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Politik

Merkel ergebnislos in Moskau

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
21. August 2021

Das Mantra "mit-Russland-im-Dialog-bleiben" ist nicht mehr zielführend. Deutschland braucht ein neues Konzept im Umgang mit dem Autokraten Putin, meint DW-Redakteur Andrey Gurkov.

Bild: GUIDO BERGMANN/REUTERS

Es war schon sehr auffällig, wie oft Angela Merkel auf der Pressekonferenz nach ihrem Treffen mir Wladimir Putin in verschiedenen Variationen immer wieder betonte, wie wichtig es doch sei, "miteinander zu reden" und "diesen Gesprächskanal offen zu halten". Nichtsprechen sei keine Option. Man konnte den Eindruck gewinnen, sie versuche zu erklären oder gar zu rechtfertigen, warum sie in den letzten Wochen ihrer Kanzlerschaft (und vor dem Hintergrund eines für ihre Partei CDU immer schwieriger werden Wahlkampfes) einen ganzen Arbeitstag damit verbracht hat, nach Moskau zu reisen und dort - das wurde auf der Pressekonferenz offensichtlich - ergebnislose Gespräche mit dem russischen Präsidenten zu führen.

Macron und Draghi telefonieren mit Putin, Merkel kommt persönlich

Nun gut, es mag hinter verschlossenen Türen manche Abmachungen hinsichtlich Afghanistan gegeben haben, die man nicht an die große Glocke hängen wollte. Denn Russland hat gute Verbindungen zu den Taliban und eine intakte Botschaft in Kabul, die Deutschland oder der EU diplomatische oder logistische Dienste, explizit bei der Evakuierung von Ortskräften, erweisen könnte. Aber das hätte man auch am Telefon bereden können, wie es der französische Präsident Macron und der italienische Ministerpräsident Draghi gemacht haben - beide telefonierten mit Putin am Tag vor Merkels Besuch.

Zudem war Afghanistan ja auch nur nachträglich auf die Gesprächsagenda gekommen, denn als die Reise geplant und verkündet worden war, sollten ganz andere Probleme im Vordergrund stehen: der Konflikt in der Ostukraine, die Lage in und um Belarus, das Verbot dreier deutscher Nichtregierungsorganisationen in Russland und die Beibehaltung des Gastransits durch die Ukraine nach der Fertigstellung der Nord-Stream-2-Pipeline - ein Thema, so war in Berlin zu hören, das der Kanzlerin besonders wichtig sei. Reist sie doch praktisch unmittelbar nach ihrem Moskau-Besuch am 20. August gleich am 22. August nach Kiew.

Keine Annäherung in Schlüsselfragen

Aber in keiner dieser Fragen konnte eine Annäherung, geschweige denn eine Lösung verkündet werden. Im Gegenteil: Bei der Pressekonferenz verfestigte sich der Eindruck, dass Putins Einstellung immer härter und unnachgiebiger wird und er außenpolitisch immer weniger nach Kompromissen strebt, sondern knallhart seine Linie durchziehen will, wie er es ja auch in der russischen Innenpolitik tut. 

DW-Redakteur Andrey Gurkov

Und so scheint Merkel in Moskau nichts erreicht zu haben, was ihr bei den nachfolgenden Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij weiterhelfen könnte. Stattdessen hat der gewiefte Taktiker Putin durch seine öffentlich geäußerte "Bitte", die Bundeskanzlerin möge doch in Kiew Druck auf die dortige Führung in Sachen Minsker Vereinbarungen (Friedensprozess in der Ostukraine) ausüben, ihre Verhandlungspositionen eher geschwächt, denn er stellte sie somit geschickt als eine Art Fürsprecherin russischer Interessen dar.

Herber Rückschlag beim Gastransit durch die Ukraine

Einen besonders herben Rückschlag musste die Kanzlerin jedoch in der Frage der Fortführung des Transits russischen Gases durch die Ukraine hinnehmen. Eine Frage, die sie bereits im Juli in Washington ausführlich mit US-Präsident Joe Biden diskutierte. Soll doch eine Garantie der Beibehaltung dieser Lieferungen den ukrainischen, amerikanischen und osteuropäischen Widerstand gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 mindern oder gar beenden. Denn wenn Russland auch weiterhin Gas durch sein Nachbarland in die EU pumpt, behält die Ukraine nicht nur wichtige Einnahmen, sondern auch eine gewisse Absicherung gegen mögliche weiter russische Aggressionen.

Aber Putin hat den Spieß clever umgedreht und die Kanzlerin ausgetrickst. Er versicherte zwar die Erfüllung aller vertraglichen Transitverpflichtungen bis Ende 2024, aber was die darauffolgenden Lieferungen angeht, hänge alles doch davon ab, wieviel "unsere europäischen Partner" in Russland kaufen würden. Somit legte der Kremlherr das Schicksal des Ukraine-Transits demonstrativ in die Hände der EU: Je mehr sie künftig bei Gazprom bestellt, mit anderen Worten, je langsamer sie die mittelfristig angestrebte Abkehr vom fossilen Energieträger Gas vorantreibt, desto mehr Chancen wird Kiew auf einen Teil der Lieferungen haben. Den Vorrang jedoch wird die moderne Nord Stream 2 haben, zumal sie, wie der russische Präsident ausdrücklich betonte, viel umweltfreundlicher sei als das alte ukrainische Leitungssystem. 

Deutschland braucht ein neues Konzept in der Russland-Politik

Auch am Schicksal des inhaftierten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny hat der Besuch erwartungsgemäß nichts ändern können. Merkel hat wieder einmal dessen Freilassung gefordert, Putin hat ihn erneut nicht einmal beim Namen genannt und als Kriminellen bezeichnet. Man ist, sozusagen, im Dialog geblieben. Großbritannien und die USA haben zum Jahrestag des Giftanschlags auf Nawalny zumindest Sanktionen gegen sieben involvierte russische Geheimdienstmitarbeiter verhängt - die Kanzlerin hatte nichts dergleichen im Gepäck.

Trotz all der tatsächlichen und verbalen Blumen, mit denen Merkel in Moskau beschenkt wurde, und des betonten Prunks, mit dem ihr Abschiedsbesuch bei Putin dekoriert wurde, hat diese Reise eindeutig gezeigt, dass Deutschlands Anliegen und Interessen beim Autokraten im Kreml immer weniger Gehör finden. Somit markiert diese Reise am Ende der Merkel-Ära wahrscheinlich auch das Ende einer Politik, dessen Kern das deutsche Mantra "mit-Russland-im-Dialog-bleiben" bildet. Ein "weiter so" wird nichts bringen. Deutschland braucht ein neues Konzept seiner Russland-Politik, in dem nicht das Reden an sich, sondern das Erreichen bestimmter realistischer Ziele im Vordergrund stehen sollte.