Auf zwei Sitzungen will sich die DFB-Spitze mit der Arbeit von Bundestrainer Joachim Löw befassen. Der sollte aber nicht so lange warten und von sich aus zurücktreten, kommentiert Tobias Oelmaier.
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Manchmal wünscht man sich, in den Kopf eines Menschen gucken zu können. In den von Angela Merkel zum Beispiel. Was sie so antreibt in diesen Tagen in ihrem Kampf gegen die Pandemie. Oder in den von Donald Trump. Ob er die Menschen um sich herum überhaupt wahrnimmt. Oder in den von Joachim Löw. Wie malt sich der Bundestrainer wohl selbst seine Zukunft aus? Träumt er vom Gewinn der Fußball-Europameisterschaft im kommenden Jahr? Sieht er sich nochmal auf einem Podest vor dem Brandenburger Tor stehen, hört er die Fans unten auf der Straße des 17. Juni freudetrunken singen: "Jogi, wir danken dir"?
Nach einer Umfrage des Sportinformationsdienstes SID aus der vergangenen Woche sagen nur noch rund 13 Prozent der Fußballfans in Deutschland, dass Löw weitermachen solle, bei T-Online hielten ihn noch gut zwölf Prozent nach der 0:6-Niederlage gegen Spanien in der Nations League für den richtigen Mann.
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Kein Tribunal am 4. Dezember
Nun ist es gut und richtig, dass nicht das Volk über so eine Personalie entscheidet. Ginge es nach den Fans, würde Lukas Podolski wahrscheinlich wieder beim 1. FC Köln kicken und Sepp Maier immer noch das Tor der Münchener Bayern hüten. Auch wenn sich die meisten, uns Journalisten eingeschlossen, für die besseren Bundestrainer halten mögen - es fehlen die Einblicke, die Zusammenhänge, das Fachwissen. Wir entscheiden aus dem Bauch heraus. Langfristige Veränderungen kämen zu kurz, würden wir unseren Emotionen folgen. Und Jürgen Klopp ist aktuell eh nicht verfügbar.
Die Entscheidung über Löws Verbleib oder Demission muss also ein Kreis aus tatsächlichen oder vermeintlichen Experten treffen. Beim Deutschen Fußball-Bund handelt es sich dabei um das Präsidium, bestehend aus insgesamt zehn Mitgliedern, darunter übrigens nur eine Frau. Am 4. Dezember will man sich treffen, dann soll über die Analyse der Fehlleistungen der vergangenen Monate beraten werden. Über eine Analyse, die der Bundestrainer zwar selbst vornehmen, nicht aber vorstellen soll. Das übernimmt dann DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Möglich, dass man Löw mit dieser Konstellation den Auftritt vor einem "Tribunal" ersparen möchte.
Nach außen hin, kurz nach der Pleite von Sevilla, hatte sich die DFB-Spitze noch demonstrativ hinter ihren Trainer gestellt. Von Bierhoff wie auch von Verbandspräsident Fritz Keller gab es eine de-facto-Jobgarantie, zumindest bis zur EM. Auch wenn zahlreiche echte Experten, darunter Weltmeister verschiedener Generationen, besonders die Kaderzusammensetzung unverhohlen kritisierten. Kaum jemand kann noch nachvollziehen, dass Löw weiterhin stur auf dem Verzicht auf die ausgebooteten, dem Vernehmen nach aber rückkehrwilligen Jerome Boateng, Thomas Müller und Mats Hummels besteht.
Geraten Inhalte in den Hintergrund?
Nun aber soll es, so meldet die Bild-Zeitung, schon im Vorfeld der Präsidiumssitzung ein Treffen in kleinerer Runde geben - bestehend aus dem inneren Zirkel des DFB-Vorstandes und Löw selbst. Sollte es sich dabei um den Präsidialausschuss handeln, dann hätte der laut Satzung durchaus Prokura, den Bundestrainer abzusetzen. Und in diesem Präsidialausschuss soll es durchaus Meinungsverschiedenheiten geben, auch generell, nicht nur in der Trainerfrage. Von Dissonanzen zwischen zwei Lagern ist da die Rede, dem hinter Präsident Keller und dem hinter Generalsekretär Friedrich Curtius.
Damit wäre die Personalie Löw dann nicht mehr eine rein sachliche, der Bundestrainer könnte vielmehr zum Spielball zwischen den beiden Parteien werden. Das aber wäre Joachim Löw, allein schon angesichts seiner Erfolge mit und um die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nicht zu wünschen. Auch hier wieder möchte man für einen Moment in seinen Kopf vordringen und an der richtigen Stelle den Hebel umlegen, Klick machen. Auf dass in ihm selbst die Entscheidung reife, möglichst bald in Würde seinen Rücktritt anzubieten. Es ist zwar schon zu spät, aber ein besserer Zeitpunkt als jetzt wird nicht mehr kommen.
