Der Weltschachverband FIDE hat sich entschieden: Trotz der internationalen Sanktionen nach dem Angriff auf die Ukraine führt der Russe Arkadi Dworkowitsch weiter die Organisation an. Ein Desaster, meint Holger Hank.
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In der Welt der Schach-Funktionäre ist scheinbar alles noch in bester Ordnung. Zwar gibt es auch im Schachsport Sanktionen gegen Russland und Belarus - doch die gelten nur für die Spieler. Nur so ist es zu erklären, dass jetzt auf dem FIDE-Kongress im indischen Chennai der bisherige Präsident einfach wiedergewählt wurde. Arkadi Dworkowitsch war bis 2018 Vize-Ministerpräsident Russlands und Vorstandsvorsitzender der (kriegswichtigen) russischen Eisenbahn. Seit 2018 ist er der Chef des Weltschachbunds - und wird es nun für weitere vier Jahre bleiben.
Denn die Schach-Funktionäre taten so, als ob es den Krieg des Schachfans Wladimir Putin in der Ukraine nicht gäbe. Eine politische und moralische Bankrott-Erklärung. Dworkovitschs Gegenkandidat konnte noch nicht einmal einen Achtungserfolg erringen: Der ukrainische Schach-Großmeister Andrii Baryshpolets kam gerade einmal auf 16 von insgesamt 179 Stimmen.Gut, dass der Deutsche Schachbund - wie vor zwei Monaten angekündigt - den unterlegenen Ukrainer unterstützt hat.
Schach ist in Russland auch Politik
Sportverbände behaupten gerne, dass sie unpolitisch wären. Für den Schachsport hat das noch nie gegolten - vor allem nicht in Russland. Schach ist dort weit mehr als nur ein Nischensport für Nerds. Putin zeigt sich immer wieder gerne mit prominenten Schachspielern. Zwar hatte Dworkowitsch versucht, sich öffentlich ein wenig von dem russischen Angriffskrieg zu distanzieren.
Aber unterm Strich ist das Signal, das der Schachsport aussendet, fatal: Wieder einmal ist es nicht gelungen, den übermächtigen Einfluss Russlands im Sport einzudämmen. Im Gegenteil: Trotz der weltweiten Sanktionen hat es Russland geschafft, einen der ihren an der Spitze eines internationalen Sportverbands zu halten. Für Putin ist das ein Grund zum Feiern.
Sicher, Dworkowitsch hatte eine vergleichsweise gute Bilanz vorzuweisen. Nach Jahrzehnten, in denen die FIDE von Chaos und Korruption geprägt war, hatte er Professionalität und (zumeist russische) Sponsorengelder in den notorisch klammen Schachsport gebracht. Auch hatte er die clevere Idee, den allseits geschätzten Ex-Weltmeister Viswanathan Anand als Vertreter der aufstrebenden Schachnation Indien zu seinem Stellvertreter zu küren.
FIDE im Abseits?
Dass die FIDE unter Dworkowitsch aber jetzt einfach weiter machen kann wie bisher, ist zu bezweifeln. Westliche Sponsoren werden einen noch größeren Bogen um ihn und die FIDE machen. Hinzu kommt, dass Dworkowitsch möglicherweise bald selbst auf internationalen Sanktionslisten auftauchen könnte. "Wenn das passiert, ist es vorbei," mutmaßte selbst der Putin-nahe Ex-Weltmeister Anatoli Karpow vor der Wahl.
Für den Schachsport ist das alles ein Desaster. Denn eigentlich boomt das Brettspiel. In der Corona-Zeit hat sich der Sport zum Teil ins Internet verlagert. Längst dreht sich im Schach nicht mehr alles um die etwas schwerfälligen offiziellen Weltmeisterschaften. Der noch amtierende Champion, der Norweger Magnus Carlsen, hat die Zeichen der Zeit längst erkannt. Seinen Titel will der 31-Jährige erst einmal nicht verteidigen, aber Schach spielen wird der mit Abstand beste Schachspieler der Welt weiter - in Eigenregie. Geld in den Sport bringt er mit seiner börsennotierten "Play Magnus Group".
Ein Weltschachverband, der eng an der Seite des wirtschaftlich und politisch isolierten Russland steht, wird da nur schwer mithalten können. Andere große Schachverbände - wie der Deutschlands - werden noch mehr auf Distanz gehen. Gut möglich, dass sich die Schachfunktionäre selbst schachmatt gesetzt haben.
Bobby Fischer und das Match des Jahrhunderts
Für viele Schachfans ist er immer noch der Größte: Robert ("Bobby") Fischer errang vor 50 Jahren in Island den WM-Titel. Seitdem sind der US-Amerikaner und das Match in Reykjavik zum Mythos geworden.
Bild: J. Walter Green/AP/picture alliance
Schach-WM 1972 - Bobby Fischer triumphiert in Reykjavik
Er war nicht zu stoppen: Bobby Fischer auf dem Weg zum WM-Titel im Schachsport. Der damals 29-jährige Großmeister aus New York gilt als genauso exzentrisch wie genial. Das Match gegen den russischen Champion Boris Spasski geht in die Geschichte ein. Das Foto entstand am 23. August 1972 - eine Woche später erreichte Fischer sein großes Ziel, auf das er seit seiner Jugend hingearbeitet hatte.
Bild: J. Walter Green/AP/picture alliance
Ende eines Nervenkriegs
Am 1. September 1972 ist es soweit: Nach einem spannenden Match setzt sich Fischer mit 12,5:8,5 Punkten deutlich gegen Spasski durch. Die Sowjetunion hat damit zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg die Schach-Krone verloren - ausgerechnet an einen US-Amerikaner. Die Welt ist fasziniert von dem Zweikampf Ost gegen West mitten im Kalten Krieg.
