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Politik

Joe Biden im Merkel-Dilemma

Carolina Chimoy Kommentarbild App PROVISORISCH
Carolina Chimoy
19. März 2021

Die Flüchtlinge an der südlichen US-Grenze brauchen Hilfe. Hilfe brauchen aber auch ihre Herkunftsländer in Mittelamerika, um die Drogenmafia zu zerstören. Das ist die zentrale Herausforderung, meint Carolina Chimoy.

"Biden bitte lass uns rein!" Ein junger Mann aus Honduras wartet an der mexikanischen Grenze zu den USABild: Gregory Bull/AP Photo/picture alliance

Menschen, die vor konkreten Gefahren geflohen sind, leben nun unter elenden Bedingungen direkt an der US-Grenze - auf der mexikanischen Seite. Die Migranten schlafen auf Beton in unmittelbarer Nähe zu den Brücken, die in die USA führen. Sie hoffen nur eines: dass sie so schnell wie möglich "rüber können". Viele unbegleitete Minderjährige wollen nicht mehr nur hoffen - sie überqueren illegal den Rio Grande, der hier die Grenze bildet.

Donald Trump wurde 2016 nicht zuletzt deswegen zum Präsidenten gewählt, weil er eine Mauer zur Lösung des Migrationsproblems versprach. Jetzt, unter Joe Biden, hoffen viele aus Mittel- und Südamerika auf Einlass. Aber die Realität an der Grenze sieht anders aus.

Bitte nicht jetzt!

"Kommt nicht! Verlasst nicht euer Dorf, eure Stadt, oder eure Gemeinde! Wir organisieren gerade das System neu, damit ihr Euch bald von zu Hause aus um Asyl bewerben könnt. Aber kommt jetzt nicht, denn wir werden Euch zurückschicken müssen!" Diese Worte richtete der Präsident in einem Exklusivinterview mit dem Fernsehsender ABC am Dienstag an die Migranten.

Carolina Chimoy ist Korrespondentin in Washington

Schon in der Woche zuvor hatte auch die Beauftragte für die Südgrenze der USA, Roberta Jacobsen, in einer Pressekonferenz im Weißen Haus viermal hintereinander dieselbe Botschaft wiederholt, sogar auf Spanisch: "No vegan! No es el momento!" (Kommt nicht! Es ist nicht der richtige Zeitpunkt!) sagte sie vor laufenden Kameras.

Auch wenn das vom Weißen Haus bislang so nicht zugegeben wurde: Die neue US-Regierung hat ein Problem. Die Zahl der Migranten an der Grenze hat sich in den vergangenen zwei Wochen verdreifacht. Hilfsorganisationen schätzen die Zahl der Menschen, die vor allem aus Honduras, Guatemala und El Salvador kommen, auf mehr als 180.000. Die meisten, die inzwischen hier sind, erzählen, dass sie gehört hätten, der neue Präsident in den USA werde jetzt die Grenze für sie öffnen. Darauf war hier niemand vorbereitet.

Erinnerungen an 2015

Die Bilder erinnern an die Ankunft von hunderttausenden Flüchtlingen, die im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, nachdem Angela Merkel die Grenzen ausdrücklich offengehalten hatte. Migranten vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan kamen von der Türkei übers Meer nach Griechenland und dann über den Balkan, um vor Kriegen und Gewalt zu Hause zu flüchten. Auch hier war ein Fluss, der Inn an der deutsch-österreichischen Grenze, und seine Brücken für die Migranten die allerletzte Hürde, um endlich in Sicherheit zu sein in einem Land, das sie bereitwillig aufnahm.

In großen Gruppen warten die Flüchtlinge unter den Brücken über den Rio Grande in MexikoBild: Adrees Latif/REUTERS

Wie damals Kanzlerin Merkel steht nun auch Präsident Biden vor einem Dilemma: Auf der einen Seite möchte er die rassistische Migrationspolitik von Donald Trump verändern und diese wieder humanitärer gestalten. Diese Botschaft hat jedoch auch schnell Zentralamerika erreicht und führt jetzt dazu, dass sich die Lage an der US-mexikanische Grenze dramatisch zuspitzt.

Populistische Demagogie konservativer Republikaner

Die Republikaner nutzen den Moment aus, um mit diesen Bildern Ängste in der Bevölkerung zu schüren und von einer "unaufhaltbaren Krise" zu sprechen. Der Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy (der Ex-Präsident Donald Trump nach wie vor unterstützt) war sogar mit anderen Abgeordneten an der Grenze, um - so seine Worte - "unsere Landesgrenze zu verteidigen". Es ist absehbar, in welche Richtung die populistische Demagogie der konservativen Republikaner weitergehen wird.

In Grenznähe erreichten die USA ganze Zeltstädte, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge provisorisch unterzubringenBild: Adrees Latif/REUTERS

Bidens Regierung fährt nun zweigleisig: Das Personal an der Grenze wird kurzfristig verstärkt. Mitarbeiter der FEMA (US-Katastrophenhilfe) sollen bei der schnellen Bearbeitung von Asylanträgen helfen und Zelte und Baracken für unbegleitete Minderjährige aufbauen, die nicht abgewiesen werden. Vor allem aber spricht Biden von einer langfristigen "Behandlung des Problems an der Wurzel". Damit meint er eine verstärkte Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern, um dort die Fluchtgründe zu bekämpfen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Angela Merkel gegenüber afrikanischen Ländern.

Drogenkriminalität als Wurzel des Übels

Todesangst, Erpressung, Entführungen, politische Verfolgung - das sind die Gründe, welche die meisten Migranten für ihre Flucht nennen. Gute Gründe also, auch wenn es in ihrer Heimat keinen Krieg gibt. Es ist offensichtlich: Die anwachsende Kriminalität, steigende Mordraten, vor allem die zunehmende Macht der Drogenkartelle in vielen Ländern Lateinamerikas ist die Wurzel des Problems. Warum sonst sollten sich Menschen auf einen lebensgefährlichen Weg machen und absolut alles hinter sich lassen?

Mitverantwortlich für diese Entwicklung sind auch Industrieländer. Denn das Drogengeschäft ist so profitabel, weil es im reichen Westen auf eine so hohe Nachfrage trifft. Der Ansatz, das Problem an der Wurzel zu packen, ist also richtig. Es darf aber nicht bei leeren Worten bleiben, denn es braucht massive Wirtschafts- und Reformhilfen für Mittelamerika. Und es wird Zeit brauchen, die korrupten Systeme und die illegalen Machtstrukturen, die in Einzelfällen bis Staatspräsidenten reichen, zu zerstören. Um es in den Worten eines Flüchtlings aus Honduras an der US-Südgrenze zu sagen: "Ich wollte nicht weg. Mein Land ist wunderschön. Nur ist es leider in den falschen Händen."

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