Joachim Löw: Der Weg zum Helden und zurück
Die Ära Joachim Löw in der Fußball-Nationalmannschaft ist beendet. Nach 15 Jahren hört der 61 Jahre alte Weltmeistertrainer von 2014 auf. Ein Blick zurück auf seine Karriere.
Bild: Kai Pfaffenbach/REUTERS
Einer mit Torriecher
Dass Joachim Löw einmal als der berühmteste Spross seiner Geburtsstadt Schönau im Schwarzwald gefeiert werden würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Als Fußballer hat er zwar einen guten Torriecher - mit 83 Treffern, 81 davon in der 2. Liga, ist er lange Zeit Rekordtorschütze des SC Freiburg. Vier Einsätze im U21-Team des DFB verbucht der Mittelstürmer, eine richtig große Nummer ist er aber nie.
Bild: Herbert Rudel/picture alliance
DFB-Pokalsieg zum Trainer-Einstand
Mit 35 Jahren beendet Löw seine aktive Karriere beim FC Frauenfeld in der Schweiz - als Spielertrainer. Sein erstes Engagement als Cheftrainer beginnt vielversprechend: 1997 gewinnt Löw, damals noch ohne Trainerlizenz, mit dem VfB Stuttgart den DFB-Pokal gegen Energie Cottbus. Ein Jahr später verlieren die Schwaben unter Löw das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen den FC Chelsea mit 0:1.
Bild: Sven Simon/IMAGO
Wechsel im Jahrestakt
Nach der Saison 1997/98 trennt sich der VfB von Löw, der daraufhin beim türkischen Traditionsklub Fenerbahce Istanbul anheuert. Dieses eher glücklose Engagement dauert nur ein Jahr - wie auch die anschließenden Stationen beim Zweitligisten Karlsruher SC, bei Adanaspor in der Türkei, beim FC Tirol Innsbruck und bei Austria Wien. Mit den Innsbruckern wird Löw 2002 österreichischer Meister.
Bild: Pressefoto Baumann/IMAGO
Zwei Freunde, ein Trainerteam
Beim Trainer-Kurzlehrgang des DFB im Jahr 2000 drückt Löw gemeinsam mit Jürgen Klinsmann (l.) die Schulbank. Die Chemie zwischen ihnen stimmt. Daran erinnert sich Klinsmann, als er nach dem deutschen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft ablöst. Klinsmann holt Löw als Assistenten. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Heim-WM 2006 zum "Sommermärchen" wird.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Bad in der Menge
Deutschland wird nach begeisternden Auftritten und dem Halbfinal-Aus gegen Italien WM-Dritter und erlebt eine völlig neue Fußball-Euphorie. Auf der Fanmeile am Brandenburger Tor in Berlin lassen sich Löw und Klinsmann mit Torwarttrainer Andreas Köpke (l.) und Teammanager Oliver Bierhoff (r.) nach dem Turnier von den Massen feiern. Klinsmann nimmt anschließend seinen Hut, Löw wird Bundestrainer.
Bild: picture-alliance/dpa
Spanien eine Nummer zu groß
Bei der EM 2008 wird Löw im letzten Gruppenspiel gegen Co.-Gastgeber Österreich nach einem lautstarken Disput mit dem vierten Offiziellen auf die Tribüne verbannt und für das Viertelfinale gegen Portugal gesperrt. Deutschland erreicht schließlich das Finale und muss sich dort - wieder mit Löw auf der Bank - Spanien mit 0:1 geschlagen geben.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance
Kuranyi aussortiert
Im Oktober 2008 greift der Bundestrainer durch. Kevin Kuranyi (r.), von Löw im WM-Qualispiel gegen Russland auf die Tribüne gesetzt, verlässt zur Halbzeit der Partie das Stadion in Dortmund. "So wie Kevin gestern reagiert hat, kann ich das nicht akzeptieren und werde ihn in Zukunft nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren", sagt Löw anschließend und beendet Kuranyis DFB-Karriere.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Derselbe Stolperstein
Bei der WM 2010 in Südafrika begeistert die runderneuerte deutsche Mannschaft mit spektakulärem Offensivdrang. Löw zeigt, dass er mit jungen Spielern wie Mesut Özil (r.) umgehen und sie ins Team integrieren kann. Aber wieder sind es die damals international dominierenden Spanier, die das DFB-Team stoppen, dieses Mal im Halbfinale. Deutschland beendet das Turnier wie 2006 als WM-Dritter.
