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Politik

Merkels schwieriges Erbe für die Ukraine

Roman Goncharenko (DW)
Roman Goncharenko
23. August 2021

Die Abschiedsreisen von Angela Merkel nach Moskau und Kiew sind Anlass für eine Bilanz ihrer Ostpolitik. Während Russland zufrieden ist, hat die Ukraine gute Gründe enttäuscht zu sein, meint Roman Goncharenko.

Kritische Blicke des ukrainischen Präsidenten bei den Worten der deutschen KanzlerinBild: Sergey Dolzhenko/Pool Photo/AP/picture alliance

Die ungewöhnlich großen Flaggen Deutschlands und der Ukraine, die bei der Pressekonferenz von Angela Merkel und Wolodymyr Selenskyj am Sonntag in Kiew zu sehen waren, sollten eine besondere Freundschaft symbolisieren. Die Bundeskanzlerin sagte das dem ukrainischen Präsidenten auch direkt: "Wir sind uns freundschaftlich verbunden." Und doch wird diese Freundschaft am Ende von Merkels Kanzlerschaft auf eine harte Probe gestellt.

Die Ukraine feiert am Dienstag den 30. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Mehr als die Hälfte dieser Zeit war Merkel deutsche Bundeskanzlerin. Selenskyj hätte sie gerne bei den Feierlichkeiten an diesem Tag begrüßt. Auch bei dem Gipfel der Krim-Plattform am Montag - einem neuen Forum, das die annektierte Halbinsel international auf die Agenda rücken soll - wäre sie ein gern gesehener Gast gewesen. Doch nein, die Bundeskanzlerin kam absichtsvoll früher. Das ist keine Geste in Richtung Russland, sondern Merkels Politikstil - sich nie zu eindeutig festzulegen.

Zentrale Rolle bei den Sanktionen gegen Moskau

Die Ukraine hat Merkel viel zu verdanken. Klar, dass sie von Selenskyj einen "Freiheitsorden" verliehen bekam. Während Merkels Regierungszeit erlebte die Ukraine die schwierigste Zeit in ihrer jüngsten Geschichte - die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass. Als Kanzlerin des einflussreichsten Landes in der EU spielte Merkel eine zentrale Rolle bei den Sanktionen gegen Russland. Doch die Gesamtbilanz ihrer Ostpolitik ist doch sehr durchwachsen. Denn zufrieden darf vor allem Wladimir Putin sein: Während Merkels Kanzlerschaft wurden dem Kremlchef zwar nicht alle, aber ziemlich viele seiner Wünsche bezüglich der Ukraine erfüllt.

DW-Redakteur Roman Goncharenko

Beim NATO-Gipfel 2008 in Bukarest stellte sich die Bundeskanzlerin zusammen mit dem damaligen Präsidenten Frankreichs Nicolas Sarkozy gegen die schnelle Aufnahme der Ukraine ins Bündnis. In Kiew wirft man den beiden deswegen zu Recht vor, damit eine Mitschuld an den Ereignissen auf der Krim und im Donbass zu tragen. Denn Russland erhielt so das Signal, dass die NATO die Ukraine nicht schützen würde.

Unter der Vermittlung Merkels und des französischen Staatschefs Francois Hollande wurden dann 2015 die Minsker Friedensvereinbarungen unterzeichnet, die Russland nicht ohne Grund als eigenen Sieg verbucht. Doch bei ihren jetzigen Besuchen in Moskau und Kiew musste Merkel erneut feststellen, dass die Beschlüsse nicht umgesetzt werden, dass weiterhin ukrainische Soldaten fallen. Die Lage in der Ostukraine wird noch lange eine tickende Zeitbombe bleiben.

Ein Instrument, das Merkel nicht benutzt hat

Und schließlich geht nun pünktlich zum Ende von Merkels Kanzlerschaft die Gaspipeline Nord Stream 2 in Betrieb. Mit ihr kann Russland einen harten wirtschaftlichen Schlag gegen die Ukraine führen, weil die Pipeline den Transit durch die Ukraine überflüssig macht. Nord Stream 2 ist vermutlich Merkels größter Fehler in ihrer Russland- und Ukraine-Politik.

Die Bundeskanzlerin unterstützte das Projekt und wollte es nie als ihr stärkstes Druckmittel gegen Russland einsetzen. Dafür gab es viele Gründe, etwa die Verantwortung für die Geschichte - Merkel erinnerte daran, als sie Kränze an den Gräbern der Unbekannten Soldaten in Moskau und Kiew niederlegte. Auch Geschäftsinteressen haben eine Rolle gespielt und die Sozialdemokraten als Koalitionspartner in der Bundesregierung. Auch will Berlin stets die Kontakte nach Moskau bewahren - für die Lösung von Krisen weltweit. In Kiew hat man das alles unterschätzt und hoffte lange, das Projekt stoppen zu können.

Solche deutschen Besonderheiten verstehen auch diejenigen in der Ukraine nicht (darunter Präsident Selenskyj), die ständig Waffenlieferungen von Berlin fordern und nur Absagen bekommen. Die historische Verantwortung lässt der Bundesregierung gar keine andere Wahl.

Angela Merkel legt am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Kiew einen Kranz niederBild: Gleb Garanich/REUTERS

Worauf Kiew hoffen darf

Die Ironie besteht darin, dass nun Russland aus Merkels Händen mit Nord Stream 2 die denkbar stärkste "Waffe" überreicht bekommt - die es nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen Europa einsetzen kann. Hier hat Selenskyj zweifellos Recht. Berlin hat zwar Washington und Kiew versprochen, genau das zu verhindern und eine Verlängerung des Transitvertrags auszuhandeln, wenn der jetzige Vertrag 2024 ausläuft. Doch Merkel hat bisher vom Kreml keinerlei Zusagen erhalten.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Selenskyj bei der Pressekonferenz mit Merkel seine Enttäuschung kaum verbergen konnte. Wenn Merkel geht, hofft Kiew auf Zugeständnisse Berlins - auch bei der Frage der NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine. Doch diese Hoffnungen werden vergebens sein. Wer immer Merkel im Kanzleramt nachfolgt, wird kaum mit dieser Tradition deutscher Außenpolitik brechen. Das gilt aber in gleicher Weise auch für die Fragen von Sanktionen gegen Moskau, der Nichtanerkennung der Krim-Annexion sowie der Verlängerung des Gastransits.

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