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Politik

Keine Entwarnung im Umgang mit Polen

2. Juni 2022

Nach langem Streit hat Brüssel den polnischen Corona-Aufbauplan gebilligt und die entsprechenden Gelder freigegeben. Doch der Konflikt mit Warschau ist nicht vorbei, mahnt DW-Korrespondent Jacek Lepiarz.

Polen | Proteste vor Verfassungsgericht in Warschau
Trotz Protesten in Polen selbst: Die EU hat nachgegeben und gibt Gelder aus dem Corona-Aufbaufonds freiBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Kräfteverhältnisse in Osteuropa stark verändert. Durch die großzügige Aufnahme von Millionen ukrainischer Flüchtlinge sowie Waffenlieferungen für das angegriffene Nachbarland hat Polen weltweit viel Sympathie und Anerkennung gewonnen. Das blieb nicht ohne Wirkung auf die Einstellung der Europäischen Kommission gegenüber der Regierung in Warschau. Sie hatte in den vergangenen Jahren wegen der Einschränkungen der Unabhängigkeit der Gerichte den Unmut Brüssels auf sich gezogen.

Die in Warschau regierende Vereinigte Rechte - ein Bündnis aus den Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Solidarisches Polen - hat diese Chance sofort erkannt und sich als neuer "Frontstaat" gegen Russland präsentiert - in der Hoffnung, die lange von der Europäischen Kommission zurückgehaltenen rund 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds zu erhalten.

Von der Leyen in Warschau

Nun besucht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die polnische Hauptstadt, um persönlich die frohe Botschaft zu verkünden, dass die Aufbau-Gelder freigegeben sind. Die Regierung von Premier Mateusz Morawiecki feiert die Einigung als einen Sieg Polens über die immer wieder kritisierte EU. Kritik der Opposition an den Unzulänglichkeiten des Kompromisses wird als Landesverrat abgestempelt.

Jacek Lepiarz ist Korrespondent von DW Polnisch in WarschauBild: Privat

Es war Polens Staatspräsident Andrzej Duda, der mit einer Gesetzesinitiative Bewegung in den festgefahrenen Streit zwischen Warschau und Brüssel gebracht hatte. Das vor eine Woche (28.05.2022) durch den Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, beschlossene Gesetz verlangte von der Regierung ein großes Zugeständnis: die Auflösung der Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die der rechten Regierung unliebsame Richter in Schach halten soll. Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro hatte sich bis zuletzt dagegen gesträubt und erst kurz vor der Abstimmung im Parlament nachgegeben.

Zugeständnisse unzureichend, Schikanen gehen weiter

Die liberale und linke Opposition in Polen hält die beschlossenen Korrekturen des Justizwesens für unzureichend und spricht von Etikettenschwindel. In der Tat dürften aufmüpfige Richter weiterhin schikaniert werden. So wurde beispielsweise der Richter Pawel Juszczyszyn, einer der Führer der Richterproteste gegen den Abbau des Rechtsstaats, zwar nach zwei Jahren De-facto-Verbannung wieder zu seinem Beruf zugelassen - doch nur, um sofort erneut in den Zwangsurlaub geschickt zu werden. Darüber hinaus wurde Juszczyszyn gegen seinen Willen von einer Zivilkammer in ein Familiengericht versetzt. Das ist offene Schikane. Juszczyszyn ist nicht der einzige Richter in Polen, der nach wie vor den Repressionen der Staatsmacht ausgesetzt ist.

Das Dilemma der Regierung

Die Vereinigte Rechte befindet sich in einem Dilemma: Einerseits braucht sie dringend Geld aus Brüssel, um trotz hoher Inflation ihre Wählerschaft mit sozialen Wohltaten bis zur Parlamentswahl 2023 bei der Stange zu halten. Die Milliarden aus dem Corona-Aufbau-Fonds würde den finanziellen Spielraum der Regierung wesentlich erweitern. Die erste Tranche wird wahrscheinlich Anfang kommenden Jahres fließen - rechtzeitig zum Wahljahr und passend, um die angekündigte Aufstockung des Kindergeldes von 500 (109 Euro) auf 700 Zloty (153 Euro) zu finanzieren.

Richter und Anwälte protestieren gegen die Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit in PolenBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Andererseits ist die Durchsetzung der politischen Kontrolle über die Justiz das Kernprojekt der Vereinigten Rechten; es wird als Voraussetzung für den Umbau des Landes zu einem national-katholischen Staat betrachtet. Die negativen Erfahrungen aus der ersten Regierungszeit 2005 bis 2007, als Gerichte viele Vorhaben der National-Konservativen mit Erfolg blockiert hatten, veranlassten die aktuelle Regierung, sofort nach ihrer Machtübernahme im Herbst 2015 mit dem Umbau der Justiz zu beginnen. Es ist schwer vorstellbar, dass PiS und Co. jetzt auf diese Pläne verzichten.

Brüssel muss wachsam bleiben

In den vergangenen sieben Jahren hat die Vereinigte Rechte alle Schlüsselinstitutionen der Justiz mit ihren Anhängern besetzt, darunter das Verfassungsgericht. Jede Kritik aus Brüssel wies Warschau zurück, widerspenstige Richter wurden entlassen und durch linientreue Kollegen ersetzt, wobei der politisch kontrollierte Landesjustizrat die Hauptrolle spielte. Der Clou: Polens Machthaber sprachen der EU grundsätzlich das Recht ab, sich in das polnische Justizwesen einzumischen und stellten das nationale Recht über das EU-Recht.

Wenn Polens Rechte jetzt einen Schritt zurück geht, dann nur, um bei der nächsten Gelegenheit zwei Schritte nach vorn zu gehen und verlorenes Gelände zurückzugewinnen. Denn sie kann auf ihr Kernprojekt nicht verzichten.

Die Europäische Kommission muss deshalb wachsam bleiben - auch in Zukunft. Die polnische Regierung wird wahrscheinlich alles versuchen, um die aus ihrer Sicht negativen Folgen des Kompromisses mit Brüssel zu minimieren. Blauäugigkeit wäre an dieser Stelle gefährlich für die Demokratie - nicht nur in Polen, sondern in der ganzen europäischen Gemeinschaft.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.