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Das Schach-Wunderkind
Rückblick: Robert James Fischer (genannt "Bobby") wird am 9. März 1943 in Chicago geboren. Er wächst im New Yorker Stadtteil Brooklyn bei seiner Mutter auf. Die Familie hat wenig Geld. Fischers Mutter ist Krankenschwester und wird als Kommunistin vom FBI beobachtet. Bobby ist schon als Kind ein sehr starker Schachspieler: 1958 - mit nur 14 Jahren - gewinnt er zum ersten Mal die US-Meisterschaft.
Mit 16 Jahren gilt Fischer bereits als einer der besten Schachspieler der Welt. Seine großen Konkurrenten kommen aus der Sowjetunion, die den Schachsport seit dem Zweiten Weltkrieg dominiert. Fischers großes Vorbild damals ist der lettisch-sowjetische Großmeister und spätere Weltmeister Michail Tal. 1959 treffen die beiden in Zürich aufeinander. Die Partie endet Remis.
Im Laufe der 1960er-Jahre entwickelt sich Boris Spasski (rechts) zum besten Spieler der Sowjetunion. Spasski erringt schließlich 1969 den Weltmeister-Titel. Vor dem Match in Island hatte er noch nie gegen Bobby Fischer verloren. Entsprechend siegesgewiss war der in der Schach-Szene beliebte Russe nach Reykjavik gekommen. Hat er Fischer unterschätzt?
Bild: AFP
Das Match des Jahrhunderts
Tritt Fischer überhaupt an? Die Verhandlungen mit Fischer vor dem Titelkampf 1972 sind kompliziert. Das ehemalige Wunderkind aus New York misstraut den sowjetischen Schachspielern und dem Weltschachverband. Erst in letzter Minute gelingt es den isländischen Organisatoren, Fischer nach Reykjavik zu holen. Gleich in der ersten Runde kassiert er eine Niederlage.
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Fischers Triumph
Im Laufe des Wettkampfs übernimmt Fischer aber immer mehr die Initiative. Die letzte Partie des Zweikampfs wird am 31. August 1972 als Hängepartie unterbrochen. Am nächsten Tag erscheint Spasski nicht mehr zur Wiederaufnahme der Partie und teilt dem deutschen Schiedsrichter Lothar Schmid am Telefon die Aufgabe der Partie mit. Damit steht am 1. September 1972 fest: Bobby Fischer ist Weltmeister.
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1992 - Fischer taucht wieder auf
Was folgt, ist das größte Rätsel der Schachgeschichte: Nach der WM zieht sich der neue Weltmeister völlig vom Schach zurück. Er verliert kampflos den Titel. Nur einmal noch kehrt er ans Schachbrett zurück. 1992 tritt er in einem Privatkampf in Serbien wieder gegen Boris Spasski an - und gewinnt. Doch Fischer verstößt gegen US-Sanktionen und ist seitdem auf der Flucht vor der Justiz seines Landes.
Bild: Dagobert Kohlmeyer/dpa/picture-alliance
Rückkehr nach Reykjavik
2005 ist Fischers Flucht zu Ende: Er sitzt in Abschiebehaft in Tokio. Zuletzt war er immer wieder mit antiamerikanischen und antisemitischen Tiraden aufgefallen. Doch die Isländer haben den Ex-Champion nicht vergessen: Eine Gruppe von Schachspielern schafft es, den kranken Fischer nach Reykjavik zu holen. Dort verbringt er seine letzten Lebensjahre. Bobby Fischer stirbt 2008.
Im Jahr 2020 - fast 50 Jahre nach dem "Match des Jahrhunderts" - ist Schach auf einmal wieder in aller Munde. Die Netflix-Serie "Das Damengambit" mit der US-Schauspielerin Anya Taylor-Joy in der Rolle des Schachgenies Beth Harmon wird zum TV-Erfolg in der Corona-Zeit. Die Figur Beth Harmon greift Motive aus Bobby Fischers Leben auf. Der Mythos lebt.
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Magnus Carlsen - Fischers Nachfolger?
Bobby Fischer galt lange für viele als der beste Spieler aller Zeiten. "Fischer war ein ungemein kämpferischer Spieler, das beeindruckt noch heute," so der isländische Großmeister Helgi Olafson, der Fischer in seinen letzten Jahren auf Island unterstützte. Dieser unbändige Siegeswille zeichnet auch den aktuellen Weltmeister Magnus Carlsen aus - der wie Fischer schon als Kind überragend spielte.
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Ein deutsches Wunderkind
Überragend gut ist seit einigen Jahren auch ein junger Deutscher. Vincent Keymer (rechts) ist inzwischen 17 Jahre alt, der beste Schachspieler in Deutschland und auf dem Weg in die Top-10 im Weltschach. Mit 14 Jahren spielte er zum ersten Mal gegen Weltmeister Magnus Carlsen - und verlor knapp. Auch Keymer hat eine Verbindung nach Reykjavik. 2021 wurde er dort sensationell Vize-Europameister.
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Bobby Fischer (1943 - 2008)
Bobby Fischer hat 2008 seine letzte Ruhe auf Island gefunden. Sein Gegner im "Match des Jahrhunderts", der Russe Boris Spasski, lebt heute zurückgezogen in Moskau - nach zwei Schlaganfällen ist er auf den Rollstuhl angewiesen. "Spasski hat sich immer um Fischer Sorgen gemacht", so der isländische Schachmeister Helgi Olafson, der beide Spieler gut kannte, "wie ein großer Bruder."