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Politik

Moria darf nicht fortbestehen

22. September 2020

Das Elend in den Lagern auf den griechischen Inseln darf niemanden in Europa unberührt lassen. Die Achtung der Menschenrechte ist der Weg, den wir auch in der Flüchtlingsfrage gehen müssen, meint Dimitra Kyranoudi.

Schon jetzt das größte Flüchtlingslager Europas - die Zeltstadt Kara Tepe auf LesbosBild: Panagiotis Balaskas/AP Photo/picture alliance

Das bisherige Flüchtlingslager von Moria existiert nicht mehr. Das Lager, welches Flüchtlinge, Hilfsorganisationen, Aktivisten und Medien des gesamten Kontinents als "Schande Europas" und "Hölle auf Erden" bezeichnet haben, ist vor zwei Wochen von einem Feuer zerstört worden.

Wenn mit dem Brand zugleich die Lösung für das Flüchtlingsproblem gefunden worden wäre, dann wäre dieses Ende von Moria eine freudige Nachricht gewesen - der Abschluss eines schwarzen Kapitels der griechischen und europäischen Geschichte.

Das neue Lager ist bereits fertig

Aber innerhalb der vergangenen Tage ist mit Kara Tepe schon wieder ein neues Lager auf Lesbos entstanden, in dem sich inzwischen mehr als 10.000 Menschen aus Moria aufhalten - also abermals das größte Flüchtlingslager Europas. Wir erinnern uns: Das bisherige Lager Moria war ursprünglich für knapp 3000 Menschen konzipiert worden. Das neue Lager wird dem alten vermutlich in kürzester Zeit gleichen.

DW-Redakteurin Dimitra KyranoudiBild: Chryssa Vachtsevanou/DW

Der Brand des Lagers Moria und seine totale Zerstörung brachten also keine Wende der Flüchtlingspolitik. Ebenso wenig wie die Aufnahme von 1553 Flüchtlingen von den Inseln in der Ägäis in Deutschland. Dem neuen Lager Kara Tepe, das auch mit Hilfe des UNHCR errichtet wurde und ausdrücklich als "Übergangslösung" deklariert ist, wird in nicht allzu ferner Zukunft noch ein Lager auf Lesbos folgen, vielleicht sogar am alten Standort Moria. Und wenn nicht dort, dann eben auf einer anderen Insel Griechenlands oder anderswo auf europäischem Boden.

Das Problem der sogenannten Flüchtlingspolitik bleibt das altbekannte: der Versuch, ein menschenrechtliches Anliegen durch Verwaltung technisch zu regulieren. Genau diese Bürokratisierung der Flüchtlingskrise hat aber auf Moria und den anderen griechischen Inseln katastrophale Konsequenzen für die Lebensbedingungen und damit die Menschenrechte der dort angekommenen Flüchtlinge.

Flüchtlinge werden weiterhin kommen

Und gleichzeitig wissen wir, dass Kriege sowie heftige chronische Krisen im Nahen Osten, in Teilen Asiens und in Afrika weiterhin starke Flucht- und Migrationsbewegungen auslösen werden. Menschen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen werden sich in Schlauchboote oder Schiffswracks setzen, um über das Mittelmeer zu kommen. Und sie werden in unmenschlichen Lebensbedingungen an den Außengrenzen der EU stranden. Das ist geradezu unvermeidlich. Denn verzweifelte Menschen, die bereit sind, für eine bessere Zukunft alles zu tun, wird es immer geben. Das wissen wir alle nur zu gut aus der Geschichte Europas.

Die hygienischen Verhältnisse im neuen Lager Kara Tepe unterscheiden sich kaum von denen in Moria Bild: Reza Shirmohammadi/DW

Die EU postuliert, dass so schnell wie möglich eine "europäische Lösung" für das Flüchtlingselend gefunden werden müsse. Aber diese gemeinsame Linie ist nicht einmal in Umrissen erkennbar und niemand in der Politik glaubt ernsthaft daran. Deshalb überzeugen diese Politiker auch niemanden. Die Worte "Solidarität" und "Menschenrechte" sind für Europas politische Klasse hohle Phrasen geworden, scheinen keine Bedeutung mehr zu haben. Die Bürger - insbesondere die jungen Menschen - spüren das, sie lassen sich kaum täuschen.

Verrat am historischen Erbe Europas

Europa hat - bewusst oder unbewusst - den Weg der Abschottung, Abschreckung, Angst vor den "Anderen" eingeschlagen und verliert so seinen Wesenskern. Und es vergisst seine eigene Geschichte, sein historisches Erbe: dessen dunklen Seiten, aber eben auch die Aufklärung, die Revolutionen, seine langen Kämpfe um Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Wir, die jüngeren Generationen, sind bereits in Zeiten geboren, in denen all das als selbstverständlich gilt. Aber es ist eben nicht selbstverständlich. Die Achtung von Freiheit, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sind der schwierigere Weg, den wir auch in der Flüchtlingsfrage gehen müssen. Jeder und jede einzelne von uns. Und wir dürfen nicht vergessen, dass jedes Abkommen von diesem schwierigen Weg schnell zu einer neuen "Schande Europas" werden kann.

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