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Politik

Keine neue Weltordnung nach Afghanistan

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
4. September 2021

Die Art des Rückzugs vom Hindukusch mag schmachvoll für die NATO sein und in Moskau und Peking Freude auslösen. Aber die Strahlkraft der westlichen Werte bleibt, meint Miodrag Soric.

Um stark zu bleiben, mussten die USA und der Westen Ballast abwerfen

Genug, es reicht. Zwei Jahrzehnte lang hat der Westen Billionen Dollar in ein unterentwickeltes, armes Land gepumpt. Vergeblich. Kriegsmüdigkeit machte sich breit. Der Westen hat sich überschätzt. Jahrelang glaubte er, Afghanistan modernisieren zu können, brachte dafür Opfer: menschliche und finanzielle. Letztlich erfolglos. Als US-Präsident Biden befahl, die Truppen abzuziehen, zerbröselte die demokratische Fassade von Kabul wie eine Sandburg am Strand. Jetzt droht Afghanistan zurückzufallen in ein Gebilde (von Staat zu sprechen wäre übertrieben), in dem miteinander rivalisierende Stämme, Gruppen, Völker, Religionsgemeinschaften sich belauern und bekriegen. Zum Leidwesen der Menschen.  

Die Welt hat einen "failed state" mehr. Die Niederlage des Westens lässt sich nicht beschönigen. Sicher ein Wendepunkt in der Geschichte: Vorerst wird der Westen nicht bereit sein, sich auf neue Abenteuer dieser Art einzulassen.  

Schadenfreude in Moskau und Peking

Das Scheitern der Amerikaner und Europäer am Hindukusch verfolgen die Möchtegern-Weltmacht Russland und das aufstrebende China mit zum Teil unverhohlener Schadenfreude. Sollen sie. Die Islamisten operieren in Afghanistan unweit ihrer Grenzen. Sie bedrohen die Stabilität Zentralasiens weitaus mehr als die Europas oder Amerikas. Der Rückzug des Westens aus dieser Region zwingt Moskau und Peking sich vor Ort stärker zu engagieren, und zwar dauerhaft. Denn beide Länder entkommen ihrer geographischen Nähe zu Afghanistan nicht.  

DW-Chefkorrespondent Miodrag Soric

Das Triumphgeheul der Feinde des Westens wird vergehen. Sollen Moskau und Peking eine neue Weltordnung propagieren: eine mit verschiedenen Machtzentren und Einflusszonen. Am liebsten würde Moskau seinen Zugriff auf die Ukraine, Belarus und die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken festschreiben. Peking möchte gerne verhindern, dass US-Flugzeugträger im Süd-Chinesischen Meer kreuzen und Washington die Freiheit Taiwans verteidigt. Doch der Westen wird Peking und Moskau diesen Gefallen nicht tun!  

Die liberale, regelbasierte Weltordnung ist keineswegs am Ende. Die Ideale, die Werte, die der Westen hochhält, die er zu Recht für universell hält, gelten weiter: die Würde jedes Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die freie Meinungsäußerung, das Recht sich zu versammeln, Demokratie, die Achtung der Menschenrechte. Nur weil der Westen in Afghanistan scheiterte, bedeutet das nicht, dass diese Werte an Bedeutung eingebüßt haben. Im Gegenteil. Die wahrscheinlich traurige und tragische Entwicklung Afghanistans in den kommenden Monaten wird aller Welt vor Augen führen, dass diese Werte die richtigen sind.

Überdehnung vermeiden

Moskaus Behauptung, die USA wollten seit dem Ende des Kalten Krieges 1991 die Welt dominieren, ist Kreml-gesteuerte Propaganda. Es ist nicht die Schuld des Westens, wenn sich die Länder Osteuropas von Moskau ab und der freien Welt zuwenden. Gibt es eigentlich ein einziges demokratisches Land in Europa, mit dem Russland freundschaftliche Beziehungen unterhält? Und wenn nicht: Weshalb ist das so?  

Fragen stellen muss sich auch der Westen. Was kann er tun, um eine - wie es Historiker nennen - "Überdehnung" seines Einflussgebiets zu vermeiden, mit seinen Kräften zu haushalten? Auch damit genug Geld übrig bleibt, um seine Verteidigung zu stärken. Denn autoritäre Regime in Moskau, Peking, Teheran und anderswo brauchen äußere Feinde, um politisch zu überleben. Die Werte, für die die USA und die EU stehen, behalten ihre globale Strahlkraft: Der Wohlstand im Westen, seine wirtschaftliche Stärke, die Möglichkeit eines jeden Bürgers sich in Freiheit und Sicherheit entfalten zu können, wird weiter Menschen anziehen - auch Millionen Russen und Chinesen, die dorthin abwandern.  

Amerika und die NATO müssen aus ihren Fehlern lernen. Die militärischen Interventionen der vergangenen 30 Jahre haben praktisch nirgendwo die Situation nachhaltig verbessert. Das westliche Verteidigungsbündnis sollte sich auf seine Kernaufgabe - die Verteidigung seines eigenen Gebietes - konzentrieren. Dann war das Fiasko am Hindukusch vielleicht doch nicht vergebens.

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