht vor staatsterroristischen Operationen auf der ganzen Welt zurück, insbesondere in europäischen Ländern. Vor allem die Bedrohung der Existenz Israels und die fehlende Reaktion darauf sehen die iranischen Machthaber als ihr "besonderes Privileg". Tatsache ist: Im Vergleich zu Muammar Gaddafis Libyen, Saddam Husseins Irak und Baschar al-Assads Syrien ist der Westen mit Chameneis Iran mit Samthandschuhen umgegangen. Das hat die Islamische Republik so dreist werden lassen, dass sie unbesorgt mit dem Massaker an ihren Bürgern fortfahren kann.

Teherans einzige Sorge

Allerdings fürchtet die Islamische Republik die Rückkehr ihrer Atom-Akte vor den UN-Sicherheitsrat. Die Internationale Atomenergiebehörde konstatierte zuletzt, dass Teheran nicht bereit ist, Rechenschaft über sein Atomprogramm und die Spuren von angereichertem Uran an drei Orten im Land aufzuklären. Gleichzeitig spielt das Regime in seinen Verhandlungen mit dem Westen schon seit  Monaten ein Katz-und-Maus-Spiel, um Zeit für den Bau der Atombombe zu gewinnen. Der Westen hätte triftige Gründe, die Verhandlungen mit dem Iran scheitern zu lassen und das Verfahren zur Wiedereinsetzung umfassender UN-Sanktionen, den sogenannten "Snapback", einzuleiten.

Dies wäre die einzige Botschaft, die Teheran verstehen und fürchten würde. Nur dann würde der zivile Aufstand des iranischen Volkes mit den Frauen an vorderster Front nicht im Keim erstickt. Nur unter solchem Druck würde der Oberste Religionsführer Ali Chamenei der Tötung von Demonstranten Einhalt gebieten. Gleiches gilt es auch für den derzeitigen Präsidenten des Iran, Ebrahim Raisi. Er würde es sicher nicht noch einmal wagen, mehrere Tausend Gefangene innerhalb kurzer Zeit hinrichten zu lassen, wie er es im Sommer 1988 getan hat.

Das Mullah-Regime in Teheran muss sich von der Welt belagert fühlen. Sonst wird im Gedächtnis der Iranerinnen und Iraner nur das internationale Schweigen und eine stille Komplizenschaft des Westens hängenbleiben. Das wäre unverantwortlich. Nein, es wäre unverzeihlich.