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Politik

Erst geht Kwarteng, wann geht Liz Truss?

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
14. Oktober 2022

Nach der Entlassung von ihrem Finanzminister Kwasi Kwarteng kämpft Premierministerin Liz Truss um ihr politisches Überleben. In jeder Demokratie wäre jetzt der Zeitpunkt für dringende Neuwahlen, meint Barbara Wesel.

Da waren sie noch bester Laune: Kwasi Kwarteng (l) und Liz Truss (m) bei einem Baustellenbesuch am 4. OktoberBild: Stefan Rousseau/POOL/AFP/Getty Images

Er richtete maximalen Schaden in kürzester Zeit an und gilt als Kandidat für den Titel "schlechtester Finanzminister" der vergangenen Jahrzehnte: Der britische Finanzminister Kwasi Kwarteng. In nur 40 Tagen verursachte er einen Nervenzusammenbruch am Finanzmarkt, trieb das britische Pfund in den Keller sowie die Hypothekenzinsen und die Kosten für Staatsanleihen in die Höhe.

Studienkollegen bescheinigten dem Eliteschüler Kwasi Kwarteng, er verfüge über ein großes Selbstbewusstsein. Es half ihm jedenfalls, das selbstverursachte Chaos an sich abtropfen zu lassen.

"Kleine Störungen"

Zur geballten Kritik der Bank of England, der US-Regierung oder von Ökonomen weltweit an seinen Haushalts- und Steuerplänen zuckte er nur die Achseln und sprach von "kleinen Störungen". Noch beim laufenden Treffen des Internationalen Währungsfonds in Washington beharrte Kwarteng darauf, im Amt bleiben zu wollen.

Am Donnerstag aber bekam er dann die Anweisung, in den letzten Flieger nach London zu steigen, um von Premier Liz Truss die Entlassungsurkunde entgegenzunehmen. Dabei war er doch ihr treuester Vollstrecker, ein naher politischer Freund und vom gleichen wirtschaftspolitischen Glauben getrieben wie seine Regierungschefin.

Kwarteng hatte ihre Pläne für umfassende Steuersenkungen, allein finanziert durch weitere Staatsschulden im Dienst eines nebulösen Wirtschaftswachstums, mitgetragen und umgesetzt. Banker und Finanzexperten hatten diese Vorhaben als ungeeignet, ökonomisch ahnungslos und sogar zerstörerisch bezeichnet.

Rebellion im Unterhaus

Aber erst als die Umfragewerte der britischen Konservativen auf unter 20 Prozent abstürzten, der Tory-Parteitag zum Auffahrunfall mutierte und ihre Abgeordneten im Unterhaus zur Rebellion aufriefen, begann Liz Truss mit der Kehrtwende. Zunächst nahm sie die Senkung des Spitzensteuersatzes zurück, die reichen Briten Tausende Pfund zusätzlich verschafft hätte.

DW-Korrespondentin Barbara Wesel

Im zweiten Schritt setzte sie eine Erhöhung der Unternehmenssteuer wieder auf die Agenda, die sie zuvor als wachstumsfeindlich verurteilt hatte. Die Premierministerin kämpft um ihr Überleben und brilliert inzwischen in der schnellen Rolle rückwärts. Kwasi Kwarteng unter den Bus zu werfen, war eine ihrer leichteren Übungen.

Die Katastrophe in der britischen Politik ist ideologiegetrieben und beruht auf Liz Truss' Glauben an die "Reaganomics", eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die nicht einmal in den 1980er Jahren zur Zeit des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan (1981 bis 1989) funktioniert hatte.

Illusion schlanker Staat

Die Idee ist, dass ein schlanker Staat mit geringen öffentlichen Ausgaben durch massive Steuersenkungen automatisch Wachstum erzeugen könne. Dabei wird in Kauf genommen, dass diese Politik die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.

Längst haben Wirtschaftsexperten weltweit diese Ideologie verrissen. Angesichts steigender Inflationsraten und einer globalen Energiekrise gelten diese Rezepte sogar Anleitung für ein wirtschaftliches Desaster.

Doch Liz Truss bleibt unerschüttert bei ihrem Versprechen, sie könne irgendwie den wirtschaftlichen Kuchen vergrößern. Tatsächlich dauert so etwas Jahre und erfordert umfassende gesellschaftliche Reformen. Davon aber fehlt in Großbritannien mit steigender Armut, einem scheiternden Schul- und zusammenbrechenden Gesundheitssystem jede Spur.

Nachdem sie ihren Finanzminister gefeuert hatte, räumte Liz Truss lediglich ein, ihre Finanz- und Steuerpolitik sei "zu schnell vorangegangen". Sie hat aus bisherigem Unheil nichts gelernt und hofft darauf, dass sich die Finanzmärkte beruhigen und ihre Regierung die zerstörte Glaubwürdigkeit zurückgewinnt.

Truss kämpft ums Überleben

Aber wie soll das funktionieren, wenn sie doch nur einen Mann rausgeworfen hat, der ihre Politik genau umsetzte? Im Unterhaus proben konservative Abgeordnete den Aufstand und überlegen, ob sie Truss schon nächste Woche im Handstreich durch einen neuen Premierminister ersetzen könnten.

Damit würde Großbritannien endgültig zu einer Art Bananenrepublik, in der alle paar Monate durch Putsch, Umsturz oder Palastintrige eine neue Regierung ins Amt gespült wird. In jeder Demokratie wäre jetzt der Zeitpunkt für dringende Neuwahlen.

Neuwahlen aber will die Parlamentsmehrheit unbedingt verhindern. Denn das würde bedeuten, dass die Konservativen für Jahre aus der Regierung verbannt würden. Der Zorn der Wähler ist mittlerweile so groß, dass die Glaubwürdigkeit der Tories verloren gegangen ist.

Weil durch Neuwahlen Dutzende Abgeordnete ihre Ämter verlieren würden, wird sich die Todesspirale der britischen Politik noch eine Weile weiterdrehen und das Fortsetzungsdrama in der Downing Street um eine neue Serie erweitert nach der Devise: Demnächst mehr in diesem Theater.

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