1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Hongkongs Demokratiebewegung am Ende?

Hongkong Michael Mo
Michael Mo
2. Dezember 2020

Nach dem Urteil gegen Joshua Wong und andere Aktivisten dürfte vielen Einwohnern Hongkongs klar sein: Ihrer Freiheit können sie nur noch sicher sein, wenn sie auswandern, meint Michael Mo in seinem Gastkommentar.

Ivan Lam (li.) und Joshua Wong (vorne re.) werden in Handschellen aus dem Gerichtsgebäude geführtBild: Kin Cheung/AP/picture alliance

Zehn Tage nachdem Polizeikräfte im Juni 2019 eine Protestversammlung vor dem Regierungssitz aufgelöst hatten, waren die Hongkonger erneut auf die Straße gegangen. Sie protestierten gegen das geplante neue Auslieferungsgesetz, das eine Auslieferung auch ans chinesische Festland möglich machen sollte. Der Gesetzentwurf war zwar auf Eis gelegt, aber nicht endgültig zurückgezogen worden.

Welche Rolle hatte Joshua Wong bei jenem Protest gespielt? Er war vier Tage zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, nachdem er eine Haftstrafe wegen Missachtung des Gerichts im Zusammenhang mit den Pro-Demokratie-Protesten von 2014 abgesessen hatte. Er rief die Bürger auf, sich vor dem Polizeihauptquartier zu versammeln, das sich in der Nähe des Regierungssitzes befindet, und ein Gespräch mit Polizeichef Stephen Lo zu verlangen. Für dieses Vorgehen wurden Wong und seine Mitstreiter unter dem Vorwurf verhaftet, eine illegale Versammlung organisiert zu haben.

Zunehmend härtere Urteile

Die gesetzliche Grundlage für diese Anklage ist die aus britischer Kolonialzeit stammende "Public Order Ordinance". Sie wurde vielfach von den Demokratieaktivisten und von den Vereinten Nationen kritisiert. Die "Ordinance" bedroht Personen mit Gefängnis, die zu dritt oder mehreren in dieselbe Richtung gehen, "um den Frieden zu stören".

Gastkommentator Michael Mo aus HongkongBild: privat

In den ersten Jahren nach 2010 hätten die Hongkonger Richter für ein solches Vergehen - illegale Versammlung - wahrscheinlich noch eine gewisse Anzahl von Stunden gemeinnütziger Arbeit verhängt, oder sogar auf Freispruch entschieden. Seitdem haben die Richter aber immer weniger den juristischen Ermessensspielraum genutzt, wenn es um den Vorwurf der Organisation illegaler Versammlungen durch Anführer des Protests ging. So ist Benny Tai, einer der führenden Köpfe der sogenannten Regenschirm-Proteste von 2014, im vergangenen Jahr zu 16 Monaten Haft verurteilt worden. Aus demselben Grund war Joshua Wong zu sechs Monaten verurteilt worden. Nach den heutigen Urteilen sind die Spielräume der Richter zweifellos weiter verengt worden.

Verurteilung könnte vielen drohen

Vergangene Woche noch riefen Joshua Wong und seine Mitstreiter die Hongkonger auf, nicht zu resignieren und den Geist des demokratischen Widerstands wachzuhalten. Ob es jedoch zu neuen Straßenprotesten kommen wird, ist zweifelhaft. Die jüngsten Urteile dürften ihre abschreckende Wirkung auf die Menschen nicht verfehlen. Theoretisch könnten die Behörden alle anklagen, die bei vergangenen Protesten festgenommen wurden. Regierungschefin Carrie Lam hat dieses Vorgehen nicht ausgeschlossen.

Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Von den Teilnehmern der Proteste gegen das geplante Auslieferungsgesetz wurden mehr als 500 verurteilt, einige von ihnen zu sechs Jahren Gefängnis. Und immer noch könnten rund 2000 Bürger Hongkongs in diesem Zusammenhang angeklagt werden. Rund 10.000, darunter der Autor dieser Zeilen, wurden vorübergehend festgenommen und gegen Kaution freigelassen.

Flucht in Resignation und Auswanderung

Zu diesem immer stärkeren strafrechtlichen Druck, der auf die Aktivisten ausgeübt wird, kommt das neue sogenannte "Nationale Sicherheitsgesetz", das in diesem Sommer in Kraft trat. Es gibt den Behörden neue und weitreichende Befugnisse zur Festnahme und Inhaftierung von Kritikern. In dieser Lage wäre es nicht verwunderlich, wenn die ganz normalen Hongkonger Bürger, die noch im vergangenen Jahr an den Protesten teilgenommen hatten, sich jetzt geschlagen geben und sich mit der Tatsache abfinden, dass ihre einst garantierten bürgerlichen Freiheiten nicht mehr existieren.

Eine Folge davon könnte ein Massenexodus nach Großbritannien sein. Der britische Premierminister Boris Johnson hat angekündigt, denjenigen Einwohnern Hongkongs, die vor der Rückgabe des Territoriums an China am 1. Juli 1997 dort geboren wurden, ein spezielles Visum zur Einreise und Niederlassung in Großbritannien zu gewähren. Peking betrachtet die Maßnahme als Provokation. Die Regierung in London rechnet mit über 700.000 Antragstellern.

Hongkong vor grundlegendem Wandel

In den Straßen Hongkongs sind die Anzeigen nicht zu übersehen, die für den Erwerb von Wohneigentum im Ausland werben. Immer mehr Eltern nehmen ihre Kinder von den erstklassigen Hongkonger Schulen, um sie im Ausland unterrichten zu lassen, ohne Zensur. Auch wenn es im Bereich der Wirtschaft zumindest oberflächlich nach "business as usual" aussieht, deuten alle Anzeichen darauf hin, dass Hongkong vor einem grundlegenden Wandel steht.

Nach dem Urteil gegen Joshua Wong und andere Aktivisten dürften die Einwohner Hongkongs verstärkt darüber nachdenken, ob sie ihre Zukunft weiterhin in der Stadt sehen, die einmal ihre Heimat war.

Der parteilose Michael Mo, Jahrgang 1986, ist Aktivist der Demokratiebewegung und Mitglied des Bezirksrats des Wahlkreises Tuen Mun in Hongkong. Er studierte zuvor Jura an der University of Hongkong.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen