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PolitikEuropa

Euro-Pride in Serbiens Wunderland

18. September 2022

Nach tagelangem Tauziehen hat in Belgrad nun doch eine LGBTQ-Pride-Parade stattgefunden. Auf den ersten Blick ein Sieg der Menschenrechte. Doch die Wirklichkeit in Serbien ist eine andere, meint Zoran Arbutina.

Teilnehmer der "Europride" feiern in BelgradBild: ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images

Also doch: Die Europride-Parade in Belgrad hat ohne größere Zwischenfälle stattgefunden. Zwar auf einer veränderten und gekürzten Route und unter dem massiven Schutz von 5200 Polizisten. Zudem in einem gesellschaftlichen Klima, das durch Ablehnung und bestenfalls Ignoranz geprägt ist statt durch Akzeptanz und Toleranz gegenüber LGBTQ. Aber: Sie hat stattgefunden.

Dass es so kommt, war keinesfalls sicher. Seit Wochen wurde in Serbien darüber diskutiert, ob die LGBTQ-Community als Abschluss der einwöchigen Veranstaltungsreihe "Europride" auch eine Parade abhalten darf.

Große Aufregung um Parade

Die Gegner der Parade, darunter Mitglieder nationalkonservativer Oppositionsparteien, Rechtsradikale, Nationalisten, Fußball-Hooligans und erzkonservative Teile der Orthodoxen Kirche, meinten, dass die Parade die Fundamente und Grundwerte der serbischen Gesellschaft und der Nation untergräbt. Man wolle sich dagegenstellen, auch von "Waffen" und "Blut auf den Straßen" war die Rede.

Organisatoren und Befürworter verwiesen auf die Menschenrechte und bestanden darauf: Die Parade findet statt. Allerdings würde sie nicht als politische Demonstration, sondern als "Spaziergang angemeldet.

Zoran Arbutina, Redakteur Europa/Programs for EuropeBild: Ayse Tasci/DW

Und der Staat? In erprobter Manier meldete sich Serbiens autokratisch herrschender Präsident Aleksandar Vucic immer wieder mit widersprüchlichen Statements zu Wort, oder ließ seine Untergebenen sich zu der Parade äußern. Mal hieß es, die Parade sei verboten, dann wiederum wurden die Organisatoren einfach nur aus Gründen der "Wahrung der öffentlichen Sicherheit" gebeten auf die Parade zu verzichten.

Auch westliche Politiker mischten sich ein: So nahmen etwa Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, oder auch Vladimir Bilcik, EU-Parlamentarier und Berichterstatter des EP für Serbien, an der Parade teil. Westliche Botschafter pochten eindringlich auf die Achtung der Menschenrechte und allgemeiner demokratischer Prinzipen. Man sei besorgt über die europäische Integration Serbiens.

Vucic in seinem Element

Am Ende haben wir eine Situation wie bei "Alice in Wunderland". Alle haben irgendwie gewonnen.

Die LGBTQ-Community in Serbien ist doch spazieren gegangen und hat eine Welle massiver internationaler Solidarität zu spüren bekommen.

Für Serbiens Rechte, für Nationalisten und die Kirche ist das aber keine komplette Niederlage: Sie haben die Diskussion genutzt und ein klares Signal ausgesendet, dass an ihnen in der gesellschaftlichen Debatte kein Weg vorbeiführt. Klar ist: Sie sind sowohl willens, als auch in der Lage ihre Anhänger zu mobilisieren.

Und die westlichen Politiker? Sie wurden in dem Glauben gelassen, dass sie doch einflussreich sind und man immer noch auf sie hört.

Seit Wochen haben Rechte, Nationalisten und Teile der Orthodoxen Kirche zu Protesten aufgerufen (Belgrad, 29.8.2022)Bild: Darko Vojinovic/dpa/AP/picture alliance/

Und Vucic hat gezeigt, dass er die öffentliche Ordnung wahren kann, gesprächsbereit ist, und - ganz der edle Staatspräsident - sich vor allem um das Funktionieren des Staates, des gesellschaftlichen Friedens sowie um die Einheit und Prosperität der Nation kümmert. Er hat klargemacht: Nur er kann das gewährleisten. Nur er stehe in der Mitte der Gesellschaft - immer angegriffen von den Extremisten von links und rechts.

Seine Botschaft nach innen: Ich bin die Stabilität, ich bin der Staat. Für viele in Serbien ist das entscheidend.

Und die Botschaft nach außen: Nur mit mir könnt ihr verhandeln, nur ich garantiere die Stabilität Serbiens und somit auch des Westbalkans. Und nichts befürchtet der Westen in dieser Region mehr als Instabilität, die womöglich zu neuen Spannungen oder gar bewaffneten Auseinandersetzungen führt.

Und übrigens sagte Vucic der einen wie der anderen Seite, er hätte Wichtigeres zu tun, als sich um solch marginale Fragen wie eine LGBTQ-Parade zu kümmern. So hat er einen Tag vor der Parade den ungarischen Premier Viktor Orban in Belgrad empfangen, ihm einen hohen Staatsorden verliehen und als "Freund" bezeichnet. Inzwischen ist er nach New York geflogen, wo er an der UN-Generalversammlung teilnehmen und auch reden wird. Unermüdlich arbeite er weiter für das Wohl und Interesse des serbischen Volkes, so Vucic.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic verleiht einen Orden an seinen "Freund", den ungarischen Premier Viktor OrbanBild: Darko Vojinovic/AP//picture alliance

Das Image eines "Machers"

Sein Ziel in Serbien hat er ohnehin erreicht. Einer der Grundsätze seiner Politik - in einem Land, in dem er fast die komplette Medienlandschaft kontrolliert - ist das permanente Aufrechterhalten einer gewissen gesellschaftlichen Aufregung. Lange vor Trump, und ganz in der Manier seines Freundes Orban, hat Vucic das andauernde Hyperventilieren als Modus Operandi seiner Politik etabliert. Immer im Krisenmodus, ständig sieht er sein Land bedroht von allen Seiten. Gleichzeitig macht er klar: Er - und nur er - kann Serbien voranbringen, irgendwohin in eine leuchtende Zukunft. Dass man ihn dabei oft als Stabilokraten bezeichnet, juckt ihn da wenig.

Haben also jetzt nach der Europride-Parade in Belgrad tatsächlich alle gewonnen? Einerseits ja. Andererseits gibt es in Serbien schon seit Langem nur einen, der bei jedem Rennen dabei ist und gewinnt: Aleksandar Vucic. Alle andere bleiben Randfiguren. Sie können dann zwar auch mal gewinnen - aber auch nur, um danach wieder in Vergessenheit zu geraten.