Bild: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images
Never change a winning team
Nach der EM 2012 in Polen und der Ukraine muss Löw erstmals heftige Kritik einstecken. Nach 15 Pflichtspiel-Siegen in Serie ist im EM-Halbfinale gegen Italien Endstation. Das DFB-Team verliert 1:2, nachdem Löw das zuvor überzeugende Team auf mehreren Positionen verändert. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bundestrainer muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich "vercoacht" zu haben.
Bild: Jens Wolf/dpa/picture-alliance
Die Helden von Rio
Die Krönung zwei Jahre später: Durch einen 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Argentinien sichert sich Deutschland in Rio de Janeiro den Weltmeistertitel. Zuvor demütigte das DFB-Team im Halbfinale Gastgeber Brasilien mit 7:1 - ein historischer Sieg. Mit 54 Jahren steht Löw auf dem Gipfel seiner Karriere und wird in der Folge zum "Welttrainer des Jahres 2014" gewählt. Aber Löw will mehr.
Bild: VI Images/IMAGO
Wieder nur EM-Halbfinale
Zu gerne würde Löw auch den EM-Titel gewinnen. Doch auch der dritte Anlauf des Bundestrainers scheitert: Bei der EM 2016 muss sich Weltmeister Deutschland im Halbfinale Gastgeber Frankreich mit 0:2 geschlagen geben. Fast schon trotzig verlängert Löw nach dem Turnier seinen Vertrag bis 2020 - hoch motiviert, den WM-Titel 2018 in Russland zu verteidigen.
Bild: Christina Pahnke/sampics/picture alliance
Der zweite Anzug passt
Und es scheint alles nach Plan zu laufen. Ein Jahr vor der WM, im Sommer 2017, gewinnt Deutschland in Russland die WM-Generalprobe, den Confederations Cup - und das, obwohl Löw mit einer besseren B-Elf anreist. Doch auch diese Mannschaft mit vielen jungen, noch unerfahrenen Nationalspielern überzeugt. Fazit ein Jahr vor der WM: Der zweite Anzug passt.
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Blamage in Russland
Doch es folgt der tiefe Absturz. Bei der WM 2018 in Russland blamiert sich das deutsche Team bis auf die Knochen. Nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea und einem Sieg gegen Schweden scheidet der Titelverteidiger als Gruppenletzter nach der Vorrunde aus. So will Löw nicht aufhören. Schon vor der WM wurde sein Vertrag vorzeitig bis 2022 verlängert und er macht trotz der Blamage weiter.
Bild: Andreas Gebert/dpa/picture-alliance
Drei Weltmeister geopfert
Nach dem WM-Debakel räumt Löw eigene Fehler ein. Er habe fälschlicherweise geglaubt, "mit Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen", sagt der Bundestrainer bei seiner WM-Analyse. "Es war fast schon arrogant." Löw kündigt einen Generationswechsel im DFB-Team an und erklärt, künftig auf die 2014er Weltmeister Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller zu verzichten.
Bild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images
Der "rabenschwarze Tag"
Souverän qualifiziert sich das DFB-Team für die EM 2020, die wegen der Corona-Pandemie verschoben wird. Löw wähnt sich auf dem richtigen Weg - bis zur 0:6-Pleite im Nations-League-Spiel in Spanien, der zweithöchsten Schlappe in der Geschichte der DFB-Nationalmannschaft. "Es war ein rabenschwarzer Tag", sagt der aktuell dienstälteste Nationaltrainer der Welt, für den die Luft dünn wird.
Bild: Marcelo Del Pozo/REUTERS
Rücktritt angekündigt
Zunächst geht es für Löw weiter. Doch noch vor dem ersten Länderspiel 2021 gegen Island verkündet der damals 61-Jährige: Nach der EM in diesem Jahr ist für ihn Schluss. Der DFB nimmt die Entscheidung dankbar an. Sie sei "hoch anständig", sagt der damalige DFB-Präsident Fritz Keller. So habe der Verband genügend Zeit, um "mit Ruhe und Augenmaß" einen Nachfolger zu suchen.
Bild: Martin Rose/Getty Images
Ende einer Ära nach dem WM-K.o.
Das Achtelfinale bei der EURO 2020 gegen England im Wembley-Stadion ist das letzte Spiel, dass Joachim Löw (r.) als Bundestrainer betreut. Die Partie geht mit 0:2 verloren. Erneut scheidet sein Team nach der WM 2018 in Russland frühzeitig aus einem Turnier aus. Nach dem Spiel ringt Löw mit den Emotionen. Nach der Heimreise aus England beginnt eine neue Zeit beim DFB: Löw hört